33. bastardi

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Zufrieden schulterte ich meinen Rucksack. Es war bereits die dritte Woche, in der wir drehten und wir hatten schon wieder viel länger an den Szenen gearbeitet als geplant, doch das war okay - schließlich sollte der Film perfekt werden. Alles musste sitzen.

"Bye, bis morgen!", rief ich Frederic über meine Schulter zu, dann lief ich zur nächsten Straßenbahnhaltestelle. Frederic war ein toller Partner - wir verstanden uns prima und vielen sagten, dass man auch vor der Kamera sehen konnte, dass die Chemie zwischen uns stimmte.

Ridley Forster hatte also eine hervorragende Auswahl für die zwei Hauptrollen im Film gemacht. Erleichtert dachte ich an die nächsten zwei Tage: ich würde nach drei anstrengenden Wochen endlich eine kleine Pause machen können und musste nicht ans Set.

Minutenlang wartete ich an der Haltestelle, doch keine Straßenbahn war in Sicht. Genervt machte ich mich zu Fuß auf den Heimweg. Es war zwar schon dunkel und tröpfelte leicht, doch es war nicht weit und außerdem würde es mir guttun, noch ein wenig zu spazieren und mir die Beine zu vertreten. Die langen Drehtage machten sich langsam bemerkbar, ich war müde und erschöpft, doch das war es wert: noch nie hatte ich so viel Herzblut in einen Film gesteckt wie diesen.

Die Schauspieler, Statisten, Stylisten - alle machten einen großartigen Job und ich konnte mich mehr als nur glücklich schätzen, Teil dieses Teams zu sein. Auch wenn keine der Stylistinnen dasselbe Wunderwerk vollbringen könnte wie Holly, fühlte ich mich dort unglaublich wohl. Lächelnd dachte ich an meine verrückte Freundin: bald würde ich sie und Liz wiedersehen. Mittlerweile hatte ich mich in die Stadt verliebt - ich liebte die Atmosphäre, das Essen, die Menschen... es war meine Traumstadt, hier würde ich bestimmt ein zweites Zuhause finden, doch es war nicht London.

"Hey, Süße!"

Eine tiefe Stimme riss mich aus den Gedanken. Erschrocken wandte ich mich um. Neben mir war ein Auto zum Stehen gekommen, zwei breit grinsende Männer lachten mich an, beide schienen einen ziemlich hohen Alkoholgehalt im Blut zu haben. Schnell senkte ich meinen Blick und beschleunigte meine Schritte. Ich hatte absolut keine Lust mich jetzt mit diesen pöbelnden Männern auseinanderzusetzen.

"Uiuiui, da hat es jemand eilig!"
Ich schnaubte kurz auf, doch ich schenkte ihnen keine Achtung. Bloß nicht ihr Selbstvertrauen stärken, Lottchen!

"Komm schon, Baby, wir könnten doch ein bisschen Spaß haben!", rief mir der eine auf der Fahrerseite zu.

"Lasst mich in Ruhe!", zischte ich mit zusammengebissen Zähnen. Wieso war es hier so menschenleer, wo waren denn all die Leute, die einem sonst im Weg standen, wenn man sie brauchte?
Das schwarze Auto beschleunigte und verschwand in der nächsten Kurve. Erleichtert atmete ich auf - erst jetzt fiel mir auf, dass ich jede einzelne Faser meines Körpers angespannt hatte. Solche Idioten! Ich hätte doch auf die Straßenbahn warten sollen...

Ich stöpselte mir meine Kopfhörer ins Ohr und ließ meine Playlist laufen. Sofort ertönte sanfte Gitarrenklänge: Sum41, with me - eines meiner absoluten Lieblingslieder. Leise summte ich die Melodie dazu. Ob Harry bald wieder ein Konzert geben würde? Vielleicht in L.A. oder London? Ich würde auf jeden Fall wieder hingehen, ich würde den Abend immer wieder wiederholen wollen! Grinsend dachte ich an das Konzert zurück.

Ein grässliches Geräusch ließ mich aufhorchen, die Bremsen des Autos quietschten laut. Ich blickte nervös auf, dann rutschte mein Herz in die Magengegend. Da war er wieder. Der schwarze Wagen. Diese ekelhaften Typen waren tatsächlich umgekehrt! Panisch schnappte ich nach Luft. Bloß nicht durchdrehen, du musst dich zusammenreißen!

Meine Schritte wurden immer schneller, doch die Männer fuhr gelassen neben mir her.
Hektisch sah ich mich um - hier gab es keine enge Gasse, in welche ich ausweichen, keine Tür, an die ich klopfen, kein Mensch, der mich schreien hörte könnte.
Der Wagen hielt an, dann stieg der Mann auf dem Beifahrersitz aus. Ein hämisches Grinsen zierte sein abscheuliches Gesicht.
Komm schon, Lottie, nachdenken! Selbstverteidigungskurs, 8. Klasse!
"Ich hab doch gesagt ihr sollt mich in Ruhe lassen!"

Mir großen Schritten kam er auf mich zu, während ich rückwärts versuchte, ihn von mir fern zu halten. Ich würde nie eine Chance gegen ihn haben, körperlich war er mir total überlegen... Außerdem hatte er seinen Freund mitgebracht - natürlich waren sie zu zweit. Was auch sonst.

