48. Tütenmännchen

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Mit großen Augen sah ich Niall an, als wir aus dem Flieger stiegen. "Los Angeles?", quiekte ich überrascht und strahlte ihn an. Er hatte kein Wort darüber verloren, wohin wir geflogen waren und zufrieden über seinen aufgegangenen Plan nickte er. Er wusste, dass ich die Stadt liebte und hier wunderschöne Momente erlebt hatte - ich würde wohl immer ein Stück meines Herzens hier lassen. 

"Uhm, Lottie...", murmelte er plötzlich und fuhr sich verlegen durch die Haare, während er wie wild auf seinem Handy tippte. "Wir haben ein kleines Problem... irgendjemand muss wissen, dass wir hier sind, da draußen warten Paparazzi auf uns..." 

Seine Worte versetzten meiner gerade noch überwältigende Freude einen Dämpfer. Paparazzi waren das Letzte, das wir brauchten - was machten sie überhaupt mitten in der Nacht hier? Wahrscheinlich hatte uns jemand am Flughafen in London gesehen und die Info postwendend weitergeleitet... Seufzend vergrub ich mein Gesicht in meinen Händen. Konnte nicht ein einziges Mal alles glatt laufen? Es war wie verhext ! Wie sagte Harry Potter so schön? Ich suche keinen Ärger, meist findet der Ärger mich.  "Aus den Steinen, die uns in den Weg gelegt werden, können wir uns etwas Hübsches bauen!", witzelte Niall und sofort musste ich grinsen. 

"Wir kriegen das schon hin, wir müssen nur zum Auto!", sagte er und steckte das Handy in seine Hosentasche. Nachdenklich musterte er mich, dann breitete sich ein spitzbübisches Grinsen auf seinem Gesicht aus. "Sie wissen nicht, dass du dabei bist, es ist nur von Niall Horan die Rede!", stellte er fest. Hektisch sah er sich um, dann steuerte er im Laufschritt auf einen Flughafenkiosk zu. Er wechselte ein paar Worte mit dem Inhaber und kam mit einem immer breiter werdenden Grinsen zurück. "Wir müssen nur dafür sorgen, dass uns niemand erkennt! Na los, lass uns kindisch und idiotisch sein! Hier, nimm meinen Pulli!" In Windeseile schlüpfte er aus seinem Pullover und reichte ihn mir, verdattert sah ich ihn an, doch dann folgte ich seiner Anweisung und schlüpfte in den viel zu großen Hoodie. "Und jetzt?" 

"Jetzt dürfen sie Ratespielchen spielen!" Entgeistert sah ich ihn an, dann brach ich in lautes Lachen an. Schelmisch grinsend malte er ein Gesicht auf die Tüte und stach zwei Augen in das Papier, dann reichte er sie mir voller Stolz.  "Darf ich vorstellen, das ist Mrs Horan!" Er schnappte sich die zweite Tüte, malte einen lachenden Mund darauf und stülpte sie kurzerhand über seinen Kopf. "Niall, du bist verrückt!", lachte ich, doch dann stülpte auch ich mir die Papiertüte über den Kopf. "Das wird also unser erster Auftritt in der Öffentlichkeit als Paar - du siehst umwerfend aus, Darling!", sagte Niall und griff nach meiner Hand. Lachend schlang ich meine Arme um ihn und auch wenn es niemand sehen konnte, war mein Grinsen beinahe breiter als das meines Tütenmännchens. 

Niall vergewisserte sich, dass man nichts von mir erkennen konnte, dann passierten wir den Durchgang zum öffentlichen Bereich. Wir waren auf uns alleine gestellt - es war kein Bodyguard da, der gegebenenfalls einschreiten konnte, doch ich vertraute Niall und meinem Tütenmännchen. 

"Niall!" "Niall Horan, wer ist das an ihrer Seite?" "Nehmen Sie die Tüten ab!"

Niall ging nicht auf die Fragen der Reporter ein, sondern umklammerte meine Hand und zog mich durch den Flughafen. Der Weg schien endlos zu sein, fast blind stolperte ich hinter Niall her. Ich konnte sein lautes Lachen hören, als ich beinahe gegen eine Säule lief, was Blitzlichtgewitter auslöste. "Du hast dir größere Augen gestochen, das ist unfair!", beschwerte ich mich lachend und pikste ihm in die Seite. Ich fühlte mich wie ein Schulmädchen auf ihrem ersten Date, doch im Grunde hatte ich damit nicht ganz unrecht. So hatte ich mir unsere Ankunft bestimmt nicht vorgestellt, aber ich konnte mich nicht beschweren: immerhin hatte ich den ersten öffentlichen Auftritt mit Niall - mit Niall und dem Tütenmännchen. 

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"Niall, dein Appartement liegt in der anderen Richtung, wohin fahren wir?" Ungeduldig setzte ich mich auf meine Hände, während Niall einen Rhythmus auf dem Lenkrad trommelte. Wir hatten die Paparazzi schon längst hinter uns gelassen und fuhren geradewegs durch die Hollywood Hills. Es war mitten in der Nacht, die Dunkelheit umschlang uns mit ihren langen Fingern. Grinsend sah ich mein Tütenmännchen an. Niall erweckte das Kind in mir und brachte mich zum Lachen, mit ihm fühlte sich alles so leicht an. 

"Noch eine Kurve!", murmelte Niall, dann parkte er das Auto am Straßenrand. Hastig sprang er aus dem Auto und joggte auf die andere Seite, um mir die Tür aufzumachen, doch dafür war ich viel zu ungeduldig. Bevor Niall den Griff berühren konnte, war ich aus dem Auto gesprungen. 

"Wow!", hauchte ich und sah mit großen Augen auf die großen Buchstaben vor meinen Augen. Sie waren riesig, immens und leuchteten im Mondlicht. Ich war noch nie so nahe am Hollywood-Sign gewesen, bisher hatte ich es immer nur aus weiter Ferne gesehen, doch jetzt befanden sich die großen Buchstaben beinahe in greifbarer Nähe - nur ein hoher Stacheldrahtzaun trennte uns davon. "Komm mit!", rief Niall strahlend und griff nach meiner Hand. Als würde das große Betreten-Verboten Schild nicht existieren, zog er mich am hohen Zaun entlang und begann schließlich an einem Gatter zu hantieren. "Niall, bist du verrückt, der Bereich ist abgesperrt! Hier gehen gleich alle möglichen Alarmanlagen ab, sie feuern Raketen ab, das ist bewacht wie Askaban!", rief ich entgeistert, doch Niall quittierte meine Verzweiflung nur mit einem leisen Lachen. Unsicher sah ich mich um - irgendwie erwartete ich, dass jede Sekunde ein Kampfhund mit drei Köpfen und schäumendem Maul auf mich zustürmen würde.  

Das verrostete Stahlgatter schwang mit einem grässlich lautem Quietschen auf. Zögernd folgte ich ihm und betrat das abgesicherte Gelände. Touristen waren hier absolut verboten, niemand durfte einen Fuß auf diesen Boden setzen. Mein Herz begann zu rasen, als wir uns den riesigen Buchstaben näherten. Hollywood. Keine Alarmanlage ertönte und kein wildgewordener Vierbeiner versenkte seine Zähne in meinem Bein, doch daran dachte ich nicht mehr. 

Meine Augen klebten an den neun gewaltigen Buchstaben. Es war wie ein Traum, niemals hätte ich gedacht, dass ich hier stehen würde, in unmittelbarer Nähe des Wahrzeichens. Hier war die Geschichte des Films entstanden, das war die Traumfabrik, wie Hollywood oft genannt wurde. Niall sah mich mit leuchtenden Augen an, doch ich konnte meinen Blick nicht von dem Zeichen abwenden. Niemals hätte ich gedacht, dass ich es bis nach Hollywood schaffen würde - bis an den Ort, an dem der Zauber des Films vor etlichen Jahren begonnen hatte. Der Zauber, der auch mich in seinen Bann gezogen hatte. 

"Damals hast du mir von Ingrid Bergman erzählt, weißt du noch? Von der Schauspielerin, deren Namen ich erst googeln musste, damit ich mit meinem Wissen bei dir punkten konnte. Du hast schließlich nicht aufgehört von dieser uralten schwedischen Darstellerin zu schwärmen!" "Wir haben uns Intermezzo dreimal hintereinander angesehen!", flüsterte ich und lachte leise, als ich mich an den Abend erinnerte. Beim dritten Mal war Niall eingeschlafen, obwohl er es immer abgestritten hatte. Er nickte grinsend und griff nach meinen Händen. 

"Du hast mir damals gesagt, dass du das Schauspielern liebst. Und das Funkeln in deinen Augen hat mehr gesagt, als du dir vorstellen kannst! Ab da wusste ich es - du gehörst hierher. Genau unter diesen Schriftzug. Du hast es nicht wegen Harry oder sonst irgendjemandem geschafft, das warst du alleine. Weil du es liebst. Du bist nicht Ingrid Bergman, aber du bist Lottie Williams. Lottie Williams, die ihre Träume nicht aufgibt, Lottie Williams, die mir gezeigt hat, dass man dafür nur eines braucht: Mut. Du hast es geschafft, weil dein Herz dafür schlägt und nicht, weil du dem Ruhm und dem Erfolg nachhetzt. Ich hab jeden Tag getrunken, jeder Tag war wie ein Vollrausch. Doch dann bist du aufgetaucht und hast mir gezeigt, dass es sich lohnt, nicht aufzugeben - mit genau diesem Funkeln in deinen Augen.  Du hast die Magie in meine Musik zurückgebracht, du hast mir wieder gezeigt, wieso ich es damals so sehr geliebt habe. Das warst nur du, du alleine hast das alles geschafft!"

Sprachlos sah ich ihn an. Seine Worte waren magisch, genau wie damals in L.A. öffnete er mir sein Herz und verzauberte mich damit. Jeden Tag verliebte ich mich mehr in ihn, immer wieder überraschte er mich aufs Neue und ließ mein Herz höher schlagen. Er ließ mich meine Träume verwirklichen. 

"Ich liebe dich, Niall!"

Nur ein kleines Flüstern kam über meine Lippen, doch es bedeutete mir mehr als alles andere. Ich liebte ihn.

Eng umschlungen saßen wir am Fuße der riesigen Buchstaben und sahen auf die hell beleuchtete Stadt hinab. Am Horizont tauchten die ersten Sonnenstrahlen auf, langsam wachte L.A. wieder auf. Die Stadt, in der meine Träume wahr wurden, die Stadt, in der ich lieben gelernt hatte.

"Ich liebe dich auch, Lottie Williams"

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E N D E

CluelessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt