9. Kapitel

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Im nächsten Moment wurde ich von einem riesigen Blitzlichtgewitter überrascht. Kameras, wo auch immer ich hinsah. „Harry Styles, wer ist das Mädchen?" „Harry, wann kommt die neue Single?" „Wann kommt es zu einer Reunion?" „Wird One Direction wieder zusammen auftreten?"

Fragen über Fragen. Foto um Foto. 

Harry antwortete nicht sondern schob mich durch die Menge der Fotographen. Moment – war das nicht Peter gewesen? Bewaffnet mit einem großen Mikrophon und einer teuer aussehenden schwarzen Kamera? Der schweigsame Peter mit seinem roten Schopf! Doch bevor ich ihn genauer unter die Lupe nehmen konnte, wurde ich von Harry sanft, aber bestimmt weitergeschoben und ich verlor Peter in der Menge. Was machte er hier? Gehörte er nicht zum Management von Harry?

„Verdammt, wo ist Greg?", fluchte er und sah über seine Schulter, wobei er mich jedoch nicht ausließ. Sein Griff um meine Schulter verstärkte sich, als hätte er Angst, mich zu verlieren. 

Ich hasste mich selbst für den Gedanken, doch es fühlte sich gut an, neben Harry zu sein. Ich fühlte mich sicher, beschützt, geborgen – auch mitten im Getümmel, zwischen all den Fotographen und Fans. Normalerweise wäre ich schon längst in Panik ausgebrochen, doch bei Harry war es anders. Er strahlte eine ganz besondere Ruhe aus.

Doch dann hörte ich eine tiefe Stimme brüllen: „Aus dem Weg, machen Sie Platz! Los, weg da!" Erleichtert atmete Harry auf. Anscheinend fühlte nicht nur er sich zwischen den ganzen Fotographen und Fans unwohl. Nur wenige Augenblicke später entdeckte ich den stämmigen, bärtigen Mann mit Sonnenbrille, zu dem die Stimme gehörte. Im Nu bahnte er sich einen Weg zu Harry und mir und schirmte uns von den Fotographen ab, allerdings fiel mir auf, dass mich Harry immer wieder geschickt aus seiner Reichweite zog. Verwirrt sah ich ihn an. Wollte er etwa, dass wir derartig bedrängt wurden?

„Hierher!" 

„Harry Styles, ein Interview!" 

„HAAAARYYYY!"

Greg war nun nicht mehr auf meiner Seite, sondern heftete sich Harry an die Fersen. Nur der Klammergriff, mit dem Harry meine Hand hielt, trennte mich nicht von ihm. Immer mehr Menschen versammelten sich um uns, Leute schrien Harry Namen, einige fotografierten uns und wiederum andere beobachteten das ganze Spektakel, ohne sich einen Millimeter zu bewegen. Plötzlich stellte sich ein Mädchen in den Weg und Harrys Hand löste sich von meiner. In nur wenigen Sekunden stand ich allein zwischen den Fans. Neinneinnein! Ich brauchte Harrys Halt, er dufte meine Hand nicht auslassen! Nur wegen ihm blieb ich gerade eben so ruhig! 

Ich blieb stehen und schnappte nach Luft, doch ich wurde von der Menge mitgeschleppt. Mein Atem wurde immer kürzer, die Atemzüge immer schneller. Noch nie konnte ich es ausstehen, wenn ich bedrängt wurde oder mich jemand einengte. Wie betäubt versuchte ich mich aus der Menge zu befreien, doch es war zwecklos. Es gab keinen Ausweg: ich war allein, mitten in der Menschenmenge. Alle schrien, doch ich nahm nur ein dumpfes, ohrenbetäubendes Rauschen wahr. 

Ich versuchte, Harry Namen zu rufen, doch vergeblich: mein Hals schnürte sich immer weiter zu und ich brachte keinen Ton heraus. Komm schon, reiß dich zusammen! Das ist dein großer Auftritt!

Die Hände um meinen Hals drückten schmerzhaft auf meine Kehle, der Druck wurde immer stärker. Ich wollte hier weg, ich wollte schreien, doch es war umsonst. Kein Ton kam aus meinem Mund. Außerdem hätte man mein Rufen ohnehin nicht hören können – alle schrien Harrys Namen, ich war lediglich sein Anhängsel. Ich war nur ein weiteres Mädchen, das verzweifelt nach ihm rief, eine unter Tausenden. 

Keuchend kniete ich mich auf den Boden und schlang meine Arme um meine Knie. Ich brauchte Luft zum Atmen, doch ich fühlte mich, als wäre ich in einer riesigen Blase, aus der langsam jeglicher Sauerstoff gesogen wurde. Langsam, aber sicher. „HARRY!", keuchte ich verzweifelt und versuchte meine Tränen unterdrücken, doch es war zwecklos – schon strömten sie über meine Wangen, während ich hilflos nach Luft schnappte. Die ganze Welt schien sich zu drehen, ich nahm alles nur mehr verschwommen wahr. 

Harry und ich kannten uns kaum, doch ich brauchte seine Hilfe. Er war der einzige, der gerade für mich da sein konnte.

Doch Harry hörte mich nicht. Er war weg. Ein Mädchen steig unsanft über mich, ein anderes stolperte über meinen Fuß. Niemand interessierte sich für das nach Luft ringende Mädchen am Boden, jeder wollte den großen Star sehen. 

Kleine schwarze Punkte erschienen vor meinen Augen. Verdammt, ich brauchte Luft! Ich wollte hier raus! Bloß nicht ohnmächtig werden, Lottie!, rief meine kleine innere Stimme, doch ich nahm sie kaum wahr. Dableiben!

„Lottie! LOTTIE!"

Eine starke Hand griff nach meinem Oberarm und jemand zog mich auf die Beine. Frische Luft strömte durch meine Atemwege, meine Lunge füllte sich mit Sauerstoff. 

„Macht doch mal Platz!", brüllte eine vertraute Stimme. „Los, komm schon." Nur wenige Sekunden später verlor ich den Boden unter meinen Füßen, irgendjemand hob mich hoch. Moment, war das Harry?

Moment, WAS?

Schnell ließ ich Revue passieren, was gerade eben geschehen war. Das konnte doch nicht wahr sein! Nein, ich hatte geträumt, es war nur ein Albtraum, alles war gut. Das Treffen würde erst morgen stattfinden! 

Doch die leisen flüsternden Stimmen bestätigten meine Gedanken nicht. Ich spürte Harrys Herzschlag durch sein Hemd, spürte seine Arme, die mich stützen. Spürte die Blicke der anderen auf mir.

Ich hatte alles vermasselt, Amanda vertraute mir so sehr und ich konnte nicht mal fünf Minuten durch die Straßen laufen, ohne eine Panikattacke zu bekommen!

Meine Augen waren immer noch geschlossen, ich hatte Angst, sie zu öffnen und zu sehen, vor wie vielen Leuten ich mich gerade blamiert hatte. „sag doch was!", rief Harry verzweifelt und schüttelte mich kurz. „Mir geht's gut", murmelte ich mit immer noch geschlossenen Augen. Holly würde mich hassen. 

Amanda, Liz, Harry. Alex. 

„Scheiße", flüsterte ich und seufzte leise. Was hatte ich nur getan? Erst jetzt fiel mir auf, dass ich mich die ganze Zeit an Harry lehnte und er mich festhielt. Die Knöchel meiner Finger traten weiß hervor, da ich mich mit aller Kraft an Harrys Hemd klammerte. Schnell löste ich mich aus seiner Umarmung, dann knickten meine Knie ein. Verdammt! „Alles gut, ich bringe dich hier weg!", murmelte er in mein Ohr. 

„Die Show ist vorbei!", rief er dann laut. Endlich traute ich mich, meine Augen zu öffnen und sofort stockte mir der Atem. Etwa fünfzig Mädchen umringten uns in einem sicheren Abstand, alle starrten mich mit weit aufgerissenen Augen an. Einige tuschelten miteinander, andere zückten ihre Handys und filmten meine wirklich filmreife Panikattacke. 

Das Problem – es war nicht gespielt. Das so ziemlich einzig Ehrliche an der ganzen Situation. Dahinter sah ich einige der Fotographen, die ein Foto nach dem anderen schossen. Widerlinge.

„Kannst du laufen?", fragte mich Harry besorgt und sah mich prüfend an. Er hielt mich immer noch mit seinen starken Armen fest. „Wir müssen hier weg, gleich kannst du dich hinsetzen.", meinte er leise. Verlegen nickte ich und er legte meinen Arm um seine Schultern, während er mich stütze. „Weit sind wir ja nicht gekommen, das Auto steht gleich um die nächste Ecke!", sagte er und gluckste leise. Ein kleines Grinsen schlick sich auf meine Lippen – es stimmte: weit waren wir wirklich nicht gekommen.

Keines der Mädchen schrie Harry Namen, als er mich durch die Menge führte, die meisten traten einen Schritt zurück, um uns Platz zu machen und wenn sich jemand weigerte, wurde er einfach von den anderen zurückgezogen.

Ich versuchte mich auf meinen Beinen zu halten und mit wackeligen Knien und Harrys Hilfe gingen wir zurück zum Auto, in dem mich Peter hergefahren hatte.

„Na los, Kleines, setz dich hin", meinte Harry leise und ich hievte mich auf den Beifahrersitz. Er versicherte sich, dass mit mir alles in Ordnung war, dann stieg er selbst auf der Fahrerseite ein. Ich fragte gar nicht nach, woher er den Schlüssel hatte, sondern ließ einfach alles mit mir geschehen.

„Das war ein toller Auftritt, Lottie Williams!", sagte er lächelnd und reichte mir eine Wasserflasche, dann startete er den Motor. 

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