Kapitel 11 - Der Freund meines toten Vaters

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Die nächsten Tage liefen tatsächlich relativ unspektakulär. Ich hatte Unterricht, bei dem ich mich nach der Aufregung in Verwandlung und Zauberkunst stets in die letzte Reihe setzte und es vermied, irgendetwas Unerwartetes passieren zu lassen. Trotzdem hatten Gerüchte über mich und meine eigenartigen Zauber die Runde gemacht. Ältere Schüler fragten mich mitten auf dem Gang, wie ich es geschafft hatte, schon vor Hogwarts zu üben. Ich antwortete darauf immer mit einem höflichen Lächeln (das von Mal zu Mal deprimierter wurde) und sagte, dass ich keine Ahnung hatte und auch erst hier angefangen hatte zu zaubern. Evangeline stärkte mir dabei den Rücken, indem sie ihr Aussehen veränderte und die Schüler so von mir ablenkte. Ich war ihr unendlich dankbar, denn ich wusste, dass sie es nicht mochte, nur auf ihre Fähigkeiten als Metamorphmagus reduziert zu werden.

Daher freute ich mich umso mehr auf die erste Stunde Zaubertränke bei Professor Snape. Bisher hatte ich noch keine Möglichkeit gefunden, ihn auf meinen Vater anzusprechen.

Gemeinsam mit den anderen Gryffindors stieg ich in die Kerker hinab, wo wir auf die Slytherins trafen. Ich war ebenso wenig erfreut wie die anderen. Erst recht, als ich Dracos weißen Schopf bei seinen neuen Freunden stehen sah. Er erzählte gerade irgendetwas und erntete jede Menge Lacher. Als er meinen durchdringenden Blick auf sich spürte, verschwand das Grinsen allerdings von seinem Gesicht. Dann kam er geradewegs auf mich zu. Na super. Bitte nicht.

„Na, Eleonora. Länger nicht mehr gesehen, was? Sag mal, wieso antwortest du Mum und Dad nicht auf ihre Briefe?" Ein triumphierendes Grinsen lag auf seinen Lippen.

Innerlich stöhnte ich auf. Die Briefe! Seit meiner Ankunft hatte ich jeden Tag einen bekommen. Geöffnet hatte ich aber keinen. Viel zu viel Angst hatte ich davor, was ich lesen würde. Ich war jedes Mal kurz davor gewesen, das Pergament zu lesen, doch dann hatte mich eine Welle aus Panik überrollt. Daher lagerten die Briefe allesamt ungeöffnet ganz unten in meinem Koffer unter einem Stapel Socken. Hilfesuchend sah ich mich nach Evangeline um, doch die stand etwas entfernt und unterhielt sich angeregt mit Parvati. Andererseits sollte sie auch nicht alle meine Schlachten Schlagen. Immerhin war ich in Gryffindor – auch wenn ich es immer noch für einen Fehler hielt.

„Lass mich in Ruhe, Draco", sagte ich schwach.

Zu meiner Überraschung tat er das tatsächlich, zischte mir aber noch „Lies deine Post!" zu und gesellte sich zu seinen Slytherinfreunden.

Snape tauchte auf und scheuchte uns alle in den Zaubertränkeraum. Er erinnerte mich an eine übergroße Fledermaus. Als er die Namensliste verlas, verweilte sein Blick etwas länger auf Harry und mir als auf den anderen Schülern.

„Ihr seid hier, um die schwierige Wissenschaft und exakte Kunst der Zaubertrankbrauerei zu lernen." Seine Stimme war leise, aber durchdringend. Er betonte jedes einzelne Wort und jagte mir so einen Schauer über den Rücken. „Da es bei mir nur wenig albernes Zauberstabgefuchtel gibt, werden viele von euch kaum glauben, dass es sich um Zauberei handelt. Ich erwarte nicht, dass ihr wirklich die Schönheit des leise brodelnden Kessels mit seinen schimmernden Dämpfen zu sehen lernt, die zarte Macht der Flüssigkeiten, die durch die menschlichen Venen kriechen, den Kopf verhexen und die Sinne betören... Ich kann euch lehren, wie man Ruhm in Flaschen füllt, Ansehen zusammenbraut, sogar den Tod verkorkt – sofern ihr kein großer Haufen Dummköpfe seid, wie ich sie sonst immer in der Klasse habe."

Über seinen letzten Satz hätte ich vermutlich gegrinst, doch die Stimmung im Raum war immer noch sehr angespannt.

