Kapitel 35 - Die dritte Aufgabe

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Der Wind zerrte an meinen Haaren. Er brachte meine Augen zum Tränen. Ich kniff sie ganz fest zu und wartete auf den Aufprall. Nach einer gefühlten Ewigkeit landete ich auf etwas Weichem. Merlin sein Dank! Ein Kissen. Ich öffnete die Augen und schwenkte mein Zauberstablicht umher. Das Kissen hatte eine eigenartig braungrüne Farbe und schien lebendig. Es zuckte vor meinem ausgestreckten Arm zusammen und wich ihm aus. Blöderweise wich es mich nun allgemein aus. Als würde ich durch Brei fallen, wich die kissenartige Masse zurück und bildete unter mir einen Tunnel in die Tiefe. Mit einem Aufschrei plumpste ich hinein, als auch die letzten Kissenranken unter mir verschwunden waren. Schon wieder hatte ich dieses unheimliche Gefühl des ungebremsten Fallens. Diesmal stoppte mein Fall schon nach wenigen Metern. Leider äußerst hart mit einem Aufprall auf nacktem Stein. Autsch. Ich spürte in mich hinein, doch die Schmerzen klangen langsam ab. Die Hände auf den kalten Boden gestützt rappelte ich mich auf. Meinen Zauberstab sammelte ich vom Boden auf, er war beim Fall wohl aus meiner Hand geglitten. Ich machte Licht und hielt es in Richtung Decke. Obwohl der Raum wirklich nicht hoch war, erreichten die hellen Strahlen meines Zauberstabs sie nicht. Eigenartig. Vielleicht handelte es sich tatsächlich um ein Kissen, dass Zauberer zuerst auffing und dann in den Raum darunter ließ? Schulterzuckend wandte ich mich wichtigeren Dingen zu. Severus aufhalten. Halt, ich wollte ihn doch nicht mehr beim Vornamen nennen. Er musste in jedem Fall gestoppt werden!

Der einzige Gang, der aus dem unterirdischen Raum, in dem ich mich offenbar befand, lag mir gegenüber. Da der Stein bestimmt nicht unbewacht sein würde, umklammerte ich mit beiden Händen meinen Zauberstab. Ich vertraute darauf, dass er mich vielleicht würde retten können. Die Zauber gelangen mir schließlich nicht unbedingt wegen meiner herausragenden Talente so gut, sondern einfach nur wegen des mächtigen Zauberstabs.

Der Gang führte tiefer in die Erde. Immer wieder trat ich in eine der Pfützen, die das an den Wänden herablaufende Wasser bildete. Meine Schuhe waren durchgeweicht, meine Socken ebenfalls. Tante Narcissa hätte jetzt bestimmt gefordert, dass ich sie ausziehen sollte, damit ich keine Erkältung bekam. Meine Argumente, dass sich das mithilfe eines Erkältungstranks innerhalb von zwei Sekunden kurieren ließ, hatte sie nicht gelten lassen. Narcissa war aber nicht hier. Sonst hätte ich mir noch ganz andere Sachen anhören müssen.

Vor mir tauchte ein helles Licht auf. Reflexartig kniff ich die Augen zusammen. Sie hatten sich schon zu sehr an meinen Zauberstab als einzige Lichtquelle gewöhnt. Als ich mich jedoch an das grelle Licht angepasst hatte, schlich ich vorwärts. Ob es wohl Snape war, der so viel Licht absonderte? Vielleicht kannte er irgendeinen besonderen Zauber... Doch auch bei genauerem Hinsehen konnte ich die fledermausartige Gestalt des Zaubertränkelehrers nirgendwo entdecken. Dafür erregte etwas anderes meine Aufmerksamkeit. An der Decke flatterte etwas. Irgendeine Art metallischer Vögel. Solange sie mir nichts taten, beschloss ich sie zu ignorieren. Gegenüber hatte ich nämlich eine Tür erspäht. Prüfend machte ich einen Schritt auf sie zu und als sich nichts tat einen weiteren. Dann rannte ich auf sie zu. Das Rütteln an der Türklinke brachte jedoch nichts. Abgeschlossen. Ich fluchte vor mich hin.

Im Raum konnte ich nichts erkennen, was ansatzweise an einen Schlüssel erinnerte. Da war nur ein paar alte Besen in einer dunklen Ecke, sonst nichts. Ein Innenausstatter hätte hier sicherlich einiges zum Positiven wenden können.

Moment mal ... es gab hier doch noch etwas Anderes! Ich legte meinen Kopf in den Nacken. Da! Diese Vögel waren keine Vögel, sondern geflügelte Schlüssel! Jetzt wurde mir allmählich klar, worin die Aufgabe bestand und wozu ich einen Besen brauchen würde. Nach meiner tollen Flugstunde und dem immer noch allzu präsenten Gefühl des Fallens vorhin, wollte ich aber nicht Fliegen. Oder zumindest nicht, wenn es sich irgendwie verhindern ließe. Wie ging noch gleich der Zauber, den die Weasleyzwillinge mir beigebracht hatten? Damals, als ich mehr über meine Familie hatte herausfinden wollen. Merlin, wie lange das schon her war ... mir kam es wie eine Ewigkeit vor. „Fokus!", ermahnte ich mich selbst laut. Die Schlüssel schienen sich durch meinen Ausruf nicht gestört zu fühlen. Weshalb hatte ich nochmal darüber nachgedacht? Ach ja, der Zauber! Er lautete Acid oder so ähnlich. Laut sagte ich alle Variationen vor mich hin, die mir einfielen. Es passierte jedoch absolut nichts. „Accio!", rief ich, als mir der Spruch einfiel. Trotzdem passierte nichts. Stimmt, ich musste ja noch das Objekt meiner Begierde benennen. „Accio Schlüssel!", befahl ich also laut und deutlich. Trotzdem passierte recht wenig. Ein Schlüssel fiel mir doch auf. Er flog rückwärts. Als würde er sich gegen etwas wehren und von einer unsichtbaren Macht zu mir gezogen werden. Die unsichtbare Macht musste dann wohl der Zauberspruch sein. Allerdings schüttelte der Schlüssel sich und schoss wie der Korken einer Flasche davon. Der Zauber hatte seine Wirkung verloren. Also musste ich wohl oder übel doch den Besen nehmen. Ich griff mit flauem Magen nach einem robust aussehenden, schwarzen Modell. Er wirkte erstaunlich gut erhalten im Vergleich zu den anderen, die aussahen, als hätte man damit die Behausung der Maulenden Myrte geschrubbt. Vorsichtig strich ich über den geraden Stil und spürte ein leichtes Vibrieren, als der Besen auf die Berührung einer Hexe reagierte. Er war noch einsatzbereit. Ich kletterte auf das Fluggerät und klammerte mich an ihm fest. Meinen Zauberstab musste ich leider wegstecken. Einhändig fliegen war mir noch suspekter als ohnehin schon.

Mit anfänglichem Misstrauen stieg ich höher. Ich merkte, dass mir nichts passierte und traute mich nun mehr. Ich suchte in der Menge glitzernder Flugobjekte nach den Schlüssel, den ich vorhin gesehen hatte. Nach einigen Sekunden mit zusammengekniffenen Augen erspähte ich ihn. Er flog träge in eine Ecke des Raumes. Ich beschleunigte das Tempo und behielt die ganze Zeit den Schlüssel fest im Blick. Es war schwieriger, als ich mir es vorgestellt hatte. Immer, wenn ich ihm näherkam, wendete er mit einer Geschwindigkeit, die ich ihm nicht zugetraut hatte. Irgendwann drehte er aber zu spät. Ich krallte mich mit einer Hand in seinem Flügel fest und landete so schnell wie möglich. Vielleicht etwas zu schnell, den Aufprall spürte ich im ganzen Körper. Doch besonders im rechten Knöchel. Er tat bei jedem Schritt so weh, dass ich nur noch zischend durch die Zähne Luft holte. Schließlich hüpfte ich nur noch auf einem Bein, um den Qualen zu entgehen. Das Einzige, was meine Laune etwas besserte, war die Vorstellung von Snape in der gleichen Situation. Sein schwarzer Mantel würde sich hinter ihm aufbauschen und er würde es noch mehr hassen als ich, auf einem Bein zu springen. Zum Glück hatte ich den richtigen Schlüssel gefangen und die Tür öffnete sich. Der Schlüssel befreite sich sofort und flog etwas schief davon. Ich hatte durch meinen Klammergriff wohl den einen Flügel beschädigt. Den Besen nahm ich mit in den nächsten Raum, vielleicht konnte er mir ja behilflich sein. Wenn auch nur als Krücke, um meinen Fuß nicht zu belasten. Wobei er dafür viel zu schade war, langsam hatte ich Gefallen an dem Teil gefunden. Ich ließ ihn vor mir schweben und stieg dann vorsichtig auf. Es funktionierte! Jetzt flog ich etwa einen Meter über dem Boden und konnte meinen Knöchel ausruhen.

Erst jetzt sah ich mich um. Ich befand mich am Rande eines riesigen Schachbretts, hinter den meisten schwarzen Figuren. Doch einige fehlten. Links und rechts entdeckte ich sie schließlich doch. Oder das, was von ihnen übrig war. Steinerne Leichen, in Teile zerbrochen. Aber das Wichtigste hatte ich noch nicht bemerkt: ich war nicht allein.

Eleonora Black und der Verbotene Korridor ∥ Ⅰ ∥ AbgeschlossenDove le storie prendono vita. Scoprilo ora