In aller Pracht gefeiert

486 63 36
                                    

Das erste Mal, dass Samir wieder mit klarem Kopf erwachte, saß die Prinzessin neben seinem Bett.

„Ich war öfter hier", begann sie leise. „Aber Ihr habt jedes Mal geschlafen, und ich wollte Euch nicht stören."

Er lächelte schwach und schob sich auf den Kissen weiter nach oben, damit sich ihre Blicke besser begegnen konnten.

„Ihr hattet sicherlich viel zu tun. Ich nehme es Euch nicht übel", erwiderte er. Draußen war die stetige Geschäftigkeit des Schlosses zu hören, Schritte auf dem Boden, Gesprächsfetzen, kurze Fanfaren irgendwo auf den Mauern. Er hatte sich viel zu schnell wieder an sie gewöhnt, seine unruhigen Träume durchzogen davon.

Sie zuckte mit den Schultern. „Meine Eltern kümmern sich um das meiste – sie müssen sich daran gewöhnen, dass in allen Reichen völlig fremde Herrscher an der Macht sind, aber ich glaube, sie haben sich längst auf so etwas vorbereitet. Und die weisen Frauen, die verblieben sind, helfen ihnen."

Die Prinzessin stockte und seufzte. „Ich glaube nicht, dass sie verstehen, wie lange ich wach war. In ihren Augen bin ich gerade erst dem Kindesalter entwachsen."

„Sie werden Zeit brauchen, um es wirklich zu verstehen", sagte Samir sanft. Sie biss sich auf die Lippen, der Ausdruck in ihrem Gesicht hilflos. „Die Zeit ist jetzt auf unserer Seite."

„Das hoffe ich", flüsterte sie und kurz schien sich ihr Gespräch zu verlieren, bevor sie sich einen Ruck gab und etwas aus der Tasche ihres Kleides hervorzog. Es war eine Rose, tief violett und so stark duftend, dass Samir sich wunderte, es nicht früher bemerkt zu haben. Der Duft beruhigte ihn und gab ihm gleichzeitig Kraft zurück.

„Im ganzen Land wachsen Rosen", erklärte sie leise. „Überall dort, wo die Dornen ihre Opfer gefunden haben, auch auf meinen Gräbern. Diese hier stammt von dem Strauch an der Stelle, wo Ihr Euren Begleiter verloren habt. Ich ... ich dachte, vielleicht freut Ihr Euch."

Sie wirkte beinahe unsicher, als sie die Blüte vorsichtig auf sein Bett neben seine Hand legte und er lächelte sie umso breiter an, dankbar. Er musste es nicht erzwingen.

„Gemeinsam mit dem Vogel ist es beinahe, als wäre er zurück", sagte er und gab sich nicht einmal die Mühe, die Tränen wegzublinzeln. Er hatte keine Kraft mehr dazu – und es war nicht so, als wären viele Leute zugegen, um ihn zu beobachten und zu verurteilen.

Bei seinen Worten drehte sie sich zum halb geöffneten Fenster und dort saß er bereits und hatte den Kopf schiefgelegt. Als er Samirs Blick bemerkte, tschilpte er vergnügt.

„Er war jedes Mal hier, wenn ich kam", sagte Elwa.

„Ich weiß", erwiderte Samir. „Ich habe es gespürt."

Es war nicht das gleiche, wie Djadi selbst bei sich zu haben, atmend und lachend, aber es war genug, um ein unstetes Gleichgewicht zu halten und sich nicht hinabziehen zu lassen von allem, was hinter ihnen lag. Aber er wusste nicht, ob es genug war für alles vor ihnen.

„Ich habe viel zugehört, die letzten Tage", sagte Elwa unvermutet. „Geschichten, von allen, die hier angekommen sind – jenen, die der Fluch verwandelte und jenen, die dem Fluch zu begegnen versuchten. Viele erzählten mir von den sagenhaften Abenteuern des Wanderprinzen. All die unglaublichen Dinge, die Ihr gesehen habt."

„Ich bezweifle, dass viel Wahres dabei war", sagte er rasch. „Geschichten nehmen sich oft nur einen Funken der Wahrheit, bevor sie sich selbst schreiben. Wie Ihr sicher wisst."

„Und sie haben oft mehr Wahrheit, als man denkt", erinnerte sie ihn. „Ich fühle mich fast geehrt, dass ich Euch wichtig genug war, meine Geschichte zu verfolgen."

Dornen - Das verwunschene KönigreichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt