Tastende Finger, fallender Groll

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„Seid Ihr sicher, dass er uns finden wird?", fragte Mathilda unruhig, während sie der Wachenden und mehreren Männern mit Fackeln folgte. „Ihr sagtet doch selbst, dass unser Ausgang ungewiss ist."

„Der verwunschene Prinz verfügt über magische Sinne in seinem Zustand", erwiderte die Wachende ruhig, „Und er kann allein ungestört die Dornen durchschreiten und erspähen. Wo immer wir zurück ans Tageslicht treten, wird sich einer seines Volkes finden und ihm Bescheid geben."

Mathilda war nicht überzeugt – sie vermisste den Bären, auch wenn die Erkenntnis über seine wahre Identität die ohnehin schon ungewöhnliche Freundschaft zu ihm noch seltsamer gemacht hatte. Aber sie verstand gleichwohl, dass er sie kaum noch tiefer in die Eingeweide des Landes begleiten konnte, wo die Gänge immer enger und schwerer zu passieren waren, ohne sie auf ihrem Weg zu behindern. Vielleicht würde er Tizita finden, die dort draußen ebenfalls irgendwo herumstreifen musste, unruhig auf der Suche nach ihrer Herrin.

„Sie wird mich finden", sagte Asifa halblaut, als wüsste sie, was Mathilda gedacht hatte. „Wir haben einen Traum geteilt, letzte Nacht, und unseren Ausgang gesehen, mitten in der dornigen Wildnis. Sie wird kommen. Alles ist so, wie es sein soll."

„Ist es so?", erwiderte Mathilda scharf und ihr Kopf zuckte unmerklich zu den beiden Jungen, die kurz hinter ihnen liefen. Obwohl sie ihnen gesagt hatte, dass sie zurückbleiben sollte, waren sie beide nicht davon abzubringen gewesen, sie weiter zu begleiten und sie wusste genau, dass die Morgenländerin damit zu tun hatte – und wenn es nur wegen dem leisen, spöttischen Funkeln in ihren Augen gewesen war, als Albin ihnen den Entschluss mitgeteilt hatte.

Asifas Mundwinkel hoben sich auch jetzt kaum sichtlich an.

„Sie gehören jetzt zu uns, ob Ihr das wollt oder nicht, edle Fürstin", entgegnete sie, laut genug, dass Albin und Zacharie hinter ihnen alles hören konnten.

Mathilda verdrehte die Augen.

„Noch können sie umdrehen", beharrte sie.

„Ich will nicht mein Leben lang unter der Erde bleiben müssen!", rief Zacharie nachdrücklich von hinten und Asifas Grinsen wurde breiter. Fast war Mathilda versucht, sich umzudrehen und dem kleinen Jungen zu erklären, was ihn sonst für ein Schicksal erwarten könnte, aber so grausam war sie nicht – so etwas würde nur Asifa tun. So etwas in der Art hatte sie getan.

Mathilda musste zugeben, dass sie sich nicht halb so unwohl mit der Begleitung der beiden Jungen fühlte, wie sie das hätte tun sollen, und das ärgerte sie fast noch mehr als die Tatsache, dass Asifa hinter ihrem Rücken Entscheidungen getroffen hatte.

Vor ihnen blieb die Wachende stehen und wandte sich zu ihnen um.

„Wir sind am Ende der uns bekannten Wege angekommen", sagte sie ernst. „Ab hier haben die Anfälle der Donnerkönigin alles geändert. Wenn wir einen leichten Bogen zurück machen, haben wir in einer halben Stunde einen Aufstieg erreicht – oder wir bleiben auf den unbekannten Pfaden und vertrauen darauf, dass es einen Ausgang gibt, der noch näher an Ilris liegt. Es ist gut möglich, dass wir noch eine weitere Nacht in den Höhlen verbringen müssen."

„Wie nah wären wir hier?", fragte Mathilda. Sie waren lange unterwegs, auch wenn sie ohne das Licht der Sonne nicht sagen konnte, wie lange genau. Zweimal hatten sie seit ihrem Aufbruch aus den Wohnhöhlen gerastet, einmal hatten sie sich mit einer einzelnen wechselnden Wache in einer eigens dafür ausgeschlagenen Einkerbung länger niedergelegt. Doch immerhin waren sie von den Höhlenbewohnern gut ausgerüstet worden, mit ausreichend Proviant, frischem Quellwasser, Waffen und weniger zerrissenen und schmutzigen Kleidung.

Dornen - Das verwunschene Königreichحيث تعيش القصص. اكتشف الآن