Epilog: Das Märchen vom guten Tischler

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Es war einmal ein Tischler, der hatte ein frohes und gutherziges Gemüt, war aber bettelarm. So geschah es, dass eine alte Frau eines Winterabends an seine Tür klopfte und um ein warmes Feuer und Speis und Trank bat, und der gute Tischler brach sein letztes Brot und reichte seinen letzten Wein, um ihr die gebührende Gastfreundschaft zu erweisen.

„Ei, ich habe dein gutes Herz gesehen", sprach die Alte. „Und dafür sollst du eine Belohnung bekommen. Nimm dieses Messer hier an und dir soll jede Arbeit gelingen, die du damit anpackst."

Der Tischler dankte es ihr und machte sich sogleich ans Werk und schon bald ging das Wort über sein erstaunliches Handwerk um, denn er vermochte nicht nur mit wenigen Handschlägen zu tischlern, was eines Königs würdig war, nein, alles was er mit dem Messer schuf wurde von Leben erfüllt und tanzte nach seinem Befehl. Von nah und fern kamen die Leute und kauften von ihm, sodass er bald ein reicher Mann geworden war.

Wie er eines Tages in seiner Stube saß und an einem Schemel schnitzte, da flog ihm plötzlich ein kleines Vögelchen zum Fenster herein und sprach: „Oh guter Tischler, da draußen im Wald sitzt ein Mädchen in einer Hütte gefangen und weint ganz bitterlich!"

Der Tischler mit seinem guten Herzen sprang auf und versprach dem Vögelchen seine Hilfe und packte sogleich sein treues Messer ein, um sich auf den Weg zu machen. Lange irrte er durch den Wald und musste schließlich ein Feuer entfachen, und wie er dort saß und sich wärmte und Zeit herumbrachte, so schnitzte er sich ein Schwert, ein Schild und einen großen Schlüsselbund aus Holz. Damit brach er am nächsten Tag auf und hörte bald das bitterliche Weinen des Mädchens und folgte ihm, bis er die Hütte fand.

Davor wartete eine böse Zauberin auf ihn und versuchte ihn aufzuhalten, aber ihre Sprüche waren machtlos gegen sein Schild und als er an sie herangekommen war, da konnte er ihr mit dem Schwert das Herz durchstoßen und endlich das Mädchen aus der Gefangenschaft befreien.

„Ich bin eine Prinzessin aus einem fernen Land, die geraubt wurde", sprach sie zu ihm. „Wir wollen in meine Heimat fahren und Hochzeit feiern."

Und alles geschah genau so und der gute Tischler vermählte sich in einem rauschenden Fest mit der schönen Prinzessin, doch auf dem Fest erwachten plötzlich die Tische zum Leben und schüttelten ihr Essen ab, weil sie ihn erkannten und freudig auf ihn zusprangen wie treue Hunde. Das erschreckte die Leute im Königreich, und ein paar starke Burschen lauerten dem Tischler auf, als er sich nach der Feier hoch in die Schlafgemächer begeben wollte und schlugen ihn mausetot.

Die Prinzessin in der Kammer wartete die ganze Nacht und wusste nicht ein noch aus, wo ihr Mann geblieben war, als plötzlich der Nachtstand zum Leben erwachte.

„Mein Herr wurde gar grausig ermordet", sprach er und die Prinzessin begann bitterlich über seinen Tod zu weinen. Wie aber ihre Tränen auf den Nachtstand tropften, da öffneten sich seine Türen und der Tischler sprang heraus, wie neugeboren.

„Weine nicht", sagte er, „Denn um mich wahrlich zu töten, hätten sie jedes Möbelstück zerschlagen müssen, das meine Hand je berührt hat."

Und da lachte die Prinzessin und sie umarmten und herzten sich und der gute Tischler wurde ein weiser und guter König. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.

Die alte Frau beendete ihre Geschichte genau in dem Moment, als der Donner krachend über dem kleinen Gasthaus hernieder ging und ihre wenigen Zuhörer sich ängstlich aneinander klammerten. Sie musterte die verschreckten Kinder missbilligend, die meisten davon ihre Enkel, dafür, dass sie kaum auf ihre Geschichte reagierten.

Dornen - Das verwunschene KönigreichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt