Klauen

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Bis zum frühen Nachmittag gab es keinerlei bedenkliche Vorfälle. Ein paar Soldaten verschätzten sich in der Entfernung zu den Dornen und zogen sich Kratzer zu, und einmal blieb der erste Wagen in einem schmalen Bachbett hängen, das die fußläufigen Soldaten zu erwähnen vergessen hatten, aber so unheimlich und schummerig der enge Dornenwald um sie herum auch war, keiner widerstand der düsteren Verlockung, den raschelnden Wesen und unnatürlichen Schreien darin auf den Grund zu gehen.

Als sie einen breiteren Bachlauf erreichten, beschloss Hagen, dass es an der Zeit für eine kurze Rast war. Auch wenn sich die Vorhut, die unermüdlich die engen Wege durch die Dornen breiter schlug, regelmäßig abwechselte, waren die Männer doch längst schweißüberströmt und atmeten schwer, und auch der Rest der kleinen Armee hatte trotz der langsamen Geschwindigkeit mit dem trügerisch unebenem Grund und der ständigen Aufmerksamkeit zu allen Seiten zu schaffen.

Der Bach plätscherte munter einen sanften Einschnitt der Schräge hinunter, über die es sie gerade führte. Dort, wo sie sich ihren Weg bahnten, fanden sich ein paar verlorene, aber sichtlich von Menschenhand behauene Steinblöcke, die Überreste einer Brücke. Jetzt jedoch war nicht viel geblieben, was von passierenden Menschen zeugte, außer ein kleiner Streifen zu beiden Seiten des Wassers, wo das Grün natürlich und ohne die übergreifenden Dornen sprießen konnte. Erst auf den zweiten Blick erkannte Hagen, dass auch hier die Reste von Mauern den toten Dornenwald vom fruchtbaren Bachbett abtrennten.

Der fortgeschrittene Sommer zeigte auch im Wald von Ilreth noch seine Auswirkungen, und der Wasserstand des Baches war niedrig genug, dass sie nur etwa knietief durch sein Wasser hindurchwaten mussten, um auf die andere Seite zu gelangen. Für die Wagen allerdings war das Gelände kaum passierbar, weshalb die Rast gleichzeitig Zeit ließ, dass die Diener rasch eine Brücke aus mitgeführten Brettern und Zeltstangen zusammenschnüren konnten.

Hagen sah zu, dass die Männer sich gut zu beiden Seiten des Bachbettes verteilten, ohne zu weit zu den Seiten auszuschwärmen und stellte diejenigen von ihnen, die nur zur Reserve auf den Pferden geritten und deshalb ausgeruht waren zu beiden Seiten abseits des Baches als Wachen auf.

Er hatte gerade seine letzten Anweisungen gegeben und wollte sich zu den anderen Hoheiten zurückbegeben, als er den Blick von König LePapin auf sich spürte. Der ältere Mann betrachtete ihn mit unbewegter Miene, was für ihn und sein ständig dröhnendes Lachen und Scherzen recht besorgniserregend war.

„Was gibt es?", fragte Hagen ihn fest, bevor er sich zu den anderen zurückbegab, die sich gemeinsam an der breitesten Stelle des Uferstreifens in das wenige Gras gesetzt hatten und dort von den Dienern mit Wein und Brot versorgt wurden.

Augenblicklich begannen die Augen des Königs wieder belustigt zu funkeln.

„Ich dachte nur", antwortete er überschwänglich und gestikulierte dabei mit weit ausholenden Bewegungen, „Dass wir uns – korrigiert mich, wenn mich nur meine Erinnerung im Stich lässt – dass wir uns absprechen wollten, bevor wir größere Entscheidungen treffen. Und dass ich mit keinem Wort gefragt wurde, ob wir hier unsere Rast einlegen wollen, oder lieber noch ein Stück weiter ziehen."

Hagen runzelte die Stirn.

„Es gibt wohl kaum einen günstigeren Ort, und ich muss auch nicht weiter ausführen warum", gab er ungehalten zurück. „Wenn Ihr Bedenken habt, Eure Hoheit, dann könnt ihr diese selbstverständlich jederzeit einbringen."

Ihm war klar, dass es dem König nicht um die Entscheidung selbst ging, sonst hätte er sich sicher zu Wort gemeldet. Aber er verfolgte ihn und seine Worte schon länger, und es schien ihm immer noch nicht ganz schmecken zu wollen, dass Hagen über die meisten anwesenden Männer befehligte und damit – obwohl er nur ein Prinz war – sein Wort hier deutlich mehr Gewicht hatte. Er sah nicht ein, warum er dem Stolz des Königs zuliebe seine Befehlsgewalt abgeben sollte, diese Armee bestand zum größten Teil aus Männern von Gotund und für sie wollte er allein sich verantwortlich fühlen. Gleichzeitig war es aber natürlich wichtig, ihn dennoch bei guter Laune zu halten, damit er sich nicht gegen sie stellte. Wenn er den Morgenländer Samir bloß unter seinem Gefolge hätte, er wüsste sich bestimmt gut aus der Zwickmühle hinauszureden.

Dornen - Das verwunschene KönigreichWhere stories live. Discover now