Angriff

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Nick:
Ihr Atem ging rau. In ihren Augen loderte ein Feuer, das mir einen Schauer über den Rücken jagte. Auch wenn ich stärker war als sie, hatte ich in diesem Moment Angst vor ihr. Einen solchen Ausdruck hatte ich noch nie bei einem Menschen gesehen. 
Die Klinge des Dolches in ihrer Hand bohrte sich in die dünne Haut meines Halses. Der Schmerz, der sich wie Lauffeuer in meinem Körper ausbreitete, ließ mich darauf schließen, dass der Dolch in Wacholder getaucht wurde. Oder irgendwie anders mit Wacholder präpariert worden. Wacholder, das Kryptonit der Vampire. Das hatte sich Seraphina auch nicht so schlau ausgedacht, dass gerade eine verdammte Pflanze einem Vampir so sehr schaden konnte. 
"Kate?", fragte ich erschrocken. Ich versuchte zu sprechen ohne, dass sich mein Adamsapfel bewegte. Das könnte nämlich sonst böse enden.  
"Nick.", stieß sie hervor und ließ den Dolch zur Seite fallen. "Spinnst du? Ich hätte dich umbringen können!"
Gleichfalls, Baby!
Sie rollte sich von meinem Bauch runter und saß nun schnaufend neben mir.
Ihre Haare waren ein einziges Chaos und ihre Lippe war geschwollen und Blut tropfte aus einer Wunde an ihrer Unterlippe. Ich warf einen Blick über ihre Schulter zu dem Androiden, der ausgeschaltet auf dem Boden lag. In der Art wie seine Nase abstand und wie demoliert seine Beine aussahen schien mir Kate recht glimpflich davon gekommen zu sein.
"Was machst du hier?", fragte sie, während ich mich ebenfalls hinsetzte.
"Ich wollte trainieren.", antwortete ich schlicht. Ich hatte so oder so keinen Hunger, weil ich mit Collin jagen im Wald war.
Der Geruch von Kates Blutes schwebte immer noch in der Luft und benebelte meinen Geist trotz dessen ich keinen Hunger hatte. Viel intensiver als dass er nur von Wunde an ihrer Lippe kommen könnte. "Du bist verletzt."
"Geht schon.", sagte sie und stand auf. Mit Schrecken sah ich ihren Rücken an, als sie sich aufrichtete. Ihr T-Shirt war ab der Mitte ihres Rückens nach unten rot verfärbt. Blutrot.
"Kate, dein Rücken...." Meine Stimme brach ab. Scheiße, was habe ich getan?
Sie runzelte die Stirn und drehte ihren Rücken zu der Spiegelwand.
Vorsichtig tastete sie nach einer der Wunden und sog sofort scharf die Luft ein.
Schneller als sie gucken konnte stand ich vor ihr. Ihre Augen richteten sich von ihrem Spiegelbild auf mich. 
"Lass mich dir helfen.", bot ich an und sah ihr tief in die Augen. Ihr Gesicht wurde blass und sie schwankte ein wenig.
"Du musst dich nicht quälen." Um Abstand zwischen uns zu schaffen trat sie einen Schritt zurück. Sie war schwerverletzt und machte sich trotzdem Sorgen darum, dass es mir in der Kehle wehtun könnte ihr Blut zu riechen? Dieses Mädchen war einer der fürsorglichsten Menschen, wenn es um andere ging, aber sowas von leichtsinnig, wenn es um sie selbst ging. "Ich schaff das schon.", beharrte sie. 
Dann verdrehten sich ihre Augen gen Decke und ich konnte gerade noch so verhindern, dass sie auf dem Boden aufschlug. Schlaff hing sie in meinen Armen. Ihr Kopf war nach hinten gesackt und ihre leicht geöffneten Augen zeigten nur das Weiße ihrer Augäpfel. 
"Kate?" Meine Stimme klang erstickt. Panik drohte mich zu ersticken. 
'Du hattest einen Auftrag, Williams! 'Hilf ihr...!' Hast du gut erledigt bisher. Du hast sie umgebracht!', schnauzte meine innere Stimme mich an. Ich zog kurz Kates Gesicht zu mir heran. Ihr schwacher Atem traf mein Gesicht. 
Ihr Herz schlug zwar noch, aber ihr Atem ging eindeutig zu flach. Vorsichtig legte ich sie auf die Seite und kniete mich vor sie. So sanft wie möglich versuchte ich sie zu wecken. "Kate, wach auf."
Bitte, wach auf! 
Ihre Augenlider flatterten und sie schlug die Augen auf. Mein Herz machte einen erleichterten Satz.
"Geht's wieder?"
'Wow... was für eine dumme Frage, Williams!', schnauzte ich mich selbst an. 'Sie hat einen aufgeschlitzten Rücken und ist gerade zusammengeklappt. Natürlich geht's nicht wieder.'
Sie nickte leicht. "Hilfst du mir doch?", fragte sie. Tränen sammelten sich in ihren Augen. Sie musste höllische Schmerzen leiden. Aber nicht nur Schmerz spiegelte sich in ihrem Blick wider. Es war Angst, die ihren Augen einen gehetzten und flehenden Ausdruck verlieh.
Ich stützte sie, während sie sich hinsetzte und mir den Rücken zudrehte.
Im Spiegel verfolgte ich ihre Gesichtszüge. Als sie sich kerzengerade aufrichtete, um mir zu helfen traten kleine Schweißperlen auf ihre Stirn. Mit beiden Händen stützte sie sich auf ihren Oberschenkeln ab. Wieder schwankte sie leicht. Ich setzte mich hinter sie und streckte meine Beine zu beiden Seiten von ihr aus. 
Ich griff nach dem Saum ihres T-shirts und versuchte es langsam über die Wunden zu ziehen, ohne irgendetwas schlimmer zu machen.
"Ich ziehe es einfach ganz aus, okay?", fragte sie und sah mir im Spiegel in die Augen.
'Von mir aus ist das definitiv okay!', sagte eine Stimme unterhalb meines Bauches, die ich in einer solchen Situation definitiv ignorieren sollte.
Ich nickte also lediglich. Vorsichtig half ich ihr beim Ausziehen des Shirts und warf es auf den Boden neben mir. Ich hätte den Anblick von Kate nur noch im BH vor mir definitiv mehr genossen, wenn mein Blick nicht sofort auf ihren unteren Rücken gefallen wäre. Blut kam pulsierend aus den Wunden. 
Mein Atem stockte, als ich mir die Wunden auf ihrem Rücken genauer ansah. Einige große Scherben steckten wirklich tief in ihrer Haut. Aber die großen Scherben, die tief steckten machten mit weniger Sorgen, als die vielen kleinen Scherben, die tief steckten.  Viele Wunden, die ihr Körper zu heilen hatte.
Ich zupfte schnell alle Scherben raus und versuchte gleichzeitig so vorsichtig, wie möglich zu sein.
Ihr Atem ging stockend und bei jedem Herausziehen einer Scherbe zuckte sie kurz zusammen. Inzwischen liefen ihr die Tränen übers Gesicht. 
"Kate, es tut mir leid, das wollte ich nicht."
Sie sah auf und unsere Blicke trafen sich im Spiegel.
Ein leichtes Lächeln lag auf ihren Lippen, das aber nicht ihre Augen erreichen konnte. "Ich habe dich angegriffen. Du hast dich einfach nur verteidigt."
Ich hätte sie erkennen müssen. Ich hätte mich nicht so sehr von meinen Instinkten übermannen lassen dürfen. Es tat mir einfach unendlich leid, dass ich sie verletzt hatte. 
Die Wunden sahen schlimmer aus, als sie waren, aber sie begannen einfach nicht zu heilen. Sorgenvoll sah ich auf ihren Rücken. Sie war auch viel zu blass. Noch blasser als sie ohnehin schon war. Hatte sie noch andere Verletzungen? 
Durch viele verschiedene Verletzungen konnte die Heilung länger dauern. 
Immer noch kam Blut aus den Wunden an ihrem Rücken.
"In meiner Tasche sind Bandagen.", sagte Kate und sah im Spiegel auf ihre Tasche. Ich nickte kurz und öffnete ihre Tasche. Mein Atem stockte kurz, als ich die Ansammlung an Waffen sah, die sie in der Tasche hatte. Was zum...? Warum hatte sie eine solche Auswahl an Waffen dabei? Wie hatte sie sie hier reingeschmuggelt? Ich sah drei Dolche (vier mit dem, der immer noch auf dem Boden lag), zwei Kurzschwerter, einen Bogen mit Köcher und Pfeilen, ein Dutzend Wurfmesser, die in einer Art Mäppchen zusammengerollt waren und eine Pistole. 
Ein kleiner waffenfanatischer Teil von mir zog bewundernd eine Augenbraue hoch. Das waren beeindruckende Waffen. Die Schwerter, Wurfmesser und Dolche hatten wunderschön verzierte Griffe und in einer Rille in der Mitte jeweils einen dunkelblauen Streifen, der wahrscheinlich den Wacholder enthielt. Außerdem waren die Klingen der Dolche dunkelrot eingefärbt. Diese Waffen waren Meisterwerke der Schmiedekunst. 
Der Teil von mir, der noch einigermaßen rational denken konnte, schüttelte missbilligend den Kopf. 
"Äh... i-ich kann das erklären, Nick." Kate versuchte aufzustehen und zu mir zu kommen. 

HalfbloodWo Geschichten leben. Entdecke jetzt