Der Auftrag der Wissenden

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Das flaue Gefühl in der Magengegend war nichts, was Norwin gewöhnlich für allzu lange am Stück verspürte. Es war am schlimmsten gewesen, als ihn sein damaliger General zu sich gerufen hatte, ohne ihm vorher den Grund zu nennen, kurz bevor seiner eigenen Ernennung zum General, aber das waren nur wenige Minuten gewesen, wenige Sekunden bevor er in das Stabszimmer eingetreten war.

Dieses Mal war er damit eingeschlafen und wachte jetzt wieder damit auf, als Hagen ihn im frühsten Morgengrauen weckte.

„Was gibt es?", murmelte er verschlafen. Sie hatten sich die Hütte mit nur wenigen anderen Männern geteilt, rangniedrigere Kompanieführer, aber keine einfachen Soldaten, so weit war es mit Hagen noch nicht gekommen. Nur ein einziger von ihnen würde mit ein paar Männern voranschreiten, der Rest würde mit Norwin zurückkehren. Vielleicht hätte er sich lieber erleichtert als unruhig fühlen sollen, aber er ließ seinen Prinzen nicht gerne mit so wenigen Männern weiterreisen, egal was er selbst angeordnet hatte.

„Komm mit mir", sagte Hagen nur.

Er folgte ihm vorsichtig über den alten Steinboden nach draußen, wo das Licht gerade wieder hell genug war, dass man graue Umrisse der anderen Häuser und der Männer erkennen konnten, die zwischen ihnen ihre Wachrunden gingen. Zwei seiner Soldaten nickten ihm zu, als sie an ihnen vorbeitraten, um durch den engen Weg zwischen zwei nahestehenden Hausruinen weiter vom Platz fort zu gelangen. Sie fanden sich in einem ungemütlich schmalen Korridor zwischen Häuserrücken und Dornenwald vor, aber Hagen ließ keinerlei Unbehagen darüber verlauten und schritt nur umso stechender voran.

Im Schatten der mächtigen Dornenbäume wartete ein älterer Soldat auf sie, der ihnen entgegentrat, als er sie kommen sah. Aus der Nähe erkannte Norwin ihn als den Anführer von Fürstin Mathildas Soldaten, Belgert, wenn er sich recht entsinnte. Die zweite Gestalt, die sich ohne Vorwarnung aus den Schatten löste, ließ ihn dagegen zusammenzucken.

Die Frau selbst hatte er schon am Abend zuvor in der Hütte gesehen, aber noch nie von so nahem. Er versuchte unauffällig, ihr Gesicht zu studieren, aber ihre Züge waren merkwürdig unfassbar, alt und jung zugleich, weder besonders ansehnlich noch allzu hässlich. Sie bemerkte seinen Blick und erwiderte ihn und trotz des schwachen Lichtes waren ihre Augen dabei deutlich zu erkennen. Es jagte ihm eine unrühmliche Gänsehaut über den Rücken.

„Was hat das zu bedeuten?", fragte er und runzelte die Stirn.

„Ich habe eine besondere Aufgabe für dich", sagte Hagen ohne Umschweife. „Gestern vor den anderen Männern wollte ich noch nicht davon sprechen, und ich musste ein paar Dinge abklären, aber jetzt ist alles klar und bereit. Belgert, würdet Ihr uns die Ehre erweisen?"

Der niederzollische Soldat nickte. „Sechs meiner Männer sind mir verblieben", erklärte er. „Und auch wenn mich der Gedanke, die Dornen baldmöglichst zu verlassen, mit größter Erleichterung erfüllt, so kann doch nicht einer von uns guten Gewissens auch nur einen Schritt zurück gehen, solange unsere Herrin verschollen bleibt."

Norwin blinzelte, als er verstand.

„Ihr wollt sie also tatsächlich suchen gehen", stellte er fest. „Und ich soll mich ihnen anschließen?"

„Genau", sagte Hagen. „Such dir dazu noch eine Handvoll vertrauenswürdiger Männer unter jenen, die gestern nur zu gerne weiter mit uns gezogen wären, damit ihr eine angemessene Gruppe seid. Ich will, dass die Fürstin unter allen Umständen gefunden und zurück nach Gotund gebracht wird."

„Den Teil verstehe ich wohl", sagte Norwin langsam. „Aber wie sollen wir sie finden? Schon gestern nach ihrem Verschwinden war es unmöglich zu sagen, in welche Richtung es sie verschlagen hat und seitdem ist ein Tag vergangen, in dem sie sonstwohin gelangt sein könnte." Er ließ sich seine eigenen Worte noch einmal durch den Kopf ziehen, dann fügte er leiser hinzu: „Nicht, dass ich nicht bereit bin, über viele Tage hin jeden noch so schwer passierbaren Pfad in den Dornen nach ihr abzusuchen, wenn das Euer Wille ist, mein Prinz."

Dornen - Das verwunschene KönigreichKde žijí příběhy. Začni objevovat