43. Primadonnen und Krimskrams

373 40 33
                                    

„Ich bin wieder da!" Meine Stimme hallte durch die ganze Wohnung, doch niemand antwortete. Irritiert runzelte ich die Stirn - irgendwie hatte ich erwartet, dass sich Holly und Alex immer noch zofften, doch es herrschte absolute Stille. Ich musste endlich mit Alex reden, ich konnte nicht mehr vor meinen Gefühlen davonlaufen. Ich hatte es schon so lange getan, die ganze Zeit hatte ich es geleugnet. 

„Hey, Baby!" Erschrocken quiekte ich auf und wirbelte herum. Alex lehnte nur mit einem Handtuch um die Hüften gebunden im Türrahmen und grinste mich schief an. Sofort beschleunigte sich mein Herzschlag. Ich hatte Angst vor dem, was kommen würde, hatte Angst vor seiner Reaktion, doch ich konnte mich nicht mehr länger selbst anlügen. 

„Alex, wir müssen reden!" Die Worte kamen nur stockend über meine Lippen, ängstlich blickte ich ihn an. Verwirrt sah mich Alex an, dann ließ er seinen Blick über meinen Körper wandern. „Ich hätte da eine andere Idee, Baby!", raunte er und zog mich an sich. 

Gierig begann er Küsse auf meinem Hals zu verteilen, seine Hände krallten sich in meinen Po, mit festem Griff drückte er meine Hüfte an seine. Instinktiv legte ich meine Hände auf seine Brust und versuchte mich von ihm zu lösen, doch Alex war mir eindeutig überlegen.

„Komm schon, Baby!", flüsterte er in mein Ohr, seine Hände verweilten immer noch auf meinem Hintern. „Ich meins ernst – lass mich los", rief ich lauter als beabsichtigt und schubste ihn von mir. Ich wollte nicht so von ihm angefasst werden, wollte nicht sein Objekt der Begierde sein.

"Okay, dann eben nicht!", sagte er mürrisch und schnappte sich seinen Sweater. Na toll, jetzt war sein Ego gekränkt - typisch Mann. Was war mit dem Alex passiert, in den ich mich verliebt hatte?

Die stundenlangen Gespräche über Gott und die Welt lagen in weiter Ferne, all die unbeschwerten Momente kamen mir so surreal vor. Alex hatte sich verändert, das war nicht mehr der Junge, der mein Herz im Sturm erobert hatte. Der Alex neben mir war eine sexorientierte Primadonna.

Ich rollte mit den Augen und folgte ihm in die Küche, mit verschränkten Armen lehnte er sich an die Arbeitsplatte. „Na schön, du willst reden. Reden wir!" Kühl sah er mich an und instinktiv schlang ich meine Arme um meinen Körper. Er war mir so fremd, die ganze Vertrautheit zwischen uns war wie weggeblasen. Als wäre sie nie da gewesen.

„Erklär doch zuerst mal das", sagte er provokant. Mit gerunzelter Stirn sah ich ihn an, dann erkannte ich das dünne Plättchen, das er zwischen seinen Fingern drehte. Überrascht sog ich die Luft ein, als ich es erkannte. Ich hatte keine Ahnung gehabt, dass ich es noch hatte, ich hatte nicht einen einzigen Gedanken daran verschwendet. Es war die ganze Zeit einfach da gewesen, tief verschollen in meiner Krimskramsschublade...

„Das ist doch nur so ein Gitarrendings!", flüsterte ich mit erstickter Stimme. „Es gehört ihm, nicht wahr? N.H.?" Wütend funkelte er mich an, dann drückte er mir das Plektron in die Hand. Seine Stimme war laut, zu laut, fast schon bedrohend baute er sich vor mir auf. 

In meinem Inneren brauste ein tosender Wirbelsturm, doch ich brachte kein Wort über die Lippen. Es war doch nur ein einfaches Plektron! Ein dummes Holzplättchen mit einer Gitarre und Initialen darauf, sonst nichts.

Seinen Initialen.

Nachdenklich betrachtete ich es, dann schlossen sich meine Finger um das dünne Plättchen. Es war das erste, das mir Niall geschenkt hatte. Schon vor Wochen, am Tag meiner Panikattacke, war er für mich da gewesen. Und in L.A. hatte er mir sein Vertrauen geschenkt und mir von Harry erzählt. Langsam füllten sich meine Augen mit Tränen. Niall schenkte mir so unglaublich viel. Ich vermisste ihn, mir fehlte die unbeschwerte Stimmung, sein ansteckendes Lachen, die sanften Gitarrenklänge am Abend. 

