Kapitel 43

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Niedergeschlagen auf meiner Unterlippe nagend, starrte ich auf die Mitteilung der Versicherung, dass sie die Kosten der Überflutung nicht übernahmen. So etwas hatte ich bereits geahnt. Aufgrund der Begründung des Sachverständigen und Gutachters, dass es sich um eine absichtliche Tat handelte, waren unsere Chancen von vornherein winzig gewesen.

Natürlich konnte das Hotel die Kosten aufbringen, doch es riss ein ernsthaftes Loch in unsere Reserven. Wie gut, dass wir so gut wie immer voll besetzt waren. Allerdings konnten wir so natürlich nicht ausbauen und erweitern. Dabei stand demnächst ein Termin bei den Baubehörden an, den wir jetzt absagen konnten.

Als es klopfte, seufzte ich leise. Was hatte ich eigentlich erwartet? Dass die Versicherung Mitleid mit uns hatte und uns das Geld einfach schenkte? So leicht war die Welt nicht, das wusste ich. Und dennoch ... ich hatte gehofft, ein klein wenig Hilfe zu bekommen.

Was würden meine Eltern in der Situation tun?

„Komm herein, Adrian."

Wie immer kam sein schwarzer Schopf zuerst zum Vorschein und ich musste unwillkürlich grinsen. Das erinnerte mich stets an das erste Mal, als er in mein Büro kam. „Hast du Idun schon gesehen?", wollte ich wissen und erhob mich, um ihm einen Kaffee einzuschenken.

„Sie regelt gerade etwas mit Eira", ließ Adrian mich wissen. Mit einem Schmunzeln nahm er die Tasse entgegen und schaufelte sich ein paar Löffel Zucker hinein. Seine Liebe für Süßes ...

„Wie geht es Brinja?", erkundigte ich mich.

„So zäh wie ein Bock", bemerkte Adrian nüchtern. Was das hieß, ahnte ich. Brinja würde sich von Wehwehchen nicht abhalten lassen, weiterhin aktiv zu sein. „Sie hat einen Narren an dir gefressen und redet permanent von dir und dem Hotel. Ich komme überhaupt nicht mehr zu Wort."

Die Beschwerde ließ mich prusten und ich versuchte mein Lachen hinter meiner Tasse zu verstecken. Ich freute mich, dass seine Großmutter mich mochte, aber was würde sie sagen, wenn Adrian tatsächlich für die Überflutung gesorgt hatte?

Meine Gedanken wurden durch ein einmaliges Klopfen unterbrochen. Im selben Moment betrat Idun das Büro und ließ sich mit einem tiefen Seufzer auf dem Stuhl nieder. Sie sah fertig aus und wir wussten, warum. Der Verkauf der großelterlichen Wohnungseinrichtung ging voran, gleichzeitig bedeutete es auch eine Menge Stress. „Kann ich mir heute Nachmittag freinehmen? Es kommen ein paar Leute, die sich den Küchentisch und die Stühle ansehen wollten."

„Natürlich", sagten Adrian und ich wie aus einem Munde. Es war selbstverständlich, dass Idun freibekam!

„Danke. Also ...", erwiderte Idun schmunzelnd, doch ihr Blick wurde angesichts des Treffens im Büro finster, „... die Versicherung wird nicht zahlen, habe ich das richtig verstanden?"

Seufzend nickte ich und drehte meinen Laptop zu ihnen. Während sie in Ruhe die E-Mail durchlasen, schrieb ich Sven in einer kurze Nachricht von der Hiobsbotschaft. Es dauerte nicht lange, bis ich eine Antwort erhielt. Seit dem arbeitsreichen Wochenende schien Sven weitaus lockerer mit Adrian umzugehen, auch wenn er nicht gerade begeistert war, dass ich mit ihm allein jagen fuhr. Ich hatte meine Argumente vorgebracht, gegen die er nichts zu sagen hatte und damit hatte sich das Thema erledigt. Sven hatte sowieso einiges zu tun.

Sobald Adrian und Idun fertig gelesen hatten, drehte ich den Laptop wieder zu mir. „Damit habe ich allerdings gerechnet", gestand ich mit einem Blick zu ihnen, wobei ich Adrians Reaktionen so genau wie möglich beobachten wollte.

Nachdenklich kratzte er seinen Arm, der weniger rote Pünktchen zeigte als sonst. Die Mückensaison war so gut wie vorbei und ich war mir sicher, dass Adrian das zu schätzen wusste. „Ich habe Brinja davon erzählt und sie meinte, sie würde die Kosten übernehmen."

„Was?", fragten dieses Mal Idun und ich aus einem Munde. „Das würde sie? Warum?", hakte ich nach. Wie konnte seine Großmutter einfach mal eben die hohen Kosten bezahlen? Vor allem das Warum war mir schleierhaft.

Adrian zuckte mit den Schultern und verschränkte die Arme hinter seinem Kopf. „Du weißt doch, wie sehr ihr das Hotel am Herzen liegt. Sie hat ein kleines Vermögen, das wir Kinder irgendwann erben sollen, doch ein Teil davon ist für das Hotel reserviert. Um etwaige Steuern zu verhindern, meinte sie, es wäre die perfekte Gelegenheit, zu investieren."

Idun war genauso sprachlos wie ich, doch in meinem Kopf bildete sich eine unangenehme Frage, die mein Herz schmerzhaft zusammenzog. Was, wenn das Ganze nur ein Plan der beiden war? Dass Adrian hierherkam, Chaos anrichtete und Brinja bezahlte? Welchen Sinn würde das geben? Ich kannte Brinja nicht wirklich, obwohl sie bei unserem ersten Gespräch einen positiven Eindruck hinterlassen hatte.

„Das ist ... großzügig", meinte Idun, wobei ich genau heraushörte, dass sie nicht genau wusste, was sie davon halten sollte.

Wahrscheinlich hatte Adrian Begeisterung erwartet, denn als er unser Zögern bemerkte, sah er uns fragend an. „Stimmt etwas nicht?"

Eilig schüttelte ich den Kopf und versuchte zu lächeln. Wäre es besser, zuerst mit Brinja zu reden, als gleich einverstanden zu sein? Ich konnte dieses merkwürdige Gefühl nicht ablegen! Irgendetwas war doch im Busch!

Idun schien meine Gedanken erraten zu haben. „Ich würde vorschlagen, mit deiner Großmutter ein Gespräch zu führen, ehe wir zu einer Entscheidung kommen. Mich kennt sie ja nicht."

„Natürlich können wir das, allerdings schläft sie gerade noch. Ihr könnt ihr auch eine E-Mail schreiben", entgegnete Adrian.

Es bedurfte nur eines kurzen Blickes zu Idun, um zu wissen, dass sie ein persönliches Gespräch bevorzugte, auch wenn es nur über das Internet war. Daher blieb uns nichts anderes übrig, als einen Termin mit Brinja auszumachen, wobei Adrian uns die Entscheidung überließ.

Nach einem kurzen hin und her hatten wir den Tag festgelegt und unser Treffen fand ein abruptes Ende.

Sobald ich wieder allein war, verschränkte ich meine Arme vor der Brust und grübelte. Irgendetwas passte nicht, doch ich konnte meinen Finger nicht darauflegen, was es genau war. Einerseits wäre Brinja eine große Hilfe, doch ich wollte sie nicht annehmen, wenn es ein Teil eines perfiden Plans war. Dann war es am besten, Adrian gleich zurück nach Amerika zu schicken, aber da ich keine hundertprozentigen Beweise hatte, konnte ich das nicht. Außerdem ... wollte ich es auch nicht. Tief in mir drin rumorte eine Stimme, die ihn für unschuldig erklärte. Zudem war meine Abneigung der Zuneigung gewichen. Aber in dem Sabotagefall durfte ich mich nicht von meinen Gefühlen ablenken lassen, sondern musste sachlich bleiben.

Instinktiv hoffte ich, dass sich bald alles aufklären würde. Die Ungewissheit zerriss meine Nerven und ich hielt es langsam nicht mehr auf. Dieses „was" und „wenn" ging mir gehörig auf den Geist.

Um mir nicht noch mehr den Tag zu verderben, konzentrierte ich mich auf das bevorstehende Jagdwochenende mit Adrian. Zuerst kaufte ich die Erlaubnis online, machte einen Plan, wo ich genau jagen wollte und ging in Gedanken einige wichtige Dinge durch. Die Anspannung wich der Vorfreude und als ich Adrian eine Nachricht zukommen ließ, dass wir die Jagdkleidung meines Vaters holen würden, lächelte ich wieder. 

Midnight Sun - Ein Jahr zum VerliebenWhere stories live. Discover now