Kapitel 6 - Danke, Draco...nicht.

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Wir hatten unsere Umhänge erst seit vielleicht zehn Minuten an, als sich die Abteiltür erneut öffnete. Doch diesmal waren es weder Hermine, noch der krötenlose Junge. Es war Draco.

Ich versteckte mich hinter dem Buch, in dem ich bis jetzt gelesen hatte. Vielleicht auch, weil ich Schuldgefühle hatte, da ich anders als Hermine die Bücher bisher nur durchgeblättert hatte. Und außerdem nahm ich es Draco immer noch übel, dass er mich einfach so versetzt hatte.

Hinter meinem Cousin hatten sich noch zwei andere Jungen aufgebaut. Den einen kannte ich noch aus der Winkelgasse: Narcissa hatte mit seiner Mutter geredet.

Draco musterte Harry derweil viel interessierter als in der Winkelgasse.

„Stimmt es?", sagte er. „Im ganzen Zug sagen sie, dass Harry Potter in diesem Abteil ist. Also du bist es?"

„Ja", sagte Harry. Als ich über den Rand des Buches spähte erkannte ich Harrys angespannte Blicke zu den beiden Gorillas neben Draco.

Bevor es also zu Streitereien kommen konnte – Dracos Gesicht hatte wieder den fiesen Ausdruck angenommen, den es hatte, wenn er mir Kekse klaute oder mir die Schuld für die kaputte Vase in die Schuhe schob -, stand ich auf. Das Buch behielt ich in der Hand, wenn ich es schon nicht auswendig konnte, dann könnte ich Draco wenigstens damit eines über die Rübe braten.

Er schien überrascht zu sein mich hier zu sehen. Aber warum denn? Schließlich hatte er doch wirklich damit rechnen müssen, dass ich mich irgendwo hinsetzen würde, wenn er mich nicht haben wollte.

Dann fing er sich aber wieder. „Cousinchen! Schön, dass du auch hier bist. Möchtest du uns nicht deine neuen Freunde vorstellen?"

Die Art, wie er 'neue Freunde' betonte, gefiel mir ganz und gar nicht.

Ich kniff die Augen zusammen. „Erst wenn du uns deine vorstellst."

Er zuckte gelangweilt mit den Schultern. „Wie du meinst. Das ist Crabbe und das ist Goyle. Jetzt bist du dran."

„Das ist Harry und das ist Ron."

Draco musterte den Rothaarigen von oben bis unten. „Ein Weasley, nicht wahr?"

Ron hatte – ebenso wie Harry – bis jetzt geschwiegen, vermutlich hatten sie es für das Beste gehalten, wenn ich mit meinem Cousin redete. Doch jetzt nickte er und streckte das Kinn vor. „Etwas dagegen?"

„Oh nicht doch", sagte Malfoy mit einem fiesen Unterton. „Nicht, dass du noch deine Inzuchtfamilie von Blutsverrätern holst."

Ich riss erschrocken die Augen auf. Das konnte doch nicht wahr sein! Hatte er das gerade wirklich gesagt? Wie konnte er nur einen ihm völlig Fremden so aufs äußerste beleidigen, so ganz ohne Grund?

Ron war aufgesprungen und konnte nur noch von Harry zurückgehalten werden, der für seine dürre Statur erstaunlich stark war.

Mit einem kräftigen Schubs beförderte ich Draco aus dem Abteil. Er sagte noch „Man sieht sich" und verschwand, begleitet von seinen neuen Bodyguards.

Laut knallte ich die Tür hinter mir zu. Wieso musste Draco mir immer alles kaputt machen? Von Spielzeugen einmal ganz abgesehen, hatte er immer alles bekommen und dafür gesorgt, dass ich benachteiligt wurde.

Wenn Harry und Ron jetzt nichts mehr mit mir zu tun haben wollten, weil dieser Idiot es versaut hatte, dann würde er es büßen. Vielleicht dachten sie jetzt, ich würde genauso denken wie er, immerhin waren wir Seite an Seite aufgewachsen.

Besorgt schlich ich zurück an meinen Platz und beobachtete Harry und Ron genau. Das Buch zur Tarnung hatte ich in der Aufregung irgendwo in eine Ecke geschmissen.

Harry bot Ron gerade Unmengen an Kesselkuchen zum Trost an. Doch Ron schwieg beharrlich und blickte stur an ihm vorbei aus dem Fenster, an dem dunkle Landschaften vorbeiglitten. Lange kannte ich Ron zwar definitiv nicht, doch eins wusste ich: wenn er sich nicht für Essen interessierte, musste es ihm wirklich nicht gut gehen.

Als er schließlich doch wieder zu uns sah, sagte er: „Lasst uns diese Sache einfach nur vergessen. Aber Draco Malfoy ist ein absolutes Arschloch."

Harry und ich stimmten bedingungslos zu.

Ich war erleichtert, dass Dracos Verhalten scheinbar keinen Einfluss auf unsere langsam beginnende Freundschaft gehabt hatte. Es hatte sie höchstens stärker gemacht, denn jetzt hatten wir einen gemeinsamen Feind und planten, wie wir es ihm heimzahlen konnten.

Kurz darauf hallte eine Stimme durch den Wagen: „In fünf Minuten kommen wir in Hogwarts an. Bitte lassen Sie Ihr Gepäck im Zug, es wird für Sie zur Schule gebracht."

Nervosität machte sich in mir breit und ich spürte, wie meine Hände schwitzig wurden. Ich wischte sie heimlich an meinem Umhang ab. Doch das Gefühl unter Strom zu stehen, wurde ich so nicht los.

Wir ließen die Koffer und Harrys Eule in ihrem Käfig stehen und drängten uns zu den anderen Schülern in Uniform auf dem Gang. Alle versuchten möglichst schnell den Zug zu verlassen. Fast war es, als würde man durch ein Nadelöhr gepresst werden, denn sobald man im Freien war, ließ das Gedränge schnell nach.

Ich blickte mich nach Harry und Ron um, doch ich hatte sie im Chaos wohl aus den Augen verloren. Allgemein hatte ich nicht die leiseste Ahnung, wo ich jetzt hinmusste. Panisch versuchte ich einen Blick auf die Umgebung zu erhaschen, doch ich war in einer Traube älterer Schüler gefangen, die laut tratschend um mich herumwuselten. Ich hatte wirklich Angst, aber dann rief ich mir ins Gedächtnis, dass eigentlich nichts Schlimmes passieren konnte. Vielleicht würde ich nicht unbedingt zu Harry und Ron zurückfinden, allerdings würde ich sie ja spätestens im Schloss wiedersehen, wenn sich das größte Chaos gelichtet hatte. Ich wollte gerade den älteren Schülern folgen, als ich mehr oder weniger bekannte Stimmen hinter mir hörte.

„Ist das nicht-"

„Das Mädchen vom Bahnsteig?"

Hastig schnellte ich herum. Dort standen tatsächlich die beiden rothaarigen Jungen, die am Gleis 9 ¾ mit mir zusammengestoßen waren. Ich war fast schon ein wenig erleichtert sie zu sehen.

„Ähm hey. Könntet ihr mir vielleicht sagen, wo die Erstklässler hinmüssen?", bat ich sie schüchtern. Mittlerweile war mir auch aufgefallen, dass ich mir eben nicht nur den Kopf angehauen hatte, sondern es sich bei ihnen schlicht um Zwillinge handelte.

Sie tauschten einen Blick.

„Siehst du diesen Wald da hinter dem Tor?", fragten sie wie aus einem Mund.

Ich nickte zögerlich. Das kam mir nun nicht gerade wie der richtige Treffpunkt für neue Schüler vor.

Sie strahlten mich an. „Da musst du hin."

Misstrauischbeäugte ich sie, um herauszufinden, ob sie mich verarschten. Doch beidelächelten nur umso breiter. Vielleicht hätte ich ihren Worten wirklich Glaubengeschenkt, wenn ich nicht eine laute, tiefe Stimme just in diesem Moment „Erstklässler!Erstklässler hier rüber!" gerufen hätte. Sofort lief ich in die Richtung derStimme. Dann fiel mir ein, dass die Zwillinge mich wohl tatsächlich verarschthatten und ich drehte mich zu ihnen um. Doch sie waren verschwunden.

Eleonora Black und der Verbotene Korridor ∥ Ⅰ ∥ AbgeschlossenWhere stories live. Discover now