26. Lottie Williams

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Mit geschlossenen Augen lag ich auf dem Sofa. Holly hatte es sich neben mir bequem gemacht und war sofort eingeschlafen, nachdem sie lallend beteuert hatte, wie schade sie es fand, dass ich mich um Fasching nicht als Spiegelei verkleiden wollte.

Eine sanfte Brise strich über mein Gesicht, in der Ferne hörte man Leute lachen. Harry schien immer noch zu telefonieren, denn er war noch nicht zurückgekehrt. 

Ich spürte, wie jemand eine Decke über mich legte und erspähte Nialls Silhouette in der Dunkelheit. Anscheinend dachte er ich würde schlafen, genau wie Holly. Im Gegensatz zu Holly und mir war er hellwach, mit dem Rücken zu uns gekehrt beobachtete er durch die geöffnete Terrassentür die Stadt. 

Was er wohl gerade dachte? An wen er dachte? Nachdenklich betrachtete ich ihn. Er hatte so viel erreicht, hatte mit so viel zu kämpfen gehabt und war dennoch ein so wundervoller Mensch. Genau wie Harry. Ich hatte Niall unglaublich gerne, ich fühlte mich in seiner Nähe sicher und geborgen, einfach gut aufgehoben.

Ob Alex gerade jetzt an mich dachte? Ob er mich wohl vermisste? Hatte er überhaupt auf meine Nachricht geantwortet? In den letzten Stunden hatte ich nicht einen Blick auf mein Handy geworfen, sondern erfolgreich alle Gedanken an Alex weggesperrt, doch nun siegte meine Neugier.

Möglichst leise erhob ich mich vom Sofa, um Holly nicht zu wecken und tapste in den Flur, wo ich meine Handtasche liegen gelassen hatte. Erschrocken wandte sich Niall um, als er meine leisen Schritte hörte, nickte dann aber nur kurz, als ich lautlos zu meiner Tasche deutete.

Rasch kramte ich mein Handy aus der Clutch und warf einen Blick auf den Bildschirm. Liz hatte mir eine Nachricht hinterlassen, doch Alex hatte sich immer noch nicht gemeldet. Leise seufzend ließ ich das Handy wieder zurück in die Tasche gleiten. 

Ich würde ihn morgen anrufen, ich wollte endlich mit ihm reden. Wir hatten noch nie so lange keinen Kontakt gehabt, doch ich brauchte ihn. Er war mein Fels in der Brandung. Und ich würde alles dafür tun, dass alles wieder gut werden würde. Ich konnte nicht immer vor meinen Problemen davonlaufen, sie würden trotzdem mit einem hämischen Grinsen immer auf mich warten.

Plötzlich ließ mich Harrys lauter werdende Stimme aufhorchen. Er telefonierte tatsächlich noch, doch er klang nicht besonders erfreut. Auf Zehenspitzen näherte ich mich der Tür, hinter der seine Stimme hervordrang. Er hatte gerade eben meinen Namen gesagt, ich hatte mich bestimmt nicht getäuscht!

„Ja, sie ist noch hier... nein, ich glaube Holly mag sie auch... bist du verrückt?...nein, hör du zu! Du musst mir vertrauen!... Lottie ist in Ordnung..."

Mit gerunzelter Stirn hielt ich inne. Kein Zweifel – Harry sprach über mich, doch mit wem? Wer sollte ihm vertrauen, auf wen war er so wütend?

„Na?"

Erschrocken fuhr ich herum. Niall lehnte im Türrahmen und betrachtete mich mit verschränkten Armen. Hecktisch sah ich mich um, als könnte ich irgendwo einen Ausweg aus der dummen Situation finden, doch es war vergeblich. „Los, komm mit!", flüsterte er und durchquerte das Wohnzimmer, dann trat er auf den Balkon. Mit hochrotem Kopf hastete ich ihm hinterher. Zuerst bediente ich mich bei seiner Bar und dann wurde ich beim Spionieren ertappt. Du machst dich sehr gut, wirklich toll!

