Kapitel 23 - Der größte Wunsch

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Zuerst sah ich gar nichts außer dem Mädchen mit den Wuschellocken, das mich aus großen grauen Augen musterte. Ich bemerkte nur, dass meine Haare noch zerzauster aussahen, als sonst ohnehin schon, durch den Tarnumhang waren sie elektrisch aufgeladen und standen ab, als würde ich gerne in Steckdosen fassen.

Gerade als ich sie mit meinen Fingern durchkämmte, weil mir leider der dafür nötige Zauberspruch nicht einfiel, sah ich doch etwas.

Der erste Unterschied zu meinem normalen Spiegelbild war, dass ich lächelte, was ich eigentlich gerade nicht tat. Doch ich war auch nicht mehr alleine, sondern es standen jede Menge Menschen um mich herum. Zuerst fiel mein Blick auf den Mann, der rechts neben mir stand und seine Hand auf meine Schulter gelegt hatte. Es war eindeutig mein Vater, wie er auch auf den Fotos, die mir Narcissa und Severus gezeigt hatten, ausgesehen hatte. Allerdings war der melancholische Gesichtsausdruck verschwunden, stattdessen sah er eher etwas spitzbübisch aus. Neben ihm wiederum stand eine wunderschöne Frau, die meinen Vater neckisch ansah. Sie hatte rotbraune Haare, braune Augen und unzählige Sommersprossen in ihrem Gesicht. Ihr breites, ehrliches Lachen war absolut ansteckend, sodass ich auch lächeln musste. So, wie sie und mein Vater sich gegenseitig ansahen und beiläufig berührten, waren sie ganz offensichtlich ziemlich verliebt ineinander. Wenn das so war, dann ... musste es sich bei ihr um meine Mutter handeln. Dieser Gedanke kam mir so merkwürdig vor, da ich so lange versucht hatte herauszufinden, wer sie war, dass es mir surreal vorkam, einfach so in einem Zauberspiegel in einer Schule ihr Gesicht zu sehen. Ich verglich mich mit ihr, um herauszufinden, ob sie wirklich meine Mutter sein könnte, oder der Spiegel einfach irgendetwas und irgendjemanden zeigte. Die Art, wie ihre Augen leuchteten und ihre Gesichtsform kamen mir definitiv bekannt vor. Aber war ich auch so klein? Oder hatte ihre wohlplatzierten Kurven? Und diese Sommersprossen hatte ich doch auch nicht, oder? Ich bekam diese Art von Sommersprossen, wenn ich ganz lange an der Sonne war. Sonst waren sie meistens eher unauffällig und nur bei genauem Betrachten zu sehen.

Andächtig streckte ich die Hand nach der Frau aus, die mir gleichzeitig so bekannt und unbekannt vorkam. Sie löste ihren Blick von meinem Vater und betrachtete stattdessen mich. Ihre Augen strahlten nun eine Traurigkeit aus, die ich nur zu gut kannte, da ich sie die letzten elf Jahre gespürt hatte. Sie berührte meine Hand oder versuchte es zumindest, denn sie war nur ein Bild in einem Spiegel und konnte mich nicht anfassen. Meine Augen füllten sich mit Tränen. Meine Mutter ließ das ebenfalls nicht kalt und sie fiel meinem Vater in den Arm.

Jetzt sah ich mich nach den anderen Personen um, denen ich bisher kaum Beachtung geschenkt hatte. Severus Snape betrachtete meine sich umarmenden Eltern und ein Lächeln zierte seine Lippen. Spätestens jetzt wusste ich, dass der Spiegel nur irgendeine Traumwelt zeigte und weder Vergangenheit, noch Zukunft oder Gegenwart. Snape lächelte nicht. Und wenn war es sarkastisch und fies und definitiv nicht so fröhlich wie im Spiegel.

Ich erkannte sonst noch eine Gruppe von Personen, die sich zu meiner Linken drängten und alle ebenfalls breit grinsten. Es waren alles meine Mitschüler aus Hogwarts. Evangeline, Harry, Ron, Fred, George, Parvati, Lavender, Hermine, Holly, sogar Neville und der Typ aus Slytherin, den ich im Krankenflügel gesehen hatte und noch einige andere. Sie alle schienen mich gerne zu mögen und lächelten mir immer wieder zu. Ich fühlte mich so geborgen, wie schon lange nicht mehr – oder eigentlich hatte ich mich noch nie so gefühlt. Aber ich merkte, dass mir dieses Geborgenheitsgefühl, diese Zugehörigkeit, eindeutig fehlte. Schon jetzt, obwohl ich noch vor dem Spiegel stand und das Gefühl verspürte, merkte ich, wie es langsam verschwand und ein riesiges, nicht zu füllendes Loch hinterließ.

Schnell betrachtete ich den Rest des Spiegels, um nicht von dem Gefühl der Leere überwältigt zu werden.

Mein Blick blieb schließlich an einer weiteren Personengruppe hängen. Ich kannte sie nicht und war mir auch ziemlich sicher, sie noch nie zuvor gesehen zu haben.

Sie bestand aus einigen Personen, die sich um eine Frau mit brauner Hochsteckfrisur versammelt hatten. Sie lächelten nicht und bildeten damit einen krassen Kontrast zu den restlichen Personen. Eine dieser Personen war ein Junge, etwa in meinem Alter. Er hatte braune Haare, ebensolche Augen und ein freches Funkeln in den Augen. Seine Arme waren verschränkt, wobei mir sein Zauberstab auffiel. Ich atmete geschockt auf. Der Zauberstab sah fast genauso aus, wie meiner! Das konnte doch kein Zufall sein. Auch sein Zauberstab war mit einem Metallband umgewickelt und auch bei seinem Zauberstab ragte unten eine Art Edelstein heraus. Bei ihm war dieser allerdings rot, statt blau, wie bei meinem. Ich musste diesen Typen finden und herausfinden, ob er mehr über den Zauberstab wusste.

Es war eigentlich unfassbar. Die beiden großen Fragen, auf die ich gerne eine Antwort hätte, hatte mir der Spiegel beantwortet. Einmal, in dem er mir meine Eltern, insbesondere meine Mutter gezeigt hatte. Und dann noch einen Ansatz gegeben hatte, wie ich mehr über meinen Zauberstab erfahren könnte.

Das Blöde an der Sache war nur, dass ich mir sicher war, weder meine Mutter, noch den fremden Jungen je gesehen zu haben. Daher würde sich die Recherche wohl eher nicht so einfach gestalten, wie ich gehofft hatte. Vielleicht wüssten Ron oder Harry, wer die Leute im Spiegel wären.

Ich drehte mich zu den beiden um, wobei ich all meine Willenskraft aufbringen musste, um mich vom Spiegel zu lösen.

„Ron? Harry? Wisst ihr, wer das da im Spiegel ist?", fragte ich sie und deutete auf meine Mutter. Sie war mir deutlich wichtiger als mein Zauberstab.

Ron trat neben mich und runzelte die Stirn. „Eleonora, da ist niemand. Ich sehe nur dich und mich im Spiegel."

„Dann stell dich genau hierhin", bat ich ihn und rückte ihn in Position.

„Wow! Ich sehe so ... umwerfend aus. Und wie das Schulsprecherzeichen glänzt!", staunte Ron.

„Ron? Siehst du da keine Frau mit rotbraunen Haaren und vielen Sommersprossen?", hakte ich nach. „Oder einen Typen mit einem Zauberstab wie meinem?"

Wie in Trance schüttelte Ron den Kopf und berührte sein Spiegelbild. „Nein. Aber findest du nicht auch, dass mir die Muskeln stehen?"

Ich seufzte. Er würde mir wohl nicht helfen können. So, wie sich das anhörte, sah er nur das Bild, was er vorhin auch schon gesehen hatte.

Immerhin gab es da noch jemanden, der mir helfen könnte. „Harry? Würdest du es mal probieren?"

Der Angesprochene schien die Möglichkeit, in den Spiegel schauen zu dürfen, großartig zu finden und schob Ron sogleich sanft von seiner Position weg, um seinen Platz einnehmen zu können.

„Ich sehe meine Eltern. Meine Familie. Aber sonst niemanden. Tut mir wirklich leid für dich, Eleonora."

Ich nickte niedergeschlagen. Wenigstens hatte er es versucht. Mir kam eine Idee: vielleicht könnte ich es mit einem Foto probieren, wenn ich direkt vorm Spiegel stand. Oder zur Not halt einer Zeichnung. Ich konnte zwar nicht so gut zeichnen, wie ich es gerne gehabt hätte, aber es wäre besser als nichts. Auf jeden Fall würde ich zurückkommen. Das hatte ich mir fest vorgenommen.

Nachdem jeder noch einen kurzen Blick in den Spiegel erhascht hatte, quetschten wir uns wieder unter den Umhang und gingen zurück in unseren Gemeinschaftsraum. Auf dem Weg begegneten wir wieder Mrs Norris, diesmal allerdings ohne Maus. Ich hoffte mal, dass das nicht das Haustier eines Schülers gewesen war. Sie schien uns trotz Tarnumhang sehen, oder zumindest riechen zu können. Deshalb beeilten wir uns nochmal extra, bevor Filch uns noch fand und uns an unseren Ohren in den Kerkern aufhängen würde.

Im Gemeinschaftsraum angekommen verabschiedete ich mich von den Jungs und sagte ihnen gute Nacht, dann verzog ich mich in meinen Schlafsaal.

Erst als ich im Bett lag und an die Decke meines Himmelbetts starrte, rief ich mir noch einmal das Gesicht meiner Mutter in Erinnerung. Mittlerweile war ich mir wirklich absolut sicher, dass sie tatsächlich meine Mutter war. Mit ihrem Gesicht vor Augen schlief ich glücklich ein.

Eleonora Black und der Verbotene Korridor ∥ Ⅰ ∥ AbgeschlossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt