Schulfeier

767 31 0
                                    

Emily saß auf ihrem Bett, mit Spangen zwischen den Lippen und versuchte ihre Haare am Hinterkopf festzustecken. Konzentriert zog sie die Augenbrauen zusammen.
Auch mein fünftes Angebot ihr zur Hand zu gehen lehnte sie ab. Ich war bereits seit einer Viertelstunde fertig und wartete in meinem langen Abendkleid, was ich von meiner Mutter ausgeliehen hatte darauf, dass Emily auch fertig wurde.
Der mitternachtsblaue Samtstoff schmiegte sich perfekt an meinen Körper an und der hohe Beinschlitz gab mir genügend Beinfreiheit ohne billig oder zu aufreizend zu wirken. 
Wie immer bei solch großen Veranstaltungen trug ich ein unauffälliges Beinholster mit drei kurzen Dolchen. Ich konnte es nicht über mich bringen sie nicht dabei zu haben. 
Mein Make-up hatte Emily gemacht. Es war nicht viel mehr als ich sonst trug, aber der blutrote Lippenstift ergab mit meinem hellen Teint einen gewissen Schneewittcheneffekt. Meine Haare fielen mir offen über den Rücken. Lediglich zwei Strähnen hatte ich von vorne nach hinten gebunden, damit mir nichts im Gesicht hing. 
"Kann ich sonst irgendwas tun?" Mir war unfassbar langweilig. Alle Vorbereitungen unten in der Halle waren getroffen. 
Es klopfte zweimal an der Tür. 
"Ich mach schon.", sagte ich zu Emily, die nicht im geringsten Anstalten machte die Tür zu öffnen. 
"Ist eine von euch schon fertig?" Niklas stand vor der Tür und sah verdammt gut aus. Er trug einen dunkelblauen Anzug, darunter ein weißes Hemd und eine zum Anzug passende Krawatte. 
"Die ersten Gäste sind da und ein paar von uns sollen sie begrüßen. Aber kaum einer ist schon fertig." Er verdrehte die Augen und lachte. Sein Lachen hatte einen nervösen Unterton, was mir komisch bei ihm vorkam. Erst jetzt schien er mich zu erkennen. Erst jetzt schien er mein Outfit zu bemerken. Er schluckte einmal. 
"Ja, bitte, nimm sie mit. Sie treibt mich ein wenig in den Wahnsinn!", sagte Emily, lachte und ging ins Badezimmer.
"Du kannst mich mal, Em!", erwiderte ich über meine Schulter und zeigte ihr meinen Mittelfinger. "Aber ich komme gerne mit." Ich schlüpfte in meine hohen Schuhe und folgte Niklas hinaus in den Flur. 
"Danke!" Niklas wirkte ernsthaft erleichtert. "Meine Mom dreht sonst gleich durch." 
Ich lächelte. 
"Du siehst sehr schön aus." Er sah mich nicht direkt an. 
"Du aber auch.", erwiderte ich und lächelte. Sein Anzug hatte die gleiche Farbe wie mein Kleid. Beinahe sah es so aus, als hätten wir uns abgestimmt. 
'Hättest du wohl gerne!', sagte meine Rationalität. Aber selbst die sonst so kritische Stimme musste zugeben, dass Niklas gut aussah im Anzug. 
Ein Schauer überlief mich, als wir unten in der Eingangshalle ankamen und ich die verschiedenen Auren der Gäste spürte. Viele mächtige und vor allem viele verschiedene übernatürliche Wesen waren bereits anwesend. 
"Alexander, da bist du ja!" Eine Frau in einem grauen Hosenanzug kam auf uns zu. Wer zum Teufel ist denn jetzt Alexander?  
"Hallo, Mom. Ich freue mich auch dich zu sehen." Etwas steif umarmte er sie. Sie strich ihren Blazer glatt sobald sie vor uns stand. Ihre blonden Haare waren in einem engen Knoten in ihrem Nacken festgesteckt. Ihre Augen hatten die gleiche Farbe wie Niklas', aber das wars dann auch mit Familienähnlichkeiten.
"Hier sind die Heftchen. Verteilt sie. Und lächeln!" Sie drückte Niklas die Programmhefte in die Hand und verschwand direkt wieder, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen. 
"Alexander?", fragte ich nach und nahm mir die Hälfte der Hefte. 
"Einer meiner Vornamen." Er wirkte geknickt. Einen Moment war ich versucht ihn zu umarmen, aber andererseits kam mir das auch nicht richtig vor. Seine Mutter schien nicht gerade eine der liebevollen Sorte zu sein. Außerdem war mir nicht entgangen, dass sie ein Mensch war. Vielleicht lag das angespannte Verhältnis auch daran, dass ihr Sohn früher oder später vollkommen unsterblich sein wird und sie nicht. Kurz drückte ich seine Hand und lächelte. Scheu lächelte er zurück.
"Lass uns loslegen." Niklas wirkte nicht darauf erpicht mit mir über seine Familiensituation zu sprechen.  
Wir stellten uns nebeneinander in der Eingang und begrüßten die Menschen, die ankamen. Jedem Neuankömmling schüttelte ich kurz die Hand und ich oder Niklas drückten ihnen dann ein Heftchen in die Hand.   
Langsam fanden sich auch die Eltern unseres Jahrgangs ein. Meine Mom konnte nicht kommen. Sie hatte Bereitschaftsdienst in der Klinik. Aber es war interessant die Eltern der anderen zu treffen. Ich lernte Heathers Vater kennen, der typisch Geschäftsmann war. Er war die meiste Zeit an seinem Handy. Außerdem lernte ich Lilys Eltern kennen, die genauso liebevoll schienen wie Lily selbst. Ihre Mutter sah ihr unfassbar ähnlich. Sie hatten die gleiche Körperhaltung, die gleiche Figur, die gleiche Art zu reden. Es war faszinierend die beiden nebeneinander zu beobachten. AUßerdem lernte ich Aubreys Mutter und ihren Onkel kennen. Ihre Mutter sprach ebenso wenig wie Aubrey, war aber trotzdem sehr nett.