Und in diesem Moment wurde es mir schrecklich bewusst. Die Erkenntnis durchfuhr mich wie ein Blitz, unaufhaltsam bohrte sie sich in mein Herz: Ich wollte Niall. Ich wollte Niall schon seit Harrys Konzert in L.A. 

Damals war ich verliebt in den Moment gewesen, nur der Augenblick hatte gezählt. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung gehabt, dass der Moment nur wegen Niall so besonders war. 

Gerne zu tanzen war ein wichtiger Schritt, sich zu verlieben.

Und in diesem Moment konnte ich Jane Austen zustimmen – ich war verliebt. Ich liebte den dröhnenden Bass, liebte die Atmosphäre, liebte die Energie, die durch meinen Körper strömte. Ich war verliebt in diesen Moment.

Niall hatte mich alles vergessen lassen, meine Sorgen, meine Probleme, alles um mich herum. Es hatte an diesem Abend nicht nur mich und die Musik gegeben: Niall war da. Er war immer da und passte auf mich auf, er gab mir Halt. Ich hatte an diesem Abend getanzt, wie noch nie zuvor, gelacht und ich hatte begonnen zu lieben.

„Ich... Lottie, was soll ich dir sagen? Ich weiß, ich hab in Portugal Mist gebaut, aber ich dachte, wir können nochmal ganz neu starten. Das mit Joana war... okay, es war nicht einmalig, aber-" 

„Ich hab Niall geküsst!" Meine Stimme war ganz ruhig, als ich seine gestammelten Worte unterbrach.

Der Sturm in meinem Inneren hatte sich schon längst gelegt, nur ein sanfter Windhauch war davon zu spüren. Ich wollte ehrlich zu Alex sein, ich wollte ihn nicht länger anlügen, wir hatten beide die Wahrheit verdient. Ich musste endlich anfangen, ehrlich zu mir selbst zu sein. 

Mit großen Augen sah mich Alex an, stumm bewegte er seine Lippen, doch er brachte keinen Ton heraus. „Es war in L.A. Ich hab ihn geküsst. Und ich würde es wieder tun!" Ich flüsterte die letzten Worte nur, doch sie bedeuteten mehr als alles andere. Endlich war es mir klar geworden. Die ganze Zeit hatte ich versucht, es zu verdrängen, obwohl ich es immer gewusst hatte. 

Seit dem Konzert in L.A. empfand ich Gefühle für Niall. Er hatte mir damals gezeigt, was wahre Liebe war, er hatte mir mitten in L.A. auf dem Balkon sein Herz geöffnet. Eigentlich wusste ich es schon seit damals: ich hatte mich an diesem Abend verliebt.

Wir haben Angst vor der Liebe, dabei ist die Liebe das einzige, das uns vor unserer Angst retten kann. Ist das nicht verrückt, Lottie?

„Ich kann das nicht mehr, Alex!" Endlich hob ich meinen Blick und sah ihn an. Ich hatte Angst vor seiner Reaktion, doch nichts würde meine Entscheidung, meine Gefühle ändern. Immer hatte ich mir eingeredet, ich würde Alex lieben, doch es war eine Sehnsucht gewesen, ein Bild in meinem Kopf, das jedoch nie wirklich Form annahm. Ein Traum, eine Fantasie! Dabei wusste ich die ganze Zeit, dass wir uns verändert hatten, alle beide.

„Du machst also Schluss mit mir?" Seine Stimme zitterte, als er die Worte aussprach, doch seine Augen waren eiskalt. „Es tut mir leid, Alex", flüsterte ich leise und senkte meinen Blick. Wir hatten unfassbar schöne Stunden miteinander verbracht und ich war dankbar für alle Momente mit ihm, aber es war an Zeit, dass das Leben weiterging. Dass wir beide einen Schritt nach vorne machten – in verschiedene Richtungen.

Denn ich hatte mein Herz in L.A. gelassen und es nicht wieder in den Koffer gepackt und zurück nach London mitgenommen. Ich hatte es bei Niall gelassen.

____

Kleine Info: Kapitel 12 und 13 spielen hier eine nicht ganz unwichtige Rolle :) 

CluelessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt