Kapitel 67

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„God Jul, Freyja", begrüßte mich Idun mit einer Umarmung, in der sie mich fest an sich drückte. Gefolgt von einem Kuss auf meine Schläfe, ließ sie mich los und strich über meinen Kopf. „Du siehst wunderschön aus", bemerkte sie lächelnd.

„God Jul, Idun. Es ist schön, dass ihr gekommen seid. Kommt herein", erwiderte ich lächelnd und warf einen Blick in den Flurspiegel. Meine Haare waren als geflochtener Zopf wie ein Kranz um meinen Kopf gelegt. Darin glitzerten weiße Perlen, die an den versteckten Spangen angebracht waren. Meine Mutter hatte sie bei ihrer Hochzeit getragen und bei meinem Schulabschluss an mich weitergegeben. Sie waren ein Erinnerungsstück, das ich mit Stolz und zu speziellen Anlässen trug. Zudem passten sie hervorragend zu meinem marineblauen Samtkleid mit langen Ärmeln, das mit einem weißen Gürtel um die Taille abgerundet wurde.

Nach ihr trat Großvater Geir ein, der mich mit rauer Stimme und einem Handschütteln grüßte. Obwohl unser letztes Treffen einige Zeit zurücklag, schien er mich wiederzuerkennen. Es war traurig, dass seine Frau nicht dabei war, aber Idun hatte sie mit ihm tagsüber bereits besucht.

„Es riecht so lecker nach Essen", meinte er schnuppernd und leckte sich über seine Lippen. „Fast wie bei Leja." Dass er den Geruch unseres Essens mit dem seiner Frau verglich, war ein Kompliment, das nicht größer hätte sein können.

Nach ihm folgten die Kinder, die nicht glücklicher aussehen könnten. Auf Suvinnas Wangen lag ein hauchzarter Teint von Rosa, der sicherlich nicht vom dezenten Make-up kam. Adrians Sohn grinste über beide Ohren.

Die Gäste ins Wohnzimmer lotsend, rief ich nach Sven, der seit dem Tisch herrichten verschwunden war. Ich wusste nicht, ob er lediglich ein bisschen Ruhe brauchte, oder sich feinmachen wollte. Aus ihm war ein neuer Mensch geworden, den ich noch nicht einschätzen konnte, aber ich mochte die offene Seite an ihm.

„Herzlich Willkommen", empfing Adrian die anderen mit offenen Armen. Reihum begrüßte er sie und lachte bei Iduns und Suvinnas Komplimenten. Für den Abend hatte er sich in eine dunkle Hose und einen Rollkragenpullover mit Rentieren geworfen, den er aus Amerika mitgebracht hatte. Auf der anderen Seite des Ozeans schienen die Menschen ebenso auf solche Motive zu stehen, wobei sie hier mehr als Souvenir verkauft wurden.

„Euer Baum ist eine Wucht", meinte Idun mit einem ehrfürchtigen Blick auf das Prachtexemplar.

Zu dritt hatten wir ihn ins Haus gehievt und aufgestellt, wobei Sven dafür zuständig gewesen war zu gucken, ob er gerade stand. Die Erinnerung daran, wie Adrian bei den piekenden Nadeln theatralisch gejammert hatte, ließ mich grinsen. „Der macht aus meinem Körper ein Sieb!"

Prustend hielt ich mir die Hand vor den Mund. „Danke. Die Arbeit hat sich gelohnt", erwiderte ich zufrieden. Für einen Augenblick standen wir andächtig um den Baum herum.

Das warme Licht der Lampen ließ die bunten Glaskugeln, aber auch die silbernen und goldenen Girlanden glitzern. Da Erik und ich nie Fans von losem Lametta gewesen waren, hatten wir sie vor einigen Jahren besorgt. Sie waren umweltfreundlicher, einfacher abzunehmen und anzubringen und wiederverwendbar.

Durch seine Größe hatten sämtliche Dekorationen Platz gefunden. Unter anderem auch selbstgemachte Lebkuchen, die wir am Weihnachtsmorgen zwischen den Girlanden aufgehängt hatten. Wir hatten uns darauf geeinigt, dass unsere Gäste sie suchen sollten und mitnehmen konnten. Genauso, wie es Eriks und Svens Eltern früher getan hatten.

Auf der Spitze thronte ein Werk aus unserer Schulzeit. Aus Draht mussten wir einen Weihnachtsstern erstellen, den wir ganz nach unserem Belieben dekorieren konnten. Jährlich hatten wir die hergestellten Stücke abgewechselt, dieses Jahr war Eriks Stern angebracht. Schon damals hatte sich seine handwerkliche Begabung gezeigt. Für meine krummen und schiefen Kanten war ich in den Jahren, in denen meiner auf der Baumspitze turnte, von ihm aufgezogen worden. Natürlich in einer liebevollen Art und Weise, die mir jetzt einen schmerzlichen Stich in meine Brust versetzte. Die unendliche Sehnsucht nach ihm ließ einfach nicht nach! Wie lange würde es noch dauern, bis nicht jeder Gedanke Tränen bei mir auslösten?

Midnight Sun - Ein Jahr zum VerliebenWhere stories live. Discover now