Er machte einen Satz nach vorne und griff nach meiner Hand. Wütend entzog ich sie ihm - ich würde mich nicht von ihm anfassen lassen, ganz bestimmt nicht.

Mein Atem wurde immer kürzer, immer weniger Sauerstoff drang in meine Lungen. Irgendwie musste ich hier weg, irgendjemand musste mir helfen!
"Wohin so schnell, Baby?" Die Stimme ließ mich erstarren, urplötzlich blieb ich stehen. Kurz setzte mein Herzschlag aus, dann begann mein Herz noch schneller zu rasen als vorhin. Die Stimme war genau hinter mir ertönt.

Nein, nein das konnte nicht wahr sein, es war alles nur ein böser Traum! Während ich versucht hatte, mir den einen von Hals zu halten, war der Fahrer ausgestiegen und hatte sich mir von der anderen Seite genähert. Wie dumm konnte ich eigentlich sein? Ich hatte doch gewusst, dass sie zu zweit waren!

Seine Hände wanderten über meine Arme und streichelten über meinen Rücken. Diese ekelhaften, schmutzigen Hände. "Fass mich nicht an!", brüllte ich, doch die Antwort war nur ein diabolisches Lachen. Jeder Muskel, jede Faser meines Körpers war angespannt, meine Hände ballten sich zu Fäusten. Lottie Williams ließ sich nicht unterkriegen!

Wütend funkelte ich sie an. Ich durfte keine Schwäche zeigen, das würde sie nur noch mehr anstacheln... doch scheinbar bewirkte ich mit meiner wütenden Reaktion genau das: lachend näherten sie sich mir. Ich spürte seinen heißen Atem auf meiner Haut, spürte seine Hände auf meiner Taille.

"Ma che bastardi, sei uno stronzo, lasciami andare! Lasciatemi in pace!" Eine Salve italienischer Schimpfwörter kam aus meinem Mund. Alles, was ich jemals im Haus meiner Großeltern gehört hatte, brüllte ich meinen Angreifern ins Gesicht. Einer der beiden hielt mich an den Handgelenken fest, während ich panisch in alle Richtungen trat. Ich wollte nur weg hier! Das Gefühl in meiner Brust wurde immer enger, als würde sich jemand darauf setzen und alle Luft aus meinen Lungen quetschen.

"Nicht so stürmisch!" Seine raue Stimme ertönte ganz nah an meinem Ohr, sein stinkender Atem stieg mir in die Nase. Ich wollte nicht wissen, wie viel er getrunken hatte, doch er war nicht mehr vollständig Herr seiner Sinne. Das war meine Chance. Der einzige Vorteil, der mir blieb: ich war nüchtern.
Mit aller Kraft trat ich um mich und wollte mich von seinem Klammergriff befreien, doch es war zwecklos. Ich war ihnen schutzlos ausgeliefert.

Sie grinsten satanistisch, dann näherte sich der Kleinere der beiden mir und krallte seine Hände in meinen Po, stöhnend begann er, Küsse auf meinem Hals zu verteilen. Tränen stiegen in meine Augen - doch es war keine Tränen der Schwäche. Ich hatte noch nie in meinem Leben solchen Zorn verspürt, solche Wut und derartigen Hass empfunden. Und ehe ich mich versah, spuckte ich ihm mitten ins Gesicht.

Er hatte anscheinend genauso wenig wie ich damit gerechnet: Erstaunt sah er mich an, sein fester Griff um meine Handgelenke lockerte sich. Das war meine Chance, ich musste es irgendwie schaffen, von ihm loszukommen. Seine Reaktion war aufgrund des Alkohols verlangsamt, ich hatte nur diese eine Möglichkeit! In Sekundenschnelle wirbelte ich herum und rammte mein Knie zwischen die Beine des zweiten Angreifers.

Er keuchte vor Schmerz auf und riss die Augen weit auf, endlich lösten sich seine schmutzigen Hände von meiner Hüfte.

Ich rannte los. Mein Rucksack lag noch immer auf dem Boden zwischen den beiden Männern, doch das war egal. Sie riefen nach mir, machten Anstalten, mir nachzulaufen, doch ich blendete alles aus. Ich rannte um mein Leben, keuchend setzte ich einen Fuß vor den anderen. Tränen strömte über meine Wangen, laut schluchzend lief ich immer weiter. Ich wusste selbst nicht wohin mich meine Beine trugen, ich wusste nur eines: ich wollte in Sicherheit sein.

Immer schneller rannte ich durch die Straßen L.A.s, meine Beine trugen mich von ganz alleine weiter, dann blieb ich keuchend stehen. Ich hatte sie schon längst abgehängt, doch ich konnte ihre Hände immer noch an meinem Körper spüren. Diese ekelhaften, schmierigen Hände.

Der Regen klatschte mir ins Gesicht, meine Jeansjacke war mittlerweile völlig durchnässt. Verzweifelt sah ich mich um, ich hatte keinen blassen Schimmer wo ich war. Wo war Peter, wenn man ihn brauchte?

Dann stutze ich. Das Straßenschild sah ich nicht zum ersten Mal.

CluelessWhere stories live. Discover now