Snape stellte Harry drei Fragen, die er alle nicht beantworten konnte. Hermine hingegen meldete sich durchgehend und flehte geradezu, aufgerufen zu werden. So verhielt sie sich auch in den anderen Unterrichtstunden, nur riefen die Lehrer sie da auch tatsächlich auf. Doch Snape ignorierte sie. Was ihn mir auf eine merkwürdige Art sympathisch machte. Als er sich jedoch weiter über Harry lustig machte, verschwand diese Sympathie auch gleich wieder.

Dann stellte er uns zu Paaren zusammen – ich wurde mit Parvati eingeteilt – und ließ uns einen Trank zur Bekämpfung von Furunkeln brauen. Parvati und ich arbeiteten gut zusammen, doch der Professor rümpfte trotzdem bloß die Nase und sagte: „Die Wellhornschnecken haben zu lange geschmort."

Parvati, die sich um das Schmoren gekümmert hatte, kniff missmutig die Augen zusammen und erdolchte seinen Rücken mit ihren Blicken. Bei Draco blieb er stehen und lobte ihn und seinen Trank. Und ganz besonders seine Wellhornschnecken.

„Er ist furchtbar und parteiisch", wisperte Parvati mir zu.

Ich stimmte ihr in Gedanken zu. Doch ich meinte: „Wenn er uns gleich alles aufzählt, was wir falsch gemacht haben, wissen wir es nächstes Mal wenigstens besser."

Sie schien mit meiner Erwiderung nicht ganz glücklich und warf gemahlene Nesseln in den Kesseln. Der Trank nahm daraufhin eine lila Färbung an.

Plötzlich gab es einen Knall und Nevilles (der zeitweise krötenlose Junge) Kessel schmolz zu einem Klumpen zusammen, während der Inhalt auf alle Personen in der Nähe spritzte und sich am Boden ausbreitete. Scheinbar war er ätzend, denn die Schüler sprangen schnell auf ihre Stühle und Tische.

Neville hatte es schlimmer getroffen, denn auf seiner Haut breiteten sich Furunkel aus, zu deren Heilung der Trank ja eigentlich gedacht gewesen war. Snape schnappte sich eine Schöpfkelle, füllte etwas von Hermines Trank in ein kleines Fläschchen ab und schickte Neville damit und mit Seamus, einem rotblonden Gryffindor, in den Krankenflügel.

„Scheinbar war Hermines Trank doch besser als Dracos", flüsterte ich Parvati zu und wir lächelten uns an.

Professor Snape machte allerdings Harry und Ron für Nevilles Missgeschick verantwortlich und zog ihnen Punkte ab.

Dann erklärte er die Stunde glücklicherweise für beendet und die Schüler machten sich ans Aufräumen. Den ätzenden Trank hatte Snape schon zuvor mit einem einfachen Schlenker seines Zauberstabs beseitigt.

Ich half Parvati unsere Utensilien wegzupacken und eilte dann nach vorne, wo Snape das Treiben mit starrem Blick betrachtete.

„Professor Snape? Könnte ich einen Augenblick mit Ihnen reden?", sprach ich ihn an.

Er sah mich nicht mal an. „Das tun Sie doch bereits, Miss Black." Mir fiel überrascht auf, dass er die anderen Schüler nur bei ihren Nachnamen genannt hatte, während er bei mir zumindest noch das 'Miss' eingeschoben hatte.

„Bitte, Professor. Ich habe Fragen über ... meinen Vater."

Jetzt erst hatte ich seine volle Aufmerksamkeit. In seinen Augen meinte ich kurz, so etwas wie Schmerz aufblitzen zu sehen, doch ich konnte mich auch getäuscht haben. „Miss Black, wie kommen Sie auf die Idee, dass ich Ihnen während der Unterrichtszeit etwas über Ihre Familienangehörigen erzähle?"

Ich schüttelte den Kopf. Ich hatte mir das deutlich einfacher vorgestellt.

„Weil ... weil mir niemand irgendetwas sagt und Narcissa mir geraten hat, mich an Sie zu wenden." Langsam wurde ich verzweifelt. Ich hatte mich die ganze Woche auf diese Doppelstunde gefreut, doch jetzt wollte er mir auch nichts erzählen.

„Das meinte ich nicht." Seine schwarzen Augen betrachteten mich eingehend und blickten mir schließlich in meine grauen. „Aber kommen Sie am Nachmittag noch einmal zu mir. Etwa um sieben Uhr."

Mit diesem Worten rauschten er aus dem Raum. Der schwarze Stoff seines Umhangs flatterte eindrucksvoll hinter ihm her. Seufzend ging ich zu dem Platz, an dem ich vorhin den Trank gebraut hatte und schulterte meine Tasche. Dann verließ auch ich das Klassenzimmer. Mit unzähligen neuen Fragen und noch weniger Antworten.

Eleonora Black und der Verbotene Korridor ∥ Ⅰ ∥ AbgeschlossenWhere stories live. Discover now