„Ich wollte nicht lauschen, es ist einfach passiert!", platze es aus mir heraus. Niall sagte nichts, sondern sah mich nur schweigend an. Sofort fühlte ich mich noch schlechter – sie sorgten sich beide so rührend um mich und ich hatte nichts Besseres zu tun als sie zu belauschen und auszuspionieren.

„Was hast du alles gehört?"

„Gar nichts, ich hab nur meinen Namen gehört und hab irgendwie zugehört, das war keine Absicht!" Schnell versuchte ich mich zu erklären, doch Niall musterte mich weiterhin schweigend. Ich konnte seinen Blick nicht deuten – war er wütend? Oder enttäuscht?

„Lottie..." Endlich regte sich Niall und lehnte sich an die Brüstung. „Ich mache gerade eben wahrscheinlich den größten Fehler meines Lebens und werde mich in einer Stunde dafür genau von diesem Balkon stürzen wollen, aber hey – wir leben im hier und jetzt, oder?" 

Ich nickte fast unmerklich und sah Niall verwirrt an. Was in aller Welt war los? Was bedeutete Harrys Telefonat? Und was wollte Niall mir sagen? Nervös biss er sich auf die Unterlippe, es sah so aus, als würde er mit sich ringen. Als würde er genau wissen, dass er eigentlich schweigen müsste.

„Du fragst dich vielleicht seit geraumer Zeit, wieso Harry die Beziehung mit dir eingegangen ist. Schließlich hat er so ziemlich alles erreicht, nicht wahr? Es wäre also alles nur zu deinen Gunsten." Verblüfft sah ich Niall an. Er hatte Recht, der Gedanke spukte mir seit Tagen im Kopf herum – ich konnte Harry absolut nichts bieten. Ich war nur ich.

„Was wäre... naja – was wäre wenn auch er einen Vorteil aus der Beziehung ziehen könnte?" 

Verlegen sah er in die Ferne. Ich verstand die Welt nicht mehr. Welchen Vorteil sollte Harry durch mich haben? Er war Harry Styles! Mir fiel unser Gespräch im Auto ein, in dem er mir erzählt hatte, ich würde die Mädchen aus dem Fandom verkörpern. Doch das konnte nicht der einzige Grund sein... schließlich würde er auch ohne Freundin Erfolg haben, das war garantiert.

„Niall, was meinst du damit?"

„Denk mal über deinen Namen nach. Hat Harry nie darauf reagiert? Es war das erste, das mir aufgefallen ist."

Ich hatte nicht gedacht, dass mich Niall noch mehr verwirren konnte, doch genau das war gerade geschehen. Mein Name? Was in aller Welt hatte denn mein Name mit der ganzen Sache zu tun? Lottie war ein Allerweltname und auch Williams war nicht selten vertreten... Urplötzlich fiel es mir wie ein Schuppen von den Augen.

Ich war beim Meeting nicht wirklich... nett zu dir. Ich war einfach ein bisschen neben der Spur, dein Name hat es ja auch nicht einfacher gemacht...

Genau das hatte Harry zu mir vor unserem ersten gemeinsamen Auftritt gesagt! Schon damals hatte ich mich gewundert, mich aber nie wirklich damit beschäftigt. In dem Moment hatte ich ganz andere Sorgen gehabt. Dein Name hat es ja auch nicht einfacher gemacht...

„Niall, bitte sag es mir!" Ich schluckte den Kloß in meinem Hals, ich wollte endlich wissen, was los war, wollte nicht weiterhin im Dunkeln tappen. Ahnungslos sein.

„Sein zweiter Name ist Williams. Seine kleine Schwester heißt Lottie. Ein bisschen zu viel Zufall auf einmal, nicht wahr?"

CluelessWo Geschichten leben. Entdecke jetzt