10. Kapitel

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Verlegen nippte ich an der Wasserflasche, die mir Harry gegeben hatte. Ich konnte es immer noch nicht fassen, dass ich gerade eben vor den Augen hunderter Menschen eine derartige Panikattacke gehabt hatte. Außerdem schien mein vermaledeiter Kreislauf die komplette Kontrolle über meinen Körper übernommen zu haben. 

Mein Handy summte in meiner Hosentasche, doch ich blendete das Vibrieren aus und starrte beschämt aus dem Fenster. Wahrscheinlich war es Amanda, die sicher schon von dem Desaster erfahren hatte. 

Nervös blickte ich zu Harry. Konzentriert starrte er auf die Straße und lenkte das Auto zielsicher durch die Straßen Londons. Ich hatte keine Ahnung, wohin er fuhr, doch ich fragte nicht nach. Wahrscheinlich würde der ganze Vertrag platzen, jetzt, nachdem ich mich nicht mal fünf Minuten lang erwartungsgemäß mit Harry präsentieren konnte. 

Harry musste kochen vor Wut – ihm war das bestimmt noch nie passiert, er und seine ehemaligen Bandmitglieder hatten sicherlich noch keinen derartigen Anfall in der Öffentlichkeit gehabt! Und kaum war ich da, zerstörte ich alles. Es waren nicht mal fünf Minuten! Dann hast du schon schlappgemacht!

Ich wandte meinen Blick wieder von Harry ab und starrte genau wie er wieder auf die Straße. Sein Handy klingelte einige Male, doch er ignorierte es genauso gekonnt wie ich. Ich hatte mich wohl doch überschätzt, genauso wie mich Amanda, Liz und Alex überschätzt hatten.

„Harry...", begann ich leise. Er sah nicht von der Straße auf, gab aber ein undeutliches Brummen von sich. „Es... es tut mir so leid, ich wollte nicht, dass so etwas passiert, ehrlich! Es war das erste Mal, dass wir uns gezeigt haben und schon habe ich alles vermasselt, ich will auf keinen Fall, dass die Presse schlecht über dich berichtet! Ich mein... ich verstehe, wenn ihr den Vertrag kündigen wollt, es ist wohl doch alles... zu viel". 

Endlich sah er von der Straße auf und starrte mich mit seinen wunderschönen, so unglaublich wunderschönen grünen Augen an. „Hey, nicht doch!", sagte er überrascht. „Mach dir keinen Kopf, wir regeln das schon". Zuversichtlich lächelte er mich an. Ich stutzte – ich hatte wirklich mit allem gerechnet, nur nicht damit. Ich war darauf gefasst, dass er mich anschrie, dass er mich ignorierte oder er mich sofort einen Kopf kürzer machte – aber nicht damit. 

Leise seufzte ich. Er war anscheinend wirklich so perfekt, wie er von den Fans dargestellt wurde; wahrscheinlich fühlte ich mich deshalb in seiner Gegenwart so wohl. Für einige Minuten schwieg ich baff. Es war einfach viel zu überwältigend für mein kleines Ich.

„Danke, Harry, für alles", meinte ich schließlich leise und sah ihn aufrichtig an. Er wandte seinen Blick nicht von der Straße ab, doch ich konnte ein kleines Lächeln erkennen. Ein richtiger Traummann. Wenn ich nicht Alex hätte, würde ich mich wahrscheinlich Hals über Kopf in Harry Styles verlieben – kein Wunder, dass er so viele Fans hatte. Natürlich war seine Musik unglaublich schön, doch er hatte das gewisse Extra. Er war für die Bühne und die Öffentlichkeit gemacht.

Born to be a star schoss mir durch den Kopf und ich musste schmunzeln. Harry Styles war definitiv der geborene Star.

„Wohin fahren wir eigentlich?", fragte ich ihn, nachdem wir einige Minuten geschwiegen hatten. Nachdenklich biss er sich auf die Unterlippe, als müsste er sich die Antwort erst überlegen. „Wir fahren zu einem... uhm... alten Freund von mir, er wohnt gleich in der Nähe und es war das erste Haus, das mit eingefallen ist. Es ist am besten, wenn du dich ein wenig ausruhst und wir uns jetzt nicht mehr draußen zeigen. Außerdem muss ich sowieso zu ihm", erklärte er mir schließlich zögernd. 

Bei Harry Styles sein und nicht im Rampenlicht zu sein waren zwei totale Gegensätze, doch ich entspannte mich ein wenig und ließ mich in den Sitz zurückfallen. Er schien genau zu wissen, was er tat und immerhin war er es bestimmt gewohnt, aus dem Rampenlicht zu fliehen. Wer war aber sein geheimnisvoller Freund, zu dem er mich bringen wollte? 

Eigentlich wollte ich nur noch nach Hause und mich in meinem Bett vergraben, mit Alex telefonieren und einen großen Schokopudding in mich hineinstopfen. Wenn Schokolade gegen Dementoren half, würde sie mir auch bei einer meiner Panikattacken helfen.

Nur wenige Augenblicke später bog Harry rechts ab und kam vor einem riesigen Tor zum Stehen. Neugierig sah ich mich um und nahm nun zum ersten Mal die Umgebung richtig wahr. Wir waren ein wenig außerhalb des Zentrums, doch er hatte Recht – wir waren tatsächlich nahe am Studio, wo ich ihn vorhin abgeholt hatte. Erst jetzt fiel mir auf, dass er einen riesengroßen Umweg gefahren war – anscheinend wollte er verhindern, dass jemand wusste, wo wir hinfahren würden. 

Die Gegend war bekannt für ihre luxuriösen Villen und Wohnungen, hier wohnten die Wohlhabenden Londons. Ich war schon öfters mit Liz hierhergekommen und wir hatten uns lachend ausgemalt, in welchem der Häuser wir jemals wohnen würden – natürlich immer in einer Penthouse-Wohnung. 

Leider hatte unser Budget nur für eine kleine Dreizimmerwohnung gereicht, doch ich liebte unser Loft. Zwar nichts Großes, aber es war unser Zuhause.

Plötzlich begann sich das Tor zu bewegen und ich erspähte das Gebäude in seinem vollen Glanz. Es war bestimmt eines der schönsten Anwesen hier in der Gegend: elegant und schlicht, nicht zu protzig und trotzdem gemütlich. 

Harry parkte den Wagen des schweigsamen Peters direkt vor der Tür, sprang auf und ehe ich mich versah öffnete er die Tür des Beifahrersitzes – ein echter Gentleman also. Voller Unbehagen stieg ich aus; ich wollte keine Extrabehandlung. Er legte seinen Arm auf meinen Rücken, um mich notfalls zu stützen und sah mich immer wieder besorgt an, während er mich zur Tür begleitete. Wahrscheinlich sah ich genauso schrecklich aus wie ich mich fühlte. 

Ohne Zögern trat er ein führte mich zum Aufzug. Voller Staunen sah ich mich um: von innen sah das Haus noch schöner aus als von außen. Modern, aber nicht zu modern, sondern hell und geräumig. Ich betrachtete mich im Spiegel des Aufzugs. Ich ähnelte mehr einer Vogelscheuche als einem lieben, hübschen Mädchen. Seufzend wandte ich meinen Blick wieder von meinem Spiegelbild ab. Sehr aufmunternd war es ja nicht.

„Hi, ich bin's!", rief Harry, als sich die Aufzugtüren öffneten. Der Aufzug hatte uns ins oberste Geschoss gebracht, anscheinend handelte es sich um eine der luxuriösen Wohnungen, die man direkt vom Aufzug betreten konnte. Man hörte das Rauschen eines Fernsehers, außerdem schien aus irgendeinem Raum Musik zu kommen.

„Oioi!", tönte es aus einem der vielen Räume und das Rauschen des Fernsehers verstummte. Harry grinste, doch sein Grinsen tröpfelte wie Stinksaft von seinem Gesicht, als er meinen Blick traf. Hatte ich etwas falsch gemacht? Ich hatte doch gar nicht gesagt, ich stand doch einfach nur da...

„Nein, ich bin nicht mit... ich mein, ich... ich bin nicht alleine, aber es...". Harry verstummte und wandte sich ab. Verloren stand ich im großen Eingangsbereich. Was war los? Bisher war er so freundlich zu mir, so unglaublich liebevoll und fürsorglich und jetzt mied er eindeutig meinen Blick! Doch bevor ich irgendetwas sagen konnte, ertönte die Stimme ein weiteres Mal und ich hörte, wie sich Schritte näherten.

„Hi, Har- ohh". Seine blauen Augen weiteten sich als er mich sah und wanderten einige Male zwischen Harry und mir hin und her. Wie angewurzelt blieb er im Türrahmen stehen und starrte uns an, doch keiner von uns beiden sagte ein Wort.

Dann, nach einer gefühlten Ewigkeit, regte er sich und kam auf mich zu. „Schön dich kennenzulernen, Lottie!" 

CluelessWhere stories live. Discover now