Mein besonderes Highlight war es, als eine Frau den Saal betrat, die eine Aura hatte, die ich nicht erkannte. Ich erkannte einige Züge einer Hexe heraus, aber ebenso eines Nephilim, eines Dämons, eines Gestaltwandlers und eines Vampirs.
Sie war definitiv eine der mächtigsten Personen, die mir je begegnet sind. Sie war großgewachsen, schlank und hatte beinahe stechend grüne Augen. Ihre Haut hatte einen olivfarbenen Unterton und war übersät mit Tätowierungen. Zwischen ihren Schlüsselbeinen prangte ein keltischer Knoten. Die Runen für Sieg, Frieden, Kraft und Magie blitzten unter ihren Ärmeln hervor.
Ihr dunkelrotes Kleid sah aus wie aus einem Film der in einer anderen Zeit spielte. Es war nicht Barock oder Rokoko, aber auch nicht der neuste Schrei. Es sah wunderschön an ihr aus und passte zu ihrer Ausstrahlung. 
"Wer ist das?", fragte ich Niklas leise, der immer noch neben mir stand. 
"Das ist Ophelia.", antwortete Niklas flüsternd. "Sie ist die Vorsitzende der gesamten übernatürlichen Gesellschaft. Es ist eine Ehre, dass sie hierherkommt."
Das erklärte, warum ich all diese verschiedenen Auren bei ihr spürte. Sie hatte mit sämtlichen Wesen des Übernatürlichen zutun. 
 Auf ihrer Stirn war eine Mondsichel zu sehen. Zwischen den beiden Spitzen war eine Sonne, dessen Strahlen die Spitzen des Mondes berührten. Ein passendes Symbol für das Gleichgewicht, dass sie schaffen soll. Zwischen Tag und Nacht. Zwischen den "hellen" und den "dunklen" übernatürlichen Wesen.   
Blumenranken umrahmten ihre mandelförmigen Augen, wie eine Maske. 
"Hexe?", fragte ich.
Niklas nickte. "Die mächtigste Hexe seit Seraphina. Sie hat die Gabe aller Elemente und der Weissagungen. Mach' einen Knicks, okay?" 
"Wow.", sagte ich nickend. Die mächtige Hexe trat vor uns. Stolz reckte sie ihr Kinn vor und bedachte und mit einem Blick, den ich nicht deuten konnte. 
Niklas verneigte sich leicht. Ich knickste brav vor ihr. 
"Herzlich Willkommen, Ophelia. Es ist eine Ehre Sie hier begrüßen zu dürfen.", sagte Niklas feierlich. Aber Ophelias Augen wichen nicht von meinem Gesicht. Unbehaglich wand ich mich unter ihrem Starren. 
"Es ist mir eine Freude hier zu sein." Nur kurz löste sie ihren Blick von mir um sich einmal umzusehen. "Viel neues kann entdeckt werden bei solchen Festen." Wieder heftete sich ihr Blick auf mich. 
"Bitte treten Sie doch ein und schauen Sich in Ruhe um.", sagte ich und lächelte sie so selbstbewusst wie ich nur konnte an. Sie nickte lächelnd und ging in die Menge. 
"Meinst du, sie weiß von dir?", fragte Niklas leise und ohne die Lippen zu bewegen, damit niemand etwas mitbekam. 
Ich zuckte mit den Schultern. Ging so eine Abnormalität wie ich einfach so an ihr vorüber ohne, dass sie etwas davon mitbekam?
In der Aula begann Musik zu spielen. Ein Zeichen, dass wir uns auf den Weg zum Essen machen sollen. Ophelia war anscheinend der letzte Gast auf den wir gewartet haben. 
Das Essen verlief ohne Zwischenfälle. Es wurde sich viel unterhalten, die Kellner machten einen fabelhaften Job und das Essen war der Wahnsinn. Ich saß zwischen Emily und Jensen, die ihre Eltern jeweils eingeladen hatten. Mir gegenüber saß Heather mit ihrem Vater, daneben Lily und ihre Eltern. Auf Heathers anderer Seite saß Aubrey, ihre Mutter und daneben ihr Onkel Felix.
Felix war ein komischer Mann.
Sowohl "hahaha, der Witz war gut"-komisch als auch "was zum Teufel ist falsch mit dir"-komisch. Seine Gesichtszüge hatten etwas von einem Falken. Aufmerksame Augen, die ein wenig weit auseinanderstanden und eine lange gebogene Nase. Seine vampirische weiße Haut wirkte beinahe wie Pergament. Viel zu dünn. 
Als die letzten Teller abgeräumt waren und die ersten sich die Beine vertreten wollten, setzte sich das Schulorchester an ihre Instrumente und spielten Musik, die zum Tanzen geeignet war. 
Irgendetwas stimmte bei den Unsterblichen nicht, denn sie spielten zum Tanzen grundsätzlich Musik, die für Kontratänze geeignet waren. Oder für Walzer.
Manchmal waren sie einfach etwas in der Zeit stehen geblieben. 

HalfbloodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt