12. Kapitel

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„Ich bringe dich nach Hause!", meinte Harry und schob mich an durch den Flur. Hastig schnappte ich mir meine Tasche und blickte über meine Schulter. Niall stand da und lächelte mich leicht an. 

Die letzten zwei Stunden hatten die beiden Jungs vor dem Fernseher verbracht – irgendein Golfturnier wurde übertragen. Währenddessen hatte ich mit Nialls Erlaubnis in seinem Musikzimmer gestöbert, mir Zeitungsartikel über die Band angesehen, verschiedene Alben gehört und ein wenig Klavier gespielt. Nur die Gitarre hatte ich nicht angerührt – es schien, als wäre sie Nialls Heiligtum.

Harry war genauso freundlich und höflich wie vorher, doch er mied meinen Blick immer noch. In den letzten zwei Stunden hatte er kein einziges Mal mit mir gesprochen, er hatte mich nicht mal wahrgenommen. Verzweifelt biss ich mir auf die Lippe – was hatte ich getan?

Niall folgte meinem Blick, dann räusperte er sich laut und winkte mich unauffällig zu ihm. Zögernd sah ich Harry an: es schien, als würde mich dieser möglichst schnell loswerden wollen. „Geh schon mal vor, ich zeig Lottie noch schnell meine Plektren-Sammlung, sie wollte mir vorhin nicht glauben, wie viele ich habe!", rief er Harry zu. 

Dieser schien genauso verwundert zu sein wie ich, nickte dann aber nur und trat über die Schwelle. Verwirrt starrte ich Niall an, ging dann aber auf ihn zu – wir hatten nicht ein einziges Wort über Plektren verloren.

„Mach dir keinen Kopf wegen Harry, Lottie. Es ist nicht so einfach für ihn, wie du vielleicht denkst, es gibt einfach Sachen, die... naja, die nur wir wissen. Seine engsten Freunde. Aber er beruhigt sich wieder – wenn er dich nicht mögen würde, hätte er dem Angebot nicht zugestimmt. Alles ist gut!" 

Aufmunternd lächelte er mich an und schloss mich kurzerhand in seine Arme. Überrumpelt ließ ich es mit mir geschehen, dann hatte er mich auch schon wieder losgelassen. „Hier, nimm das mit – sonst wird er dir nicht glauben, dass wir uns tatsächlich die Plektren angesehen haben, sondern meint, dass wir sonst was getrieben haben!", meinte er glucksend und drückte mir ein Plektrum in die Hand. Lächelnd schloss ich das Plättchen aus Holz in meine Hand.

„Tschüss, Niall!"

„Mach's gut, Lottie!"

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Mittlerweile war die Sonne untergegangen, fröstelnd lehnte ich mich in den weichen Sitz des Autos zurück. Ich hätte meine Jacke doch mitnehmen sollen, Holly hatte mir noch dazu geraten!

Harry starrte stur geradeaus, ich war mir ziemlich sicher, dass er nicht mit mir reden wollte, doch plötzlich regte er sich und griff mit einer Hand auf die Rückbank, wobei er den Verkehr nicht aus den Augen ließ. „Hier, nimm das", meinte er dann und reichte mir seine Jacke, die er schon am Nachmittag getragen hatte. Überrascht schaute ich ihn an, schlüpfte dann aber schnell in die Jacke.

Sofort stieg mir sein Geruch in die Nase – er roch unbeschreiblich gut, beinahe so gut wie Alex. „Dankeschön", flüsterte ich leise. Ich hätte niemals gedacht, dass er wirklich so feinfühlig und aufmerksam war. Anscheinend ignorierte er mich doch nicht.

„Harry, darf ich dich was fragen?"

Schweigen. Ich konnte meinen Herzschlag in meinen Ohren hören, so still war es. Nur der Motor des Autos war zu hören.

„Natürlich". Ich zögerte und drehte das Plektrum von Niall in meinen Händen hin und her.

„Wieso machst du es?"

Stille. Die Stille war dröhnend laut. Sie schrie, brüllte mich an.

Harry wusste genau, wovon ich sprach und ich war mir ziemlich sicher, dass ich niemals eine Antwort auf die Frage erhalten würde. Ich war schließlich nur ich, er könnte jeden auf der Welt daten!

Jeder Mensch, der auch nur Augen im Kopf hatte, konnte erkennen, dass Harry Styles einfach wunderbar war. Er konnte jeden haben: Schauspielerinnen, Models, Musiker – alle würden sich darum reißen, an meiner Stelle zu sein. Er müsste nur einmal mit dem Finger schnippen und schon würden sich alle möglichen Supermodels mit ihm treffen.

Nervös begann er einen Rhythmus auf dem Lenkrad zu trommeln. Ich hätte die Frage nicht stellen sollen, doch natürlich war meine unsensible Zunge schneller gewesen. Na bravo!Natürlich platze immer alles aus mir raus, obwohl ich doch eigentlich darauf aufpassen sollte, was ich von gab. Gerade jetzt!

„Ach vergiss es, das war blöd von mir!", murmelte ich schnell und sah aus dem Fenster. Wir kurvten durch Londons Straßen und nachdenklich  beobachtete ich die einzelnen Menschen, die noch unterwegs waren. Harry gab während der ganzen Fahrt keinen Ton von sich, stur sah er geradeaus. Doch ich erwartete auch nichts anderes – immerhin hatte ich für heute genug angerichtet.

Endlich kamen wir zum Stehen – Harry hatte mich bis vor die Haustür zu unserem Loft kutschiert, nachdem ich ihm die Adresse genannt hatte. Schnell griff ich nach meiner Tasche und wollte aussteigen, doch dann unterbrach Harry die Stille.

„Du bist du, weißt du?" Perplex drehte ich mich wieder zu ihm um und zum ersten Mal, seitdem wir bei Niall angekommen waren, sah er mir wieder in die Augen. Diese wunderwunderschönen grünen Augen.

„Versteh mich nicht falsch – du bist toll, aber du bist... ein einfaches Mädchen. Du verkörperst die Menschen aus dem Fandom. Viele haben den Traum, einen von und zu daten und du zeigst ihnen, dass es möglich ist, als einfaches Mädchen an und zu gelangen. Ich weiß, es ist egoistisch, arrogant und natürlich weiß ich von deiner Schauspielkarriere, aber du bist noch ganz am Anfang. Bis jetzt bist du für viele ein... niemand. Das gibt ihnen Hoffnung. Und genau deshalb haben wir uns dieses Mal für dich entschieden und nicht wieder für Tay-"

Er unterbrach sich selbst und raufte sich die Haare. „Nicht für jemand anderen. Ich hoffe du verstehst das. Mach's gut, Lottie".

Mit diesen Worten stieg er aus und ließ mich verblüfft im Wagen sitzen. 

CluelessWhere stories live. Discover now