41. oh fuck off!

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„Tschüss, Harry!" Schnell sammelte ich meine Sachen auf und stopfte sie in meinen Rucksack, dann sprang ich aus dem Auto. Geduckt lief ich unter den Vorsprung und steckte den Schlüssel ins Schloss. Hinter mir setzte sich der Range Rover in Bewegung und ich trat erleichtert ins Trockene. Laute Stimmen ertönten aus der Küche und mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend streifte ich mir meine Regenjacke ab. Worüber stritten sie dieses Mal?

„Ich mal auch gerne, so Malen nach Zahlen!"
„Papperlapapp Mister Möchtegern, lass die Finger von meinen Zeichnungen und meiner besten Freundin! Ich kann dich hier nicht brauchen!"
„Ich dich genauso wenig!"

„Stimmt, das Einzige, das du brauchst, ist eine Stylingberatung!"

Mit einem lauten Räuspern machte ich mich bemerkbar, woraufhin beide mit weit aufgerissenen Augen herumwirbelten. „Ihr scheint euch ja richtig gern zu haben!", sagte ich trocken und rollte mit den Augen, dann setzte ich mich auf die Arbeitsplatte. Holly saß am Küchentisch und malte in ihrem Notizbüchlein herum, während Alex an einer Bierflasche nippte.

„Sie ist anstrengend!", erklärte mir Alex und drückte mir einen Kuss auf die Lippen. „Hey, Baby!" „Ich mag dich nicht, Alexander Cooper!", entgegnete Holly keck und grinste mich schuldbewusst an. Die beiden konnten sich nicht ausstehen und machten daraus auch kein Geheimnis. Ich verkniff mir ein Grinsen und ging nicht auf ihr übliches Kabbeln ein.

„Wollen wir später Rommé spielen?", fragte ich sie hoffnungsvoll, doch der Blick, den sie daraufhin austauschten, sprach Bände. Seufzend rollte ich mit meinen Augen und rutschte von der Arbeitsplatte. Es war offensichtlich, dass sie sich am liebsten an die Gurgel gehen möchten. Hoffentlich würde Liz bald auftauchen und mich nicht länger mit den Streithähnen alleine lassen.

Ich schnappte mir meinen Rucksack und begann darin nach meinem Handy zu suchen, vielleicht hatte sie mir eine Nachricht hinterlassen. Hektisch durchwühlte ich meine Sachen, sogar die Taschen meiner Regenjacke, doch mein nagelneues Handy blieb verschollen. Wieso musste ich so chaotisch sein? Kurzerhand kippte ich den ganzen Inhalt auf den Tisch, doch es war vergeblich - das heißgeliebte Teil war und blieb verschwunden.

„Ich muss nochmal los, überlebt ihr das?", fragte ich sie und schnappte mir meine Regenjacke. Es musste mir aus der Tasche gefallen sein, als ich vorhin alles in den Rucksack gestopft hatte, Harry hatte es also in aller Seelenruhe zu sich nach Hause kutschiert. Normalerweise würde es mir nichts ausmachen, doch Amanda würde nach dem heutigen Interview bestimmt nicht lockerlassen und mich mit Anrufen bombardieren.

„Nein! Hör zu, Lottie, du kannst mich nicht schon wieder mit ihm alleine lassen!", sagte Holly und sah mich entgeistert an. Grinsend drückte ich ihr einen Schmatzer auf die Wange und verabschiedete mich von Alex. „Du quälst mich, Lottie!", raunte er in mein Ohr, doch ich quittierte seine Aussage nur mit einem kleinen Lächeln. Irgendwann mussten sie lernen, miteinander zurecht zu kommen.

Nur wenige Minuten später lief ich wieder in den Regen hinaus und zur nächsten Tube. Schnee zog ich mir die Kapuze tiefer in die Stirn. Mittlerweile hatte der Regen nachgelassen, doch die Kapuze war eine gute Tarnung. Es würden bestimmt nicht mehr viele Menschen unterwegs sein, die mich erkennen würden und außerdem fühlte es sich herrlich normal an, durch den Regen zur Station zu stapfen.

Es war beinahe so wie früher.

____

Ich schlängelte mich zwischen all den Autos durch, die vor dem Gebäude parkten. Normalerweise war hier keine Menschenseele, doch heute herrschte reger Betrieb. Ich sah mich unsicher um, dann tippte ich schnell den Code ein, der mir Zugang zum Gebäude verschaffte. Harry rechnete bestimmt nicht schon wieder mit mir, doch es würde ihm bestimmt nichts ausmachen, wenn ich aufkreuzte - die Stimmung Zuhause war ohnehin unzumutbar. Ich unterdrückte ein kleines Glucksen, als mir einfiel, dass Holly und Alex nicht bei uns wohnten, allerdings die ganze Wohnung in Beschlag nahmen.

„Sorry, darf ich?" Eine Stimme ertönte hinter mir, dann zwängte sich jemand durch den schmalen Spalt zwischen Tür und Angel, bevor sie zufiel. Mein Herz machte einen kleinen Hüpfer, als ich ihn erkannte, dann begann es wie verrückt zu rasen.

Er sah müde aus, tiefe Augenringe schmückten sein Gesicht und seine Wangen wirkten eingefallen. „Hey, Niall!" Ich versuchte den Kloß in meinem Hals zu schlucken, doch er blieb hartnäckig da, wo er war. Ich wollte etwas sagen, wollte ihm sagen, wie sehr er mir in den letzten Tagen gefehlt hatte, doch kein Wort kam über meine Lippen.

Er sah mich nicht weniger entgeistert an. „Hey!", sagte er vorsichtig und lächelte mich leicht an. Schnell räusperte ich mich und blickte auf den Boden. Wir hatten uns seit Tagen nicht gesehen und unser letztes Aufeinandertreffen wollte mir einfach nicht aus dem Kopf gehen. Die Vertrautheit zwischen uns war wie weggefegt, wir standen uns gegenüber, als wären wir Fremde. Als wäre nie nichts zwischen uns gewesen.

„Ich wusste nicht, dass du auch hier bist!", stammelte ich nach einer gefühlten Ewigkeit. „Wir Jungs wollten mal wieder alle gemeinsam abhängen!", antwortete er mir kühl und vergrub seine Hände in den Hosentaschen. „Das... uhm, das klingt gut!" Na toll, wieder mal fielen Lottie Williams etliche Gesprächsthemen auf einmal ein. Einfach fantastisch!

„Na los, komm mit!", murmelte Niall und lief in die Richtung des Aufzugs. Zögernd folgte ich ihm. Es war so merkwürdig, ihn wieder zu sehen. Er fehlte mir, ich vermisste sein lautes Lachen und seine albernen Witze. Einfach alles an ihm.

Die Aufzugtüren öffneten sich mit einem leisen Pling und zum ersten Mal sah ich mein Spiegelbild. Wie zu erwarten, sah ich grauenhaft aus - es war also der passende Moment, Niall zu begegnen. Wieso musste ich Niall eigentlich immer total durchnässt und klatschnass treffen? Missmutig verdrängte ich den Gedanken. Wieso sollte ich Niall überhaupt gefallen wollen? Er ist Niall Horan, Schätzchen.

„Hör zu, ich wollte am Flughafen nicht einfach so abhauen, ich hab mich daneben benommen. Tut mir leid, Lo - uhm, Lottie meine ich natürlich", sagte er plötzlich und fuhr sich unsicher durch die Haare. Erstaunt sah ich ihn an. Ich hatte mit allem gerechnet, nur nicht damit. Sofort plagte mich mein schlechtes Gewissen. Niall konnte doch nichts dafür, ich allein war für die dumme Situation verantwortlich!

„Nein, es ist meine Schuld. Ich hätte-", begann ich, doch die Aufzugtüren unterbrachen mich ein weiteres Mal. Es war so verkorkst, mittlerweile schien es mein Schicksal nicht mehr gut mit mir zu meinen. Mit einem leisen Seufzen folgte ich Niall aus dem Aufzug und ging mit ihm auf Harrys Appartement zu. Schon wieder ließ mich mein Mut im Stich. Wieso konnte ich ihm nicht sagen, dass er mir fehlte?

Niall fischte einen Schlüssel aus seiner Hosentasche und steckte ihn ins Schlüsselloch, dann schwang die Tür geräuschlos nach innen auf. Ich war schon oft bei Harry gewesen, doch das aufgeregte Kribbeln in meinem Bauch ließ nicht nach. Wieso konnte sich mein Herzschlag nicht beruhigen?

Gedankenverloren lief ich ins Wohnzimmer, doch nur eine Sekunde später blieb ich wie angewurzelt stehen. Ich spürte wie Niall nach meinem abrupten Manöver gegen mich rannte und seine Hände auf meine Taille legte, damit wir nicht den Halt verloren, doch ich konnte meinen Blick nicht abwenden. Ungläubig und mit großen Augen sah ich sie an. „Oops", hörte ich Niall hinter mir sagen. Keiner von uns regte sich, es schien, als wären alle vier mit der Situation überfordert.

„Hi!", stammelte ich. Natürlich konnte sich Lottie Williams nicht beim Reinkommen bemerkbar machen, was auch sonst. Sie war für Fettnäpfchen wie geschaffen! Endlich lösten sich Nialls Hände von meiner Taille.

Wie erstarrt sahen uns die beiden an. Louis war der erste, der sich aus der Starre löste.

„Oh fuck off!"

CluelessWhere stories live. Discover now