Wandelnder Traum

By yazkalbim

116K 7.5K 1.6K

»Wenn du eine Lüge lebst, wirst du sie irgendwann so sehr verinnerlichen, dass sie zu deiner Wahrheit wird.«... More

Einleitung
Prolog
Eins
Zwei
Drei
Vier
Fünf
Sechs
Sieben
Acht
Neun
Zehn
Elf
Zwölf
Dreizehn
Vierzehn
Fünfzehn
Sechzehn
Siebzehn
Achtzehn
Neunzehn
Zwanzig
Einundzwanzig
Zweiundzwanzig
Dreiundzwanzig
Vierundzwanzig
Fünfundzwanzig
Siebenundzwanzig
Achtundzwanzig
Neunundzwanzig
Dreißig
Einunddreißig
Zweiunddreißig
Dreiunddreißig
Vierunddreißig
Fünfunddreißig
Sechsunddreißig
Siebenunddreißig
Achtunddreißig
Neununddreißig
Vierzig
Einundvierzig
Zweiundvierzig
Dreiundvierzig
Abschluss
Wattys2020

Sechsundzwanzig

1.9K 147 25
By yazkalbim

A Z A D


Rüyas Locken, die sie zu einem legeren Zopf hochgebunden hatte, sprangen in alle Richtungen ab. Einige kringelten sich an ihrem Hals entlang. Es juckte Azad in den Fingern, den Zopf zu lösen (oder zumindest, was noch davon übrig war) und seine Hände in ihren Haaren zu vergraben. Ihre Augen waren konzentriert zusammengekniffen, während sie das Ende eines Bleistifts an ihre Lippen gelegt hatte und die Zettelwirtschaft vor ihr betrachtete. Necmiye Teyze kam herein und brachte neuen Tee. Azad stöhnte auf. »Ich sag's euch, nach diesem Tag werde ich nie wieder Tee trinken können!«
»Azad, würdest du jetzt endlich mal sagen, welches Restaurant du besser findest?« Rüya klang ziemlich genervt. Schon seit Stunden saßen sie nun hier und versuchten alles für die Hochzeit, die in weniger als drei Wochen stattfinden würde, nachdem sie nun endlich einen Termin beim Standesamt bekommen hatten, vorzubereiten. Wobei Rüya eigentlich das meiste machte und Azad mit allem zufrieden war, solange sie heirateten. Das ›Wie‹ war ihm ziemlich egal. »Baby«, meinte Azad, »Warum ist das denn so wichtig? Essen ist Essen. Joshua wird alles essen, keine Sorge.«
Tatsächlich wusste der Mistkerl zwar noch nicht, dass er Trauzeuge werden würde, aber Azad konnte sich gut vorstellen, dass er nichts gegen die Gelegenheit haben würde, sie permanent mit schlechten Witzen aufzuziehen. Er war sich sogar ziemlich sicher.
»Es sind nunmal etwas mehr als nur Joshua anwesend.« Rüya war knallhart. Sie hatte nicht viele Gäste gewollt, aber einige waren es doch schon geworden. Vor allem, wenn man bedachte, dass Necmiye Arslan all ihre Bekannten einladen musste. »Sag mir«, murmelte Azad, »warum brennen wir eigentlich nicht einfach durch?«
Rüya verdrehte die Augen. »Werte das als ein Durchbrennen, ja? Du bist zu nichts zu gebrauchen!«
»Hey! Ich habe Termine für Wohnungsbesichtigungen ausgemacht.«
Ironisch entgegnete Rüya: »Nachdem ich dich dazu gedrängt und dir die Nummern rausgesucht habe.«
Er zuckte geschlagen mit den Schultern und streckte seine Beine aus. Der harte Wohnzimmerboden war ziemlich ungemütlich. Sie hatten sich zum ersten Mal in seiner kleinen Wohnung getroffen, die er hauptsächlich zum Schlafen benutzte. Fast der gesamte Boden war von Bildern und Zetteln eingenommen. Er seufzte ergeben und wählte schließlich ein Restaurant aus. »Hier ist mehr Platz und es sieht besser aus«, begründete er seine Wahl. Rüya notierte sich die Entscheidung und strich sich eine Strähne zurück. Es war fast später Nachmittag. Plötzlich klingelte Azads Handy. Fluchend suchte er es unter den ganzen Blättern bis Rüya es ihm hinhielt. »Scheint wichtig zu sein«, meinte sie mit einem Blick aufs Display. Er erkannte bereits am Klingelton, dass er vom Revier angerufen wurde - und seufzte. Das konnte nichts Gutes bedeuten. Er entschuldigte sich bei Rüya und stand auf, noch während er annahm. »Hey, Prinzesprinz, beweg deinen hübschen Hintern hier rüber. Wir haben einen neuen Fall.«
Azad fluchte. Er hatte bereits die ganze Nacht gearbeitet. Mit den Fingern rieb er sich die Stirn. »Bin gleich da.«
»Briefing in einer halben Stunde. Beeil dich.«
Er legte auf und kehrte ins Wohnzimmer zurück. Rüya schaute auf. Bereits an seiner Mine konnte sie erkennen, was er ihr mitteilen würde. Sie seufzte. »Ist schon okay, Herr Polizist. Geh schon.«
Am Liebsten hätte er sie an sich gedrückt und zum Abschied geküsst, aber da sie noch nicht verheiratet waren, begnügte er sich schließlich mit einem entschuldigenden Lächeln. »Tut mir so Leid, Rüyam (Meine Rüya).«
Sie winkte seufzend ab und sah völlig geschlagen aus. »Ich hasse Hochzeiten. Und jetzt verschwinde, bevor ich mit diesen Katalogen auf dich losgehe, Azadım (Mein Azad).«
Er musste grinsen und verließ tatsächlich das Haus.

  »Wow, da kommt ja unser Mann der Stunde!«, grölte Joshua durch das ganze Restaurant. Für einen Polizisten lenkte er verdammt viel Aufmerksamkeit auf sich. Cara neben ihm schlug ihn, woraufhin Joshua sich den Arm rieb und sich beschwerte. Azad zog eine Augenbraue hob, nickte dem dunkelhäutigen Polizisten am Ende des Tisches zu, der dabei war Pommes zu verschlingen. Dann rückte er den Stuhl für Rüya zurecht und setzte sich selbst, nachdem er Platz genommen hat.
»Du brauchst mich nicht immer so zu schlagen!«, murrte Joshua wütend. Cara funkelte ihn an. »Hör auf so ein Weichei zu sein, Adams!«
»Ich meine es ernst, Cara! Gewalttätiges Biest.«
Bevor Cara ihrer Empörung Ausdruck verleihen konnte, mischte sich Azad in das Gespräch. »Hey, Leute.«
Rüya strich sich mit der Hand eine Strähne aus dem Gesicht. »Ich wusste es!«, brüllte plötzlich Joshua und zeigte mit dem Finger auf den funkelnden Ring. Sie erstarrte überrumpelt und schien erst gar nicht zu wissen, was jetzt los war. Grinsend wandte sich Joshua an Azad. »Du Mistkerl! Und du sagst auch nichts!«
Der Dunkelhäutige stemmte sein Gesicht in die Hand und schirmte sich so von Joshua ab. »Gott, Adams, du bist einfach nur peinlich. Wie hältst du es nur mit ihm aus?«, fragte er an Azad gewandt. Dieser machte ein saures Gesicht. »Man nimmt, was man kriegt.«
»Perversling, du liebst mich!«, behauptete Joshua. »Jetzt lenkt nicht vom Thema ab. Seit wann bist du verlobt, Azad Kaya?«
Wieder huschte ein seltsamer Ausdruck über Azads Gesicht. Rüya richtete ihre Gabel auf ihn. »Frag lieber, wann die Hochzeit ist.«
»Wann ist die Hochzeit?«
»In weniger als drei Wochen«, antwortete Azad. Joshua pfiff, während Cara ihn wieder schlug, ehe er einen bescheuerten Kommentar abgeben konnte und der Dunkelhäutige grinste. »Mit Vollgas da durch, oder wie, Kaya?«
»Das ist übrigens Darius Spencer«, stellte ihn Azad Rüya vor. »Spencer, das ist meine Verlobte Rüya.«
Darius nickte höflich. »Freut mich dich kennenzulernen.«
»Die Freude ist ganz meinerseits.«
Eine Kellnerin kam an den Tisch und fragte Azad und Rüya nach ihrer Bestellung. Die anderen hatten bereits ihre aufgegeben bevor sie gekommen waren. Azad schaute über Rüyas Schulter hinweg in die Menükarte, die sie geöffnet hatte. »Pasta klingt gut«, sagte sie leise. Er streifte ihre Haare zur Seite, um einen besseren Blick auf die Karte zu haben. Oder aber, um sie einfach nur zu berühren und ihr nahe zu kommen. Weil er nicht anders konnte, als dem Verlangen sie zu berühren, nachzugeben. Weil er nicht anders konnte als ihr nahe zu sein und sie daran zu erinnern, dass sie mit ihm hier war. Azad hob den Blick und bestellte Pasta für beide. Joshua schüttelte seinen Kopf. »Du bist hinüber, Mann«, meinte er und nahm einen Schluck aus seinem Glas. Schalk glitzerte in seinen Augen. Darius machte ein erstickendes Geräusch. »Viel Spaß dabei dich in Ketten legen zu lassen.«
Cara verdrehte die Augen. »Ihr seid so unreif. Azad kann von Glück sprechen.«
Joshua protestierte: »Wir sind nur nicht bereit uns einer Frau unterzuordnen und unsere Freiheit aufzugeben.«
»Weil ihr nun mal nicht stark genug seid wie wir Frauen. Deswegen hast du also solche Angst, dass deine scheinbare Überlegenheit dir bei einer Ehe abhanden kommt, Joshua.« Caras Spott war beißend und doch neckend. Zwischen beiden spielte sich etwas ab, das Außenstehende nicht begreifen konnten. Azad schüttelte den Kopf. »Falsche Antwort, Mann. Glaub's mir: Ich habe die richtige begriffen.« Dann grinste er und zwinkerte seiner Verlobten zu. Sie errötete etwas und sank tiefer in ihren Stuhl. Darius meinte erstickt: »Das habe ich damals auch gedacht. Aber oh, die Scheidung war so hässlich.«
»Ihr seid alle ja wirklich unterstützend«, beschwerte sich Rüya. »Am Ende bekommt Azad kalte Füße und läuft mir davon, wenn ihr so weitermacht.«
Lautes Lachen brach aus und Joshua erwiderte grinsend: »Der? Der ist so hin und weg von dir, dass höchstens du diejenige mit den kalten Füßen bist. Sieh ein, dass dir besser damit geraten wäre mich zu erwählen als meinen Partner.«
»Hey!«, warf Azad schneidend ein. »Hör auf mit meinem Mädchen zu flirten, du eifersüchtiger Bastard.«
Vor lauter Lachen bekam Rüya fast schon keine Luft mehr. Das Geplänkel setzte seinen Weg fort und Joshua erörterte, warum es als Trauzeuge seine Pflicht sei mit Rüya zu flirten. Etwas später wurde ihnen das Essen serviert und noch etwas später machten Azad und Rüya sich auf den Weg, um Selin zu besuchen. Azad hatte mehrere Tage damit zugebracht so lange und viel zu arbeiten, dass sie sich kaum gesehen hatten. Und auch der Albtraum der vergangenen Wochen schien wie in weiter Ferne zu liegen. Azad schwelgte in dem Wissen, dass er Rüya bald heiraten würde. Er konnte es irgendwo immer noch nicht fassen. Es war so schnell gegangen und niemals hatte er damit gerechnet eine Frau zu finden. Und selbst wenn - sie zu heiraten. Aber er schien außerstande zu sein, Rüya ziehen zu lassen. Sie war die seine und das wusste er. Auch, wenn es besser für sie gewesen wäre, hätte er sie in Ruhe gelassen. Aber er konnte nicht. Azad Kaya konnte den Traum, den er zu fassen bekommen hatte, nicht wieder loslassen. Er wusste, dass das, was er tat, nicht fair ihr gegenüber war, aber bei Gott, er war ihr verfallen und wollte endlich anfangen wieder zu leben. Sie war sein Traum, der auf zwei Beinen wandelte.

Necmiye Arslan schüttelte ihren Kopf. Azads Mine verfinsterte sich. »Das ist jetzt schon der fünfte Anzug, der dir nicht gefällt.«
»Oğlum [Mein Junge], du heiratest. Da musst du einen Anzug haben, der perfekt passt.«
Azad stieß genervte Verwünschungen aus. »Verdammt noch mal, ich will sie doch bloß heiraten!«
Seine Tante strafte ihn mit einem strengen Blick. »Das gehört dazu.« Sie schüttelte erneut ihren Blick als sie ihn über die Auswahl von Anzügen gleiten ließ. Dann entschied seine Tante sich einen Angestellten zu finden, der ihr eine größere Auswahl zeigte. Azad seufzte angestrengt und rieb sich die Stirn. Er war dabei zu heiraten, verdammt. Von sich aus könnte er auch Shorts tragen. Seine blauen Augen stachen ihm in dem Spiegel entgegen. Blaue, kalte Augen. Verlogen. Die Realität traf ihn. Verflucht nochmal, was machte er da eigentlich? Wie hatte er je auf die irrsinnige Idee kommen können, Rüya jemals zu heiraten? Überhaupt jemanden zu heiraten, aber ausgerechnet Rüya? Er presste die Zähne zusammen. Ihr das anzutun war einfach nicht richtig. Sie hatte ja keine Ahnung, auf was sie sich wirklich einließ. Noch war es nicht zu spät...zu spät, um zu gehen. Um das Richtige zu tun und sie in Ruhe zu lassen. Aus ihrem Leben zu verschwinden. Andererseits war die Heirat das Schlauste, das er tun konnte. Für einen Moment spielte er mit dem Gedanken. Bis das Wirrwarr unterbrochen wurde. Reflexartig griff er nach der Waffe am Hosenbund, nur um zu bemerken, dass sie nicht da war. Er hatte vergessen, dass er sie abgelegt hatte. Er sah in harte Augen. »Steht dir gut«, nickte ihm der Mann zu. Die Augen viel zu wissend, viel zu dunkel. Azad presste die Zähne fester zusammen. Es war ein Zeugnis seiner aufgewühlten Gedanken, dass er ihn nicht vorher bemerkt hatte. »Verflucht, was willst du hier?«
»Ich darf dir doch gratulieren? War doch ziemlich enttäuscht, als ich keine Einladung bekam.« Ein Grinsen legte sich auf harte Lippen. Die Augen des Mannes wanderten über den Anzug. »Scheiße, Mann, du warst schon immer einer, dem die Dinger wirklich gestanden haben.« Er lachte. Azad behielt das Geschäft im Auge. Bald würde seine Tante zurückkehren. »Warum tauchst du hier auf.«
Sein Gegenüber war ein Profi. Nicht ein einziger seiner Gesichtszüge entglitt ihm. Aber Azad war mindestens genauso erfahren. Hatte es unweigerlich lernen müssen. Die Kunst des Betrügens und Lügens.
»Meinen Job«, antwortete sein Gegenüber. Der Mann legte seinen Kopf schief. Dann reichte er ihm schweigend einen Briefumschlag. Unauffällig. Für Außenstehende würde es bloß so aussehen als würden sie Hände schütteln. »Wenn der Winter um ist, erwachen die Tiere aus ihrem Schlaf. Und dann sind sie hungrig.«
Azad seufzte. »Verflucht, das alles kann ich gerade echt nicht gebrauchen.«
»So ist das Leben.« Nico zuckte mit den Schultern. »Wenn alles scheiße ist, kann man sicher sein, dass alles nur noch beschissener wird.«
»Motivierend wie immer.«
Nico zuckte noch einmal mit seinen Schultern. »Das alles wird nie zu Ende sein. Vergiss nicht, was zu tun ist. Und was du alles mit nur einem falschen Wort riskierst.« Der Mann steckte seine Hände in die Jackentasche und sah mit seiner zerschlissenen Kleidung und den unordentlichen Haaren so gefährlich und lässig wie eh und je aus. Ein starker Kontrast zu Azad, der in dem Anzug mustergültig wirkte. Dabei war vielleicht Azad gefährlicher als dieser Mann. Er verstand sich nur besser darin die Gefahr für die guten, legalen Dinge zu verwenden. Zumindest hatte es so den Anschein. »Alles Gute zur Hochzeit«, meinte der Mann verschmitzt und dann ging er. Kurz darauf kehrte Necmiye Arslan zurück, unwissend und nichts ahnend.

