Vor uns der Tod

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Norwin tat sein Bestes, zuversichtlich zu wirken. Wo er an seinen Männern vorbei kam, schenkte er ihnen ein breites Grinsen, klopfte ihnen kameradschaftlich auf die Schulter und hatte den halbgaren Witz über drei lahme Schuster, den er vor ein paar Tagen im Wirtshaus gehört hatte, bestimmt schon ein dutzend Mal erzählt.

Aber es half nichts – selbst die tapfersten der gotundischen Soldaten blickten dem ungewissen Weg vor ihnen mit Abneigung und Misstrauen entgegen. Sie ließen sich so unglaublich viel Zeit, ihre letzten Vorbereitungen zu treffen, dass es Norwin war, als verginge die Zeit wie zähflüssiger Honig. Und er konnte nichts dagegen tun. Die meisten von ihnen bemerkten wahrscheinlich nicht einmal selbst, wie stockend sie sich bewegten, zu beschäftigt mit den düsteren Gedanken, die ihnen klar auf die Gesichter geschrieben waren. Wer sich nicht leise murmelnd über die Gefahren unterhielt, die sie noch vorfinden würden, der wurde dennoch von der miesen Stimmung angesteckt.

Hagen musste schon sehr lange und sehr ausführlich nach Spuren von Mathildas Verbleib suchen, wenn er zu einem vollständig abgebrochenen Lager und versammelten Männern zurückkehren wollte. Der König LePapin war noch nicht einmal aufgestanden, Prinz Willehad hatte große Mühe, all seine Männer zusammen zu suchen, Prinz Alaron untersuchte erst die Stätte, wo sie über Nacht unvermutet wieder Männer verloren hatten und den Wanderprinzen hatte er gerade erst unter seinen herumwuselnden Gefolgsleuten entdeckt und mithilfe des Übersetzers davon unterrichtet, dass sie sich erst versammeln wollten.

Norwin ermahnte einige Kompanieführer, die Männer besser im Blick zu haben und machte sich dann auf die Suche nach seinem Prinzen, noch halb in der Erwartung, ihm auf dem Pfad in die Dornen folgen zu müssen. Glücklicherweise hörte er seine Stimme von weitem, kurz bevor er zum Rand der großen Lichtung kam und die Männer sah, die sich dort nur zögerlich davon machten, klar auf Anweisung des Prinzen.

Ein paar Morgenländer standen in der Nähe in einer Gruppe zusammen und unterhielten sich leise murmelnd, aber der Wanderprinz war noch nicht dabei. Hagen überblickte sie genauso wie die Männer mit harter, unbewegter Miene.

Norwin trat zügig an ihn heran. Der Prinz reagierte nicht darauf, aber Norwin wusste, dass er ihn bemerkt hatte.

„Ich mache mir Sorgen", sagte er rasch. „Die Stimmung der Männer ist miserabel, selbst mit meinen besten Anstrengungen kann ich nicht garantieren, dass sie folgsam hinter Euch stehen werden."

„Ich weiß", gab Hagen trocken zurück. „Hier hätten sie sich gerade fast gegenseitig die Köpfe eingeschlagen, weil sie einen der Maraldurer für einen bösen Zauberer halten, der die verlorenen Männer auf dem Gewissen hat."

Norwin runzelte die Stirn. „Ich kann diesen Ansatz nachvollziehen", meinte er. „Es ist in der Tat etwas seltsam, dass sie bis hierher ohne Verluste gekommen sind."

„Oh bitte, fang mir nicht auch damit an", schnaubte Hagen verächtlich, „Seltsam finde ich es auch, aber der Junge hat damit nichts zu tun. Selbst wenn dunkler Zauber dahinter steckt, dann werden wir wohl deutlich mehr tun müssen, als uns gegenseitig fadenscheinige Beschuldigungen an den Kopf zu werfen. Wenn das so weiter geht, dann werden wir uns gegenseitig umbringen, ganz ohne die Hilfe der Dornen oder ihrer Kreaturen."

Norwin senkte ergeben den Kopf.

„Das klingt nicht so, als wüsstest du, wie man die Moral heben kann."

„Sie sollten von allein wissen, dass sie ihrem Prinzen zu folgen haben", knurrte Hagen dunkel und Norwin presste die Lippen aufeinander. Der Soldat Dankwart hatte die Erlaubnis bekommen, auf dem Wagen der Ärztin mitzufahren, weil er sich kaum noch ohne Schmerzen bewegen konnte, aber anstatt dass die Männer wenigstens daraus den Schluss zogen, den Befehlen ihres Prinzen besser zu gehorchen, fütterte es nur ihre Angst. Für sie gab es unzählige Gründe, die gegen die Weiterreise sprachen und wohl kaum einen dafür. Der letzte Tatendrang war bei den meisten Männern verraucht, und dort wo er verblieben sein mochte waren die Stimmen der größten Jammerer lauter und übertönten sie.

Dornen - Das verwunschene KönigreichWhere stories live. Discover now