Kapitel 38

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Nach einer schlaflosen und unruhigen Nacht schaffte ich es am Morgen nicht, mich zusammenzureißen und meine Glieder aus dem Bett zu hieven. Es war Sonntag, daher war das egal, und ich fühlte mich deswegen auch kein bisschen schuldig.

Ich lag auf dem Rücken, ignorierte den Sonnenschein und das Vogelgezwitscher. Stattdessen starrte ich an die Decke, in der Hoffnung, eine Antwort auf alles zu finden. Was ich mir wirklich erhoffte? Dass Adrian nicht der Schuldige war. So komisch es auch sein mochte, aber so war es. Irgendwie passte es nicht zu ihm, aber ich kannte ihn auch noch nicht lange genug, um ganz sicher zu sein. Wer wusste schon von dem wirklichen Adrian? Wohl kaum einer. Vielleicht versteckte er sein wahres Ich hinter einer Maske aus Freundlichkeit.

„Freyja?", kam es von der anderen Seite der Tür.

Seufzend rollte ich mit den Augen. Dass Sven sich nach mir erkundigte, war mir von Anfang an klar gewesen. „Ja?"

„Geht es dir gut? Soll ich dir etwas bringen?"

Mühsam versuchte ich mich aufzurichten, scheiterte kläglich und ließ mich wieder in die Kissen plumpsen. Nein, mein Körper wollte heute nicht im Geringsten auf mich hören. „Nein, ich bin nur müde", erwiderte ich. Hoffentlich kam Sven nicht auf den Gedanken, einfach hereinzuspazieren, sondern verstand meine indirekte Aufforderung, mich in Ruhe zu lassen.

„Möchtest du wenigstens etwas zu essen oder trinken? Ich habe Frühstück gemacht."

Scheinbar verstand er es nicht, gleichzeitig nagte das schlechte Gewissen an mir.

Er meint es gut und macht sich Sorgen!

Und doch ... heute war ich keineswegs gut drauf und ehe ich meine Laune an ihm ausließ, gab ich ihm ungewollt kühl zu verstehen, dass ich in Ruhe gelassen werden wollte.

„Dein Körper braucht aber Kraft", versuchte mich Sven mit schlagkräftigen Argumenten umzustimmen.

Na und? Mir doch egal, was mein Körper braucht!

Ich konnte und wollte nicht aufstehen, sondern im Bett bleiben! Meine Gedanken waren das reinste Chaos und diese wollte ich ordnen. Meine freche und sture Antwort behielt ich jedoch für mich.

„Heute nicht, Sven. Ich möchte meine Ruhe haben", sagte ich. Noch klarer konnte ich mich nicht ausdrücken.

Endlich gab Sven auf, bat mich aber, ihn zu rufen oder eine Nachricht zu schreiben, falls ich meine Meinung ändern würde. Dann hörte ich Schritte und erleichtert zog ich meine Bettdecke bis zur Nase hoch.

Ruhe ... genau das wollte ich und es war mir ausnahmsweise egal, dass ich auf Svens Gefühlen herumtrampelte. Er konnte nicht erwarten, dass ich ständig Rücksicht nahm und meine eigenen Bedürfnisse in den Hintergrund stellte.

Jetzt konnte ich mich wieder den düsteren Gedanken und den lauernden Tränen in meinen Augen hingeben.

Selbst am Nachmittag war ich nicht aus dem Bett zu bekommen, aber ich versuchte es auch nicht. Glücklicherweise ließ Sven mich in Ruhe und ich schlief manchmal ein, nur um von Albträumen gepeinigt und schweißgebadet wieder aufzuwachen. Grausame Szenen von einer schwarzen Figur, deren Gesicht hinter einer hässlichen Grinsemaske verborgen blieb, verfolgten mich in jedem einzelnen Traum. Mal war sie hinter meinen Geliebten her, dann hinter mir. Am schlimmsten war der Anblick, wie derjenige Feuerteufel spielte und das Hotel auf die Grundmauern niederbrennen ließ. Ich musste tatenlos zusehen, denn ich war wie von Zauberhand gefesselt.

Irgendwann hatte ich die Nase voll und rollte mich aus dem Bett. Anstatt aufzustehen, fiel ich auf den Boden und blieb einige Minuten lang murrend liegen. Der Tag war scheußlich und gehörte verboten!

Auf dem Boden robbend schaffte ich es zum Badezimmer und verharrte einen Moment, ehe ich mich mit dem Rücken zur Wand lehnte und meine Arme um meine Knie schlang. So weit war ich also gekommen ... nur wenige Meter aus dem Bett und erneut ließ mich mein Körper im Stich. Jetzt war es mir erst recht egal, dass ich einfach da blieb, wo ich war. Und wenn ich bis zum Morgengrauen hier sitzen würde ... ich würde mich nicht zwingen, etwas zu tun, wozu ich nicht bereit war.

Während die Zeiger meiner Armbanduhr Stunde um Stunde vorrückten, verharrte ich auf dem Fliesenboden des Badezimmers. Selbst jetzt ließen mich die Albträume nicht los und einen erneuten Versuch von Sven, zu mir vorzudringen, verweigerte ich schroff. Mit seiner Sturheit hatte ich nicht gerechnet.

Plötzlich ging die Tür auf und ehe ich mich versah, zog er mich schweigend in den Arm. Wie ein hilfloser Welpe suchte ich Schutz und vergrub schluchzend mein Gesicht an seiner Brust. Sein angenehmer Geruch spendete ein wenig Trost und auch seine Nähe taten mir besser, als ich es mir vorgestellt hatte.

„Du bist nicht allein, Freyja", murmelte Sven nach gefühlt endlosen Minuten. „Ich verspreche dir, dass wir herausfinden werden, was wirklich passiert ist. Derjenige wird dafür bitter büßen", grollte er.

Erschrocken zuckte ich zusammen. Noch nie hatte ich Sven so ernst und ... grollend erlebt. Er schien mit dem Bericht ebenso wenig einverstanden zu sein wie ich und mir wurde wieder einmal bewusst, dass nicht nur ich jemanden verloren habe, sondern auch er. Wir hatten nur noch einander und ich sollte aufhören, ihn von mir zu drücken.

„Verzeih mir, Sven", schluchzte ich an seiner Brust. „Ich wollte dich nicht wegschicken und dir das Gefühl geben, dass ich nicht mit dir reden will. Ich ... meine Nacht war schrecklich und ich habe keine Kraft mehr!" Auf einen Schlag purzelten die Worte aus mir heraus und ich erzählte von den Albträumen, die mich plötzlich heimsuchten.

Die ganze Zeit hielt mich Sven im Arm, streichelte über meinen Rücken und ließ mich ausreden. Dankbar dafür spürte ich irgendwann, wie mein Herz ein wenig leichter wurde. Sich alles von der Seele zu reden tat unheimlich gut. Ich hatte völlig vergessen, wie befreiend es manchmal sein konnte.

„Ich bin mir sicher, dass deine Träume eine Bedeutung haben", meinte Sven nachdenklich klingend. Sein Gesicht in meinem Haar vergraben, spürte ich seinen warmen Atem, der mir eine Gänsehaut nach der anderen bescherte. „Und wir werden nicht eher ruhen, bis wir die Wahrheit herausfinden, das verspreche ich dir", wiederholte er ernst. Dann schob er mich ein kleines Stück von sich und betrachtete mein Gesicht. Sanft strich er mit seinem Daumen die Tränen weg. „Geht es dir ein wenig besser? Möchtest du jetzt etwas zu dir nehmen?", fragte er.

Ich schüttelte den Kopf. „Nein ... ich kann und mag nicht. Meine Kräfte haben mich verlassen und wahrscheinlich werde ich die ganze Nacht hier sitzen", murmelte ich heiser. Mein Gaumen brannte wie Feuer und jedes Schlucken kitzelte.

„Dann ... sitzen wir hier gemeinsam. Ich lasse dich nicht allein Freyja", schwor Sven, ließ mich jedoch im selben Moment los und erhob sich. Ihm nachsehend fragte ich mich, was er vorhatte. Meine unausgesprochene Frage wurde beantwortet, als er mit zwei Wasserflaschen wiederkam, sich neben mir niederließ und mich erneut in den Arm zog.

Wie ein Häufchen Elend schmiegte ich mich an ihn, froh, dass er da war und mit mir gemeinsam die Wahrheit herausfinden wollte. 

Midnight Sun - Ein Jahr zum VerliebenKde žijí příběhy. Začni objevovat