Sonne und Mond

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"Katherine." Ophelia versuchte mich zu beruhigen. Aber ich konnte nicht anders, als durchdrehen. Mein Atem kam flach und zu häufig. Nervös fuhr ich mir durch die Haare. Ich hockte mich hin und schlang meine Arme um meine Knie. 
"Katherine, bitte hör mir zu." Ophelia kam langsam auf mich zu, während sie sich immer noch an ihrem Bett abstützte. "Es muss nicht sein, dass du die Prophezeiung erfüllst." 
Fragend sah ich zu ihr hoch. 
"Es kann ebenso sein, dass du dem Kind helfen musst. Es kann sein, dass es gerade erst entstanden ist."
"Sprich; entweder bin ich dieses Kind aus der Prophezeiung, oder es wurde gerade erst gezeugt, als habe ich noch neun Monate Zeit, bis ich mir größere Sorgen machen muss? Also, muss ich einfach nur durch die übernatürlichen Haushalte rennen und fragen wer Sex hatte und schwanger sein könnte?!"
Ophelia lachte kurz. Ein Lachen ohne jede Fröhlichkeit. "So kann man es auch ausdrücken." Auf meinen niedergeschlagenen Blick hin seufzte sie. "Oder die Kräfte des Kindes haben sich gerade erst entwickelt. Es gibt einige Möglichkeiten."
"Aber was kann ich denn tun? Ich bin erst siebzehn Jahre alt und habe nicht die Macht dazu einen solchen Auftrag zu erfüllen." Ich war talentiert, das mag sein. Ich war gut ausgebildet, dank meiner Mom, aber ich war nicht in der Lage einen solchen Auftrag zu erfüllen. "Ich bin nicht in der Lage ein Kind vor so vielen Gegnern zu verteidigen!"
"Katherine, womöglich hat es auch noch länger Zeit. Du wirst noch genug Zeit haben, dich auf den Auftrag vorzubereiten." Sie kniete sich vor mich um mir direkt in die Augen zu sehen. "Ich kann dir nicht genau sagen, welche Rolle du spielen wirst. Ich würde dich so gerne vor diesem Schicksal bewahren, aber ich kann es nicht. Ich konnte es auch bei Seraphina nicht und schon damals hat es mir das Herz gebrochen." Kurz holt sie zitternd Luft, als die Erinnerung in ihrem Kopf Gestalt annahm. "Das einzige, was ich für dich tun kann, ist, dass ich dich unterstütze." Langsam griff sie sich an dem Hals und nahm ein Medaillon von ihrem Hals. "Trag dies bei dir, Laora. Wir werden in Kontakt stehen. Berühre dieses Medaillon und wir können sprechen." Heldin nannte sie mich. Tränen traten mir in die Augen. Wie konnte sie ein solches Vertrauen in mich haben, obwohl sie mich nicht kannte? 
Das Medaillon zeigte das gleiche Symbol, wie das Tattoo auf Ophelias Stirn. Eine Mondsichel und eine Sonne, deren Strahlen die Spitzen des Mondes berührten. Ophelia nahm meine Hand und legte das Medaillon hinein. Es lag schwer in meiner Hand. Die Kette schien aus echtem Silber gefertigt zu sein.
„Was, wenn das Kind böse ist und tatsächlich gegen uns spielt? Ein so mächtiges Kind kann ich nicht aufhalten."
„Du hast einen weitaus größeren Einfluss als du vielleicht jetzt sehen magst."
'Toll, im Prinzip hat diese Hexe mich gerade zu einer Mutter gemacht. Immerhin kriege ich auf diese Art keine Schwangerschaftstreifen!', dachte der Teil von mir, der die ganze Geschichte absolut nicht verstand und die erdrückende Panik mit unangebrachtem Humor versuchte zu erfassen. 
Ich schüttelte den Kopf und kämpfte gegen die Tränen in meinen Augen an.
"Ich kenne dich besser als zu denkst, Katherine. Und ich werde an deiner Seite stehen. Aber ich kann nicht aktiv eingreifen. Ich muss neutral bleiben, um das Gleichgewicht zu erhalten."
"Ophelia, warum ich?" Ich konnte mir wahrhaftig nicht erklären, warum ich auserwählt wurde. Beim besten Willen nicht. "Ich bin nichts Besonderes.", beteuerte ich.