Continue Reading

You'll Also Like

55.8K 2.2K 97
Wenn aus zwei Mannschaftskameraden plötzlich mehr als nur das werden... wenn ein Mann auf einmal feststellt, dass er einen anderen Mann liebt... und...
9.7K 328 11
Ein ganz normales Mädchen, nicht Arm und auch nicht Reich, lebt mit ihrer 1 Jahr älteren Schwester in einer 3-Zimmer Wohnung in Frankfurt, da die bei...
You Belong To Me By Marie

Mystery / Thriller

29.8K 618 30
》𝑀𝒶𝓎𝒷𝑒 𝒾𝓉'𝓈 𝓃𝑜𝓉 𝒶𝒷𝑜𝓊𝓉 𝒽𝒶𝓅𝓅𝓎 𝑒𝓃𝒹𝒾𝓃𝑔. 𝑀𝒶𝓎𝒷𝑒 𝒾𝓉'𝓈 𝒶𝒷𝑜𝓊𝓉 𝓉𝒽𝑒 𝓈𝓉𝑜𝓇𝓎.《 Ivy ist in einer Kleinstadt in Iowa...
2.5M 71K 74
Ich wäre in meiner Welt voller Lügen ertrunken, bis er gekommen ist. Er zeigte mir ein Leben, ein Leben was ich noch nie zuvor erlebt habe. Wäre er n...