39. Der Schlabbrador

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Gemeinsam saßen wir am Küchentisch, Holly und Liz saßen mir gegenüber. Eindringlich musterten sie mich, während ich versuchte, ihren prüfenden Blicken auszuweichen. Ich fühlte mich beinahe wie bei einem Verhör – es fehlte nur das Diktiergerät vor mir.

„Nochmal fürs Protokoll – du und Niall habt euch so lange umarmt und verliebt angesehen, weil ihr euch zufällig im Flieger getroffen habt? In seinem Privatjet?"

Schnell nickte ich und sah panisch zwischen den beiden hin und her. Es war sonnenklar, dass sie mir die Lüge nicht abkauften, doch wieder mal hatte sich meine Zunge verselbstständigt.

„Lottie, die Intelligenz verfolgt dich gnadenlos, aber du bist leider schneller!" Sofort brach ich in lautes Lachen aus. Holly hatte Recht – meine Ausrede war dumm. Schuldbewusst grinsend sah ich meine Freundinnen an. Ich wollte ihnen nicht erzählen, was wirklich passiert war, doch alles konnte ich ihnen nicht verschweigen.

„Na gut, ich habe Niall schon letzte Woche gesehen. Ich hab irgendwie die ganze Woche bei ihm gewohnt", nuschelte ich undeutlich und schlürfte meinem Tee. Entgeistert sahen sie mich an. „Du hast bei ihm gewohnt? Einfach so?" Schnell nickte ich. Es war nichts weiter zwischen Niall und mir passiert, es war alles wie immer. Skeptisch zog Holly ihre Augenbraue hoch.

„Du siehst so unschuldig aus, aber ich glaube dir nicht! I ship you! Nottie... oder Liall... ach irgendetwas fällt mir schon ein!", stellte sie fest und grinste mich verschmitzt an. „Das Knistern zwischen euch hab sogar ich gespürt. Aber unser Schlabbrador musste ja alles zerstören!" Sie seufzte theatralisch und warf die Hände in die Luft. Wieder musste ich laut lachen, als sie den Namen nannte – sie hatte Alex kurzerhand so getauft. 

Schlagartig verdüsterte sich meine Stimmung. Es war so merkwürdig... die ganze Zeit hatte ich mir gewünscht, ihn wieder zu sehen und kaum war er da, stand meine ganze Welt Kopf. Es war doch verrückt! Wieso musste es so verkorkst sein? Ich konnte Nialls Blick nicht vergessen, wie er mich angesehen hatte... so emotionslos und kalt. 

Aber es war meine eigene Schuld, ich hätte ihm von Anfang an von Alex erzählen sollen. Seit dem Kuss. Es war ihm gegenüber nicht fair, es war einfach falsch! Ich fühlte mich, als würde ich ihn hintergehen und betrügen. Niall war immer für mich da und ich nutzte es schamlos aus, ohne Skrupel und Schuldgefühle.

Ein lautes Klingeln an der Tür riss mich aus meinen Gedanken. Alex. Er hatte doch gesagt, er würde zu mir kommen.

„Das ist mein Stichwort – ich breche meinen Vorsatz nicht und halte Abstand! Tschüss, Lo!" Holly erhob sich und drückte mir einen Schmatzer auf die Wange, winkte Liz zu und öffnete schwungvoll die Tür. Alex sah sie verdattert an, dann erblickte er mich hinter ihr und ein kleines Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus.

„Hey, Lo!" Zaghaft erwiderte ich sein Lächeln. Noch immer war es so surreal, ich konnte immer noch nicht glauben, dass er tatsächlich wieder da war.

„Siehst du – er ist ein Schlabbrador!", raunte Holly Liz zu, dann zwängte sie sich an Alex vorbei und verschwand im dunklen Stiegenhaus, nicht ohne sich nochmals umzudrehen, ein Herz mit ihren Fingern zu formen und mir ein lautloses Niall zuzurufen. Liz begann wie verrückt zu grinsen, doch ich ignorierte sie geflissentlich. Zwischen Niall und mir war nie nichts passiert und so würde es auch bleiben.

„Ich freu mich, dich zu sehen!"

Als ich nichts erwiderte, trat er über die Türschwelle und sah sich unbeholfen im Flur um. Nervös kaute ich auf meiner Unterlippe. Ich freute mich auch ihn zu sehen. Irgendwie.

____

„Wieso hast du mir nicht geantwortet?"

Alex hatte es sich in meinem Bett gemütlich gemacht, während ich mich auf meinen Schreibtischstuhl gekauert hatte. „Ich habe mein Handy dummerweise verloren!", erklärte ich ihm monoton, dann schwieg ich wieder.

„Oh, das erklärt einiges. Ich hab dir ziemlich viele Nachrichten geschickt, als ich die ganzen Artikel gesehen habe!" Verwirrt sah ich ihn an. Welche Artikel? In den letzten Tagen war nichts Aufregendes vorgefallen, jedenfalls nichts, was an die Presse gelangen sollte. Dinge, die generell kein Mensch erfahren sollte.

„Man siehst dich überall mit diesem Typen, mit dem du vorhin am Flughafen warst. Dieser Neil, Nils oder so! Da sind überall Fotos von euch in L.A." „Niall", verbesserte ich ihn leise und sah auf meine Hände. Ich hatte den Ring immer noch in meiner Tasche verstaut, irgendetwas hatte mich gehindert, ihn wieder zu tragen. 

Also waren Niall und ich in L.A. doch nicht ungeschoren davongekommen – eigentlich hatten wir die ganze Zeit gewusst, dass uns Paparazzi folgten, doch in dem Moment war es mir total egal gewesen.

Alex folgte meinem Blick, kleine Sorgenfalten bildeten sich auf seiner Stirn, doch er sagte nichts dazu. Natürlich war ihm nicht entgangen, dass der Ring weg war. Wieso musste ich auch so dumm sein und ihn in meiner Tasche lassen?

„Hast du wieder mal geputzt?", fragte er mich dann. Röte schoss in mein Gesicht, verlegen setzte ich mich auf meine Hände, um den fehlenden Ring zu verstecken. Als er ihn mir geschenkt hatte, hatte er mir lachend erklärt, dass es die Vorbereitung für den Heiratsantrag wäre und ich mich schon an seinen Ring an meinem Finger gewöhnen sollte – schließlich sollte ich ihn ein Leben lang tragen.

„Ach egal, tut doch nichts zur Sache!", fügte er schnell hinzu und senkte seinen Blick. Sofort nagte mein schlechtes Gewissen an mir – ich wollte ihn doch nicht verletzen! Nervös knetete ich meine Hände, dann erhob ich mich kurzerhand und setzte mich neben ihn auf mein Bett. Zaghaft lächelte er mich an.

„Es hat sich wohl ziemlich viel verändert, während ich weg war, oder Lo?" Ich traute mich kaum, den Blick zu heben. Er hatte Recht – es hatte sich viel verändert, wir beide hatten uns verändert. Schweigend lehnte ich meinen Kopf an seine Schulter. Wir brauchten einfach nur Zeit, das war alles.

„Ich hab dich lieb, Lo!" Ich vernahm nur ein leises Wispern, dann drückte er mir einen Kuss auf meine Haare.

„Ich hab dich auch lieb!"

CluelessWhere stories live. Discover now