"Oh doch, Katherine, das bist du."
Ich schüttelte den Kopf. Nein, ich war nichts Besonderes. Ich war eine Abnormalität. Nichts weiter. Ich war unnormal in einer Welt voller übernatürlicher Wesen. Unnormal. Ein Freak. "Ich sage es noch einmal: Nein, das bin ich nicht."
Die Hexe sah mir tief in die Augen, stutzte kurz und schien dann zu verstehen. "Oh, du glaubst es tatsächlich nicht." Ich wandte den Blick ab. Ich wollte ihr Mitleid nicht. Ich wollte nicht sehen, dass ich ihr leid tat. 
"Was soll ich jetzt tun?" Verzweiflung drohte mich zu ersticken. Meine Stimme klang als hätte sich eine Hand um meine Kehle gelegt und würde nun versuchen mich zu erdrosseln. 
"Laora, beruhige dich."
"Wie soll ich mich beruhigen?", zische ich aufgebracht. "Wie soll ich mich beruhigen, wenn ich weiß, dass die gesamte Gesellschaft der Übernatürlichen hinter mir her sein wird? Wie soll ich mich beruhigen, wenn ich weiß, dass ich eventuell ein Kind noch dabei beschützen muss? Wie soll ich mich beruhigen, wenn ich weiß, dass ich das alleine schaffen soll?" Eine Träne der Verzweiflung lief über meine Wange. Schwer atmend hocke ich auf dem Boden in dem Krankenzimmer und versuchte das Ganze zu begreifen. 
Sanft legte sie mir eine Hand an die Wange. "Tâ do croídhe clybh maêr, Laora. Do caîres yonbsadaeth." Du musst auf dein Herz hören, Heldin. Vertraue deinen Freunden. Ich würde nicht allein sein. Meine Freunde werden hinter mir stehen.
"Sie werden zu mir halten?", fragte ich und spürte eine Welle der Erleichterung über mich schwappen, als Ophelia nickte. "Sie werden dich nicht alleine lassen."
"Aber dann sind wir immer noch nur zu neunt."
"Du wirst mehr Unterstützung erfahren als dir bewusst ist, Laora. Auf Wegen, die dir jetzt noch nicht bewusst sein mögen."
Ich nickte langsam und stand auf. Vorsichtig half ich der Hexe ebenfalls auf. Sobald sie vor mir stand legte sie ihre Hände auf meine Schultern.
Plötzlich spürte ich Kraft. Ich fühlte mich stark. In den Augen der Hexe sah ich mein Spiegelbild. Aber das war nicht ich. Das konnte nicht ich sein. Ich sah eine starke junge Frau, die vor Selbstbewusstsein und Macht nur so strahlte. Eine Wärme und Zuversicht breitete sich in meinem Körper aus.
"Tâ do croídhe clybh maêr, Laora. ", wiederholte Ophelia und vor meinen Augen löste sie sich in Luft auf. "Tâ la'dif thayn!" Du bist stark. Ihre Stimme hallte einen Moment in dem leeren Raum wider.
Zitternd holte ich Luft. Wie zum Teufel sollte ich das schaffen? Wie konnte ich ein Kind vor einer solchen Gefahr schützen? 
Vorsichtig öffnete ich das Medaillon. Auf der einen Seite des Medaillons  war eine Art Spiegel. Ich sah meine verängstigten Augen und meine blassen Lippen. Auf der anderen Seite im Medaillonwar ein Bild von einer jungen Frau. Sie sah mir verblüffend ähnlich. Mit zitternden Finger berührte ich das Bild. Es war vergilbt und sah uralt aus, aber ich konnte klar einige Gesichtszüge von mir in ihrem Gesicht wiedererkennen.
Vorsichtig schloss ich das Medaillon wieder und legte es mir um den Hals. Die lange Kette reichte mir bis zur Taille. Vorsichtig schob ich die Kette unter mein Kleid und ging aus dem Zimmer. Mit gesenktem Blick schloss ich die Tür und als ich mich umdrehte, sah ich auf dunkelblaue Anzugschuhe. Langsam hob ich den Blick und sah direkt in die sorgenvollen dunkelblauen Augen von Niklas. 

HalfbloodWhere stories live. Discover now