Kapitel 3 - Gleis 9 ¾

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„Beeilung! Sonst kommen wir noch zu spät!", blaffte Draco mich an und überholte mich mit seinem Gepäckwagen. Der Uhu, der in seinem Käfig ganz oben auf dem Wagen thronte, kreischte laut. Lucius warf dem Tier einen missbilligenden Blick zu. Den gleichen Ausdruck hatte er auch im Gesicht gehabt, als er sich seinen Weg durch die Muggel gebahnt hatte, die sich scheinbar überall im Bahnhof befanden und nur blöd in der Gegend herumstanden und uns angafften. Mit unseren vollbeladenen Gepäckwägen und Dracos Uhu boten wir allerdings auch einen höchst interessanten Anblick.

„Nora? Kommst du?" Narcissa blickte mich abwartend an. Sie war die Einzige, die mich Nora nannte, mein Onkel und Cousin riefen mich meist nur mit Eleonora. Wenn es nach ihnen gegangen wäre, dann würde ich ohnehin einen anderen Namen tragen. Einen, der ebenfalls ein Sternbild bezeichnete, so wie alle Blacks ihn trugen. Nur ich passte mal wieder nicht dazu.

„Ich komme!", rief ich und drängelte mich an einem dicken Mann vorbei, der mich durch seine eckige Brille misstrauisch musterte. Ich murmelte eine Entschuldigung und war nun endlich bei Lucius, Narcissa und Draco angekommen. Letzterer stolzierte bereits mit stolzgeschwellter Brust und dicht gefolgt von seiner Mutter durch die Absperrung zwischen den Gleisen 9 und 10. Lucius bedachte mich mit einem genervten Blick.

„Willst du jetzt auch mal langsam los oder soll ich dich tragen?" Er lächelte über seinen eigenen Witz. Allerdings war es – wie üblich – kein sonderlich freundliches Lächeln, sondern fiel schmallippig und boshaft aus.

Ich verdrehte die Augen und rannte durch die Absperrung. Als ich nur noch wenige Zentimeter vor der Wand entfernt war, hatte ich kurz Angst, dass ich doch nicht hindurchkäme. Doch alles ging gut und ich kam mühelos und unversehrt auf dem Bahnsteig dahinter an.

Einige Augenblicke hielt ich inne, völlig überrumpelt von dem Anblick, der sich mir bot. Eine riesige scharlachrote Dampflok wartete nur darauf, dass die anderen Schüler und ich einstiegen. Doch der Zug war nicht das Einzige, das mich nach Luft schnappen ließ. Auf dem gesamten Bahnsteig drängelten sich unzählige Hexen und Zauberer, die sich gerade von ihren Kindern verabschiedeten oder verzweifelt nach deren Haustieren Ausschau hielten. Ich war ganz froh, dass ich kein eigenes Haustier besaß, auch wenn ich den gestrigen Tag über neidisch auf Dracos Uhu gewesen war, da ich leider keine Eule geschenkt bekommen hatte. Und auch keine Katze oder Kröte. Aber vermutlich hatte der Zauberstab einfach zu viel Trubel ausgelöst, sodass meine Tante und mein Onkel wohl vergessen hatten, dass ich sie ebenfalls um ein Haustier gebeten hatte.

Völlig in Gedanken versunken bemerkte ich nicht dass ich immer noch knapp hinter er Absperrung stand, durch die selbstverständlich weitere Zauberer und Hexen hereinkamen. Auch mein Onkel musste sich bereits vorbeigequetscht haben.

Und so kam es wie es kommen musste: ein rothaariger Junge hatte wohl eben so viel Anlauf genommen wie ich und hatte keineswegs an Geschwindigkeit verloren, als er mit mir zusammenstieß. Wir fielen beide hin, wobei er es glücklicherweise noch geschafft hatte, seinen Wagen zur Seite zu schieben, sodass wenigstens dieser mich verschonte. Beim schmerzhaften Aufprall auf dem Boden schlug ich mir die Knie auf, die nun dumpf pochten. Als wäre das noch nicht genug schoss auch noch ein zweiter Junge direkt auf uns zu und somit war das Chaos perfekt. Der schwere Koffer des Jungen war direkt neben meinen Kopf gefallen ... hätte ich nur einige Zentimeter weiter links gelegen hätte ich jetzt garantiert eine Platzwunde am Kopf. So gesehen war ich mit meinen aufgeschlagenen Knien gerade noch einmal davongekommen.

Langsam richtete ich mich auf und warf einen Blick auf meine Knie. Meine schwarze Jeans hatte jetzt genau an den Knien zwei große Löcher. Mit schmerzverzerrter Miene begutachtete ich die blutige Haut, die darunter zum Vorschein kam.

„Hey, ist dir was passiert?", fragte einer der Jungs mit besorgtem Gesicht.

Langsam richtete ich mich auf und schüttelte den Kopf. Dann tauchte hinter dem ersten Jungen ein zweiter auf, der ein absolutes Ebenbild des ersten war. Ich blickte von einem zum anderen. Vielleicht hatte ich mir doch den Kopf angestoßen. Denn irgendwie sah ich doppelt.

„George, du verwirrst sie, glaube ich", sagte der eine Rothaarige zu seinem Doppelgänger.

Dieser warf sich in die Brust. „Da ist sie nicht die Einzige. Ich bin halt einfach umwerfend. Und mein perfektes Aussehen kann anfangs durchaus verwirrend sein." Er grinste breit und verschränkte die Arme.

Der Erste machte ein wütendes Gesicht. „Du und perfektes Aussehen? Pff, sie ist wohl eher von meiner blendenden Schönheit abgelenkt. Aber bitte, wir können ja sie fragen..." Daraufhin bedachten mich beide mit einem erwartungsvollen Blick, der allerdings je länger ich schwieg immer zweifelnder wurde.

„Glaubst du sie spricht unsere Sprache?"

„Vielleicht ist sie ja eine Austauschschülerin."

„Ist das nicht etwas früh? Sie ist doch höchstens dreizehn! Da macht man noch keinerlei Austausch."

„Du darfst nicht immer von uns und unseren schulischen Ambitionen ausgehen. Womöglich möchte sie tatsächlich lernen."

An dieser Stelle sahen sich beiden an und schüttelten sich dann, als müssten sie eine besonders schreckliche Vorstellung loswerden. Wie Lucius in einem rosa Kleid zum Beispiel. Dieser Gedanke brachte mich zum Schmunzeln und lenkten mich von meinen schmerzenden Knien ab.

Es lenkte allerdings auch die Aufmerksamkeit der beiden Jungen auf mich.

„Guck mal, sie kann auch etwas anderes als die Augen aufreißen!"

„Wie erstaunlich!"

Ich brachte immer noch kein Wort heraus. Woran das lag, wusste ich auch nicht so ganz. Vermutlich an meiner vielleicht-ja-doch-Gehirnerschütterung.

„Denkst du das, was ich denke, Fred?"

„Aber natürlich doch, George!"

Sie wechselten ein diabolisches Grinsen.

An dieser Stelle fand ich doch meine Stimme wieder, sodass ich nie erfahren würde, was sich die beiden gedacht hatten.

„Ähm ... hallo. Könnte mir einer bitte hochhelfen?", bat ich sie zögerlich.

„Selbstverständlich! Forge und Gred, die Retter in Nöten!", sagten sie beiden gleichzeitig und hielten mir ebenfalls zeitgleich eine Hand hin.

Ich ergriff beide, denn wenn einer von beiden sich als Fantasie herausstellte, würde es ganz bestimmt merkwürdig aussehen, wenn ich meine Arme in die Luft hielt und nach dem Nichts griff.

Zu meiner Überraschung fühlten sich beide aber durchaus real an und hatten mich schnell wieder auf die Beine gestellt. Ebenso schnell drückten sie mir meinen Gepäckwagen in die Hand und richteten auch ihre eigenen auf und verstauten das Gepäck wieder darauf.

Unschlüssig sah ich von einem zum anderen und bedankte mich schließlich bei beiden.

Sie winkten aber nur ab und verschwanden in der Menge, in der ich sie schon nach wenigen Augenblicken nicht mehr sehen konnte. Dafür aber die große schlanke Figur von Narcissa Malfoy, die ihren Sohn gerade umarmte und ihm einen Kuss auf den Kopf gab. Ich beeilte mich möglichst unauffällig zu ihnen zu kommen, sie mussten von meinem Zusammenstoß schließlich nichts wissen.

Trotzdem fing ich mir einen wütenden Blick von Lucius ein, offenbar hatte er mein Fehlen bemerkt. Doch Draco umarmte jetzt auch seinen Vater, auch wenn dieser die Umarmung nur äußerst steif erwiderte.

„Nora? Kommst du mal bitte kurz mit?", flüsterte mir Narcissa zu und hatte dabei einen fast schon ängstlichen Gesichtsausdruck.

„Ja, klar. Was gibt es denn?"

„Nicht hier", zischte sie nur und zog mich aus dem Gedränge in eine etwas ruhigere Ecke.

„Es geht um deinen Vater...", begann sie zögerlich.

Eleonora Black und der Verbotene Korridor ∥ Ⅰ ∥ AbgeschlossenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt