Die letzte Armee

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Elowin und Ignatus hassten sie. Zumindest ließen ihre Blicke, die sie Mathilda seit ihrem Entschluss zuwarfen, nicht viele andere Schlüsse zu.

Einer der Palastdiener kam herein und brachte ihr Schwert und Schwertgürtel aus der königlichen Waffenkammer und beschränkte sich sogar auf nur einen einzelnen neugierigen Blick, während er ihr alles überreichte und sich verneigend wieder verabschiedete.

„Es ist keine Schande, wenn Ihr Euch zurückzieht", setzte Elowin an. „Vielleicht wird man Euch Wankelmut nachsagen, aber das ganze Volk von Niederzollern wird es Euch danken."

„Das Volk von Niederzollern wird es mir danken, wenn sie nicht in den nächsten Jahrzenten von einem wachsenden Dornenwald aus ihren Häusern vertrieben werden", entgegnete sie ruhig. Sie gab sich sicherer, als sie sich fühlte. Die Sonne war noch nicht aufgegangen und trotz eines Schlaftrunkes hatte sie die Augen in der Nacht kaum zu tun können, in banger Erwartung ihres Aufbruchs. Zu Sonnenaufgang würden sie sich treffen, all die Fürsten und Herzoge und Ritter, die Soldaten der königlichen Armee, die Prinzen und sogar der König von Melance, der selbst mit ihnen reiten würde anstatt Söhne oder begünstigte Edelmänner zu schicken. Er ließ vier Kinder allein zurück, von denen gerade die älteste Tochter das heiratsfähige Alter erreicht hatte.

Es war unglaublich. Ihre Familie folgte dem Traum von Ilreth, seit der Fluch zum ersten Mal über sein Königsschloss gefallen war, aber sie hatte das Bestreben nicht nur immer selbst für töricht gehalten, sie war auch immer überzeugt gewesen, dass nur wenige es teilten. Jetzt hatte sich herausgestellt, dass es wohl nur dem Anreiz einer fest bestehenden, bereits großen Gruppe gefehlt hatte, um in unzähligen Männern den gleichen schlafenden Traum zu wecken. Sie hatte selbst die zwei Diener, die sie mitnehmen würde, schon darüber scherzen gehört, wie sie selbst das Dornröschen wachküssen wollten, wenn ihr Zug es bis zum Schloss geschafft hatte.

Der Hof hatte sich über die letzten Tage in zwei Teile geteilt – diejenigen, die ihre Gelegenheit auf Ruhm und Reichtum und die Hand einer schönen Prinzessin beim Schopf ergreifen wollten, die der festen Überzeugung waren, Ilreth dieses Mal bezwingen zu können, und diejenigen, die mit zunehmender Wut immer und immer wieder nur wiederholen konnten, wie gefährlich es selbst in großer Zahl sein würde, sich in die Dornen zu begeben.

Mathilda hatte beide Seiten sehr nah um sich – Hagen, der sein Leben lang auf dieses Abenteuer gewartet hatte, und ihre beiden Berater, die es für mindestens so töricht hielten, dass sie selbst mitreiten wollte, wie sie es immer vom Ehrgeiz ihrer Brüder gedacht hatte. Sie verstanden den Unterschied nicht. Es war nicht einmal so, dass sie wirkliche Spuren von ihnen zu finden erhoffte. Auch, wenn sie den gleichen Eintrittsweg nehmen würden. Aber sie musste wissen, wie es sich anfühlte – wie es war, sich durch die Dornen zu schlagen, warum genau so wenige zurückkehrten, die ihr Glück versucht hatten. Sie wollte fühlen, was ihre Familie gefühlt hatte, bevor sie nie mehr wiedergekommen waren.

Und dafür war sie bereit, ihr Fürstentum zurückzulassen, ja. Denn sie würde zurückkommen.

Heute noch würde Ignatus zurückreiten und mit ihren zurückgebliebenen Beratern in Niederzollern solange das Heft übernehmen, bis sie aus dem Dornenwald wiedergekehrt war. Für ein paar Wochen, höchstens, war es angemessen. Natürlich müssten sie mit einigen Entscheidungen, Anhörungen oder Gerichtssitzungen warten, aber Niederzollern ging es gut und König Hartmut selbst hatte versprochen, ein Auge auf das Fürstentum zu werfen. Er hatte deutlich weniger Bedenken, sie mit den anderen ausziehen zu lassen als sein Sohn – vielleicht auch, weil er es gerne sah, jemand an Prinz Hagens Seite zu wissen, der ihm wohlgesonnen war.

Dornen - Das verwunschene KönigreichWhere stories live. Discover now