Das Märchen von der Kriegertochter

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„Wenigstens fühle ich mich nicht verantwortlich, wenn ihm irgendetwas geschieht", sagte Asifa bissig, als sich Zacharie ein erneutes Mal umdrehte, bemerkte, wie nah sie gekommen waren und dann vorwärts rannte, Albin dicht auf seinen Fersen. Der junge Diener war der einzige, den er in seiner Nähe haben wollte. Auch den Bären hatte er vorgelassen, sodass er jetzt in kaum noch sichtbaren Abstand vor ihnen trottete und ihnen den rechten Weg wies, immerhin.

„Er ist nur aufgebracht", sagte Mathilda vorsichtig. „Er scheint mir keine allzu gute Bindung zu seinem Vater zu haben. Ich verstehe bloß nicht, warum – sollte ich einen Sohn zur Welt bringen, der allein mit seinen Gedanken die Wirklichkeit ändern kann, so würde ich ihm nichts als Liebe zeigen."

Asifa musterte sie mit gerunzelter Stirn, als könnte sie ihr nicht so recht glauben.

„Kaum ein Kind mit Fähigkeiten wird auf natürlichem Wege geboren", sagte sie schließlich. „Und noch seltener erfährt es eine gebührende Kindheit."

Sie erläuterte ihre Gedanken nicht weiter, aber Mathilda konnte ahnen, was sie meinte. Die Märchen berichteten oft genug davon, was mit ungewöhnlichen Kindern geschah, sie wurden weggesperrt, von Stiefeltern getötet, ausgesetzt, gequält. Jemand, der magische Abenteuer erlebte, musste immer dafür bezahlen.

„Was denkst du, wie es bei Zacharie ist?", fragte sie leise, als Asifa nur stumm mit verbissener Miene nach vorne schaute, ihre Schritte schneller. Die Jungen redeten leise und achteten nicht darauf, wie sie sich ihnen näherten. Irgendwo im Unterholz schlich Tizita herum, hielt sich aber von ihrem kleinen Pfad selbst fern.

„Du sagtest, der König hat noch drei ältere Töchter, nicht wahr?", gab sie zurück. „Er wird sich einen Thronfolger gewünscht und dafür mehr