Scherbenhaufen

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Nick:
Vollkommen erstarrt saß ich immer noch auf dem Boden in dem Trainingsraum.
Scheiße! Was hab ich getan?  Was war das gerade?
Ich war zwar nicht mit Joan zusammen, aber Kate hatte recht. Ich hatte sie gerade benutzt, um Joan eins auszuwischen. Fuck!
Was war denn los mit mir?
Mir tat es nicht leid um Joan. Mir tat es unendlich leid um Kate. Ich hatte sie und ihre Gefühle ausgenutzt. Ich hatte ausgenutzt, dass sie verletzlich war. Seit wann war ich so? Seit wann ging ich so mit Menschen um, die mir wirklich etwas bedeuteten? 
Mit steifen Beinen stand ich auf. Vorsichtig nahm ich die Scherben vom Boden und wickelte sie in Kates T-Shirt ein. Der Geruch ihres Blutes hing immer noch in der leicht stickigen Luft im Raum. Ich konnte nicht klar denken. Mir war als spürte ich immer noch Kates Lippen auf meinem Handgelenk. Ich hatte sie unendlich nah an mich herangelassen. Ich hatte ihr etwas von mir gegeben. 
Es war nicht so, dass ich mir nicht schon öfter vorgestellt, wie sich Kates Mund auf meinem anfühlen würde. Hatte mir schon öfter ausgemalt, wie sich ihr etwas wärmerer Körper an meinen schmiegt. Fuck!
Wut durchfuhr meine Glieder.
Ich holte aus und schlug auf den ohnehin schon kaputten Spiegel ein. Meine Knöchel fingen sofort an zu bluten, als die Scherben scharf in meine Haut schnitten und ich spürte den Schmerz. Ein verdienter Schmerz. 
Ich wusste doch genau, dass es ihr nicht leicht fiel sich anderen Menschen zu öffnen und Gefühle zu zeigen und dann ziehe ich sowas ab?
Fuck!

Meine Gefühle ihr gegenüber waren da. Ich konnte sie nicht mehr verleugnen. Dieser Kuss hat mir das bewusst gemacht, aber ich habe es wohl gründlich verbockt.
Ich schlug weiter wie bescheuert auf dem Spiegel ein. Das Zerspringen war befriedigend. Es lenkte mich davon ab, dass ich Kate Schmerz zugefügt habe. Es lenkte mich davon ab, dass ich mich auf Joans Niveau herabgelassen habe.
Ich war es nicht wert, dass Kate sich mit mir abgibt.
Schnaufend stand ich nun vor dem Scherbenhaufen der Spiegel, der in sehr weit dem Scherbenhaufen meines Lebens glich. Mein Spiegelbild schaute zu mir auf. Ich erkannte mich beinahe nicht. Mein Gesicht war schmerzverzerrt und meine Augen hatten einen unendlich traurigen Ausdruck. Joan hatte mich verletzt. Immer und immer wieder hatte sie mich benutzt. Ich wusste, wie Kate sich fühlte. Ganz genau konnte ich sie nachvollziehen und konnte ihr deshalb nicht mal übelnehmen, dass sie abgehauen ist. Die Bruchstücke des Spiegels auf dem Boden zeigten immer nur Teile von mir.
In der Tür des Raumes sah ich meine Jacke liegen, die ich fallen gelassen hatte als Kate mich angegriffen hatte. 
Ich zog meine Kapuze tief in mein Gesicht und verließ den Raum. Das Chaos würde ich irgendwann anders aufräumen. Also schloss ich lediglich die Tür ab. 
Meine Hände schmerzten und bluteten immer noch. Grundsätzlich, wenn ich aufgebracht war oder mein Gefühlsleben anderweitig durcheinander geraten ist, dauert die Heilung länger. Ich steckte sie in die Taschen meiner Jacke und verließ das Fitnessstudio. 
Schneller als sonst war ich vor meiner Zimmertür. Ich wollte niemanden sehen. Ich wollte mit niemandem sprechen. Es war schon ätzend genug, dass gleich, wenn das Abendessen endgültig vorbei war, die ganze Clique und Bennet hier in meinem Zimmer hocken werden. Allerdings zweifelte ich, dass Kate mich noch sehen möchte. 
Ich trat ein und dann sah ich sie. 'Gott? Warum hasst du mich eigentlich so sehr?', schickte ich eine kurzes Stoßgebet gen Himmel.
Joan saß auf meinem Bett und hatte nicht sonderlich viel an. Ihr Satinkimono zeigte viel Haut, die lediglich von ihrer Unterwäsche unterbrochen wurde.
"Hey, Baby.", begrüßte sie mich und lächelte mich, wie sie wahrscheinlich fand, verführerisch an. 
Ich stöhnte auf und kniff genervt die Augen zusammen. "Was willst du, Joan?" 
Sie kam auf mich zu. "Ich wollte dich überraschen." Ihre Hände tasteten ihren Weg zum Reißverschluss meiner Jacke. Ich packte grob ihre Hände und hielt sie so auf.
"Joan, hör auf." Ich spürte, wie meine Knöchel sich anspannten. Ich war immer noch unfassbar wütend, versuchte aber Joans Hände nicht zu brechen. 
"Du weist mich ab?", fragte sie erstaunt und wütend zu gleich. Dann fiel ihr Blick auf meine Fingerknöchel. "Was hast du gemacht? Hör auf mich vollzubluten." Sie riss sich von mir los, blieb aber vor mir stehen.
Ich schnaubte und lachte ohne Freude. Schön, wenn sich so um einen gesorgt wird.
"Es kann dir doch scheißegal sein, was ich gemacht habe. Joan, ich gehe dich nichts mehr an!", knurrte ich. Sie zog ihren Kimono enger zusammen um sich dahinter zu verstecken. "Wir sind nicht zusammen und werden auch nie wieder zusammen kommen. Hast du das kapiert?" Meine Stimme wurde lauter als beabsichtigt, aber es war mir egal. Ich wollte sie ein für alle mal aus meinem Zimmer heraus haben. "Verpiss dich, Joan.", spuckte ich ihr entgegen. Angewidert sah ich auf sie herunter.
"Ich hab mich doch entschuldigt.", sagte sie ausweichend. "Was willst du denn noch?"
Sie raubte mir wirklich den letzten Nerv. Ich sah sie wütend an. Meine Nasenflügel bebten.
"Ich will, dass du dich verdammt nochmal verpisst!", brüllte ich und deutete auf die Tür. "Ich habe absolut keine Lust dein verlogenes Gesicht zu sehen. Verschwinde!"
"Du bist wirklich das Letzte, Nick!", schnauzte sie und nahm ihre Klamotten vom Boden. "Keine andere wird dich je wieder so lieben, wie ich es tue!" 
Liebe? Sie wagte es, mir etwas von Liebe zu erzählen?
"Ich hoffe inständig, dass mich nie wieder jemand so lieben wird wie du!" Ich schnaubte verächtlich. "Das war doch keine Liebe, Joan! Das war was Banales und ein ganz netter Fick zwischendurch. Es war nie etwas Ehrliches." Ich zischte die letzten Worte und spürte, wie meine Augen sich langsam orange färbten. Es war nie auch nur ansatzweise das Gleiche, wie das was ich für Kate empfinde. 
Tränen sammelten sich in Joans Augen und ich erschrak beinahe darüber, wie egal es mir war, dass sie weinte. Sie hatte nie in echt vor meinen Augen geweint. Es waren bis dato immer nur Krokodilstränen gewesen. 
Ihre Tränen ließen mich zum ersten Mal vollkommen kalt. "Hör auf zu Weinen und geh einfach." 
"Du wirst nie wieder eine finden, wie mich.", setzte sie im Hinausgehen nach. Na, hoffentlich!
"Genau das ist der Plan!", sagte ich und knallte die Tür hinter ihr wieder zu. 

HalfbloodWhere stories live. Discover now