Trügerischer Grund

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Ihr Zug durch das Moor war still und konzentriert. Was sie nach der unruhigen Nacht an Energie übrig hatten, mussten sie auf das Finden eines begehbaren Pfades verwenden und so blieb kaum Zeit, über irgendetwas zu sprechen.

Die Linie des Dornenwaldes auf der anderen Seite schien kaum näher zu kommen, obwohl sie am freien Himmel deutlich sehen konnten, dass sie Mittag schon hinter sich liegen hatten, aber jetzt zu Hetzen würde sie nicht schneller vorankommen lassen.

Hagen hielt sich zurück.

Das Wegfinden war keine Arbeit, für die es viel Anleitung, Intelligenz oder Meinung benötigte, und es war ihm nur recht wenn er stumpf hinter der Vorhut herstapfen und seinen eigenen Gedanken nachhängen konnte. Der gestrige Angriff hatte sie acht Männer gekostet, zwei Knechte, einer aus Melance und der einzige aus Gotund, und zwei seiner Soldaten unter ihnen. Es tat ihm mehr Leid, als die gesichtslosen Verluste der vorangegangenen Tage – er hatte die Männer gekannt und geschätzt, mit etwas Geduld hätten sie es beide wohl noch zum General gebracht.

Er war wütend auf sich selbst, dass er nicht auf seinen Instinkt und damit den Rat von Prinz Samir vertraut hatte, aber noch wütender war er auf den König von Melance, der ihn durch seinen schrecklichen Starrsinn überhaupt in diese bedrängte Lage gebracht hatte. Wenn er auch nur einmal bereit gewesen wäre, über seinen Stolz hinweg zu sehen und die Worte eines Morgenländers wenigstens in Betracht zu ziehen ...

Der Magen von einem der Männer knurrte laut und er musste sich das genervte Stöhnen verkneifen. Die waghalsige Aktion der Morgenländer und der jungen Arztgehilfin hatte zwar ein wenig gerettet, aber weit würden sie damit nicht kommen. Sie hatten nur eine kleine Ration zum Frühstück verteilen lassen - etwas mehr für die Verletzten, damit sie wieder zu Kräften kamen -, aber er hätte gehofft, dass die Soldaten so eine Weile auskommen würden. Sie waren verwöhnt durch Jahrzehnte des Friedens mit den Nachbarkönigreichen – tagelanger Hunger war nichts mehr, was sie einfach aushielten. Wenn er zurückkam, musste er die Armee entsprechend disziplinieren, überlegte er.

Jetzt mussten sie vor allem vorankommen. Er verengte die Augen, um unter dem ungewohnt grellen Licht der Sonne über ihnen besser nach vorne schauen zu können, aber das Moor vor ihnen spiegelte das Licht zu sehr, wo brackiges Wasser durch den morastigen Boden trat, als dass man irgendetwas außer helle Blitze hätte erkennen können. Es schmerzte in den Augen, obwohl sich die Sonne schon wieder im Niedergang befand.

Für einen Moment ertappte sich Hagen dabei, wie er die Abwesenheit von Prinz Willehad bedauerte. Zwar flüsterte eine böse Stimme in ihm davon, wie er sicherlich dem gestrigen Angriff der Kobolde gänzlich zum Opfer gefallen wäre in seiner Unbeholfenheit, aber sein Buchwissen und Kenntnisse über alte Märchen hätten ihnen bestimmt sagen können, wie lange sie noch brauchen würden. Hatte er nicht auch einen See von den Karten erwähnt?

Was sie an Karten dabei gehabt hatten, lag wie der Großteil ihrer Ausrüstung hinter ihnen am anderen Ende des Moores, sicherlich längst zerfetzt von rasenden Kobolden. Auch wenn Samir sich sicher schien, dass diese sie nicht weiter verfolgen würden, konnte Hagen eine gewisse dunkle Vorahnung darüber, was sie auf der anderen Seite erwarten würde, nicht abschütteln. Er hätte nicht gedacht, dass er sich jemals in einem Moor sicherer fühlen würde als auf festem Grund.

Vor ihm blieben Fürst Vitus und Robbin stehen und wandten sich nach ihm um, und als er fragend die Stirn runzelte hatten sie sich bereits zu ihm gesellt und stapften neben ihm.

„Wir müssen über die Morgenländer reden", sagte Fürst Vitus leise und Hagen sah sich unweigerlich um, ob von ihnen welche zu sehen waren. Der Wanderprinz befand sich mit seinen Soldaten ganz an der Spitze des Zuges mit seinen Soldaten, wo er sich persönlich niederbeugte und mit einem Stab den Boden prüfte, über den sie gingen. Sein alter Berater war etwas hinter ihnen, wo ihm der Weg sichtliche Mühe zu bereiten schien, eine Hand auf das Pferd gestützt, das von der leichtsinnigen Arztgehilfin geführt wurde wie eine Trophäe.

Dornen - Das verwunschene KönigreichWhere stories live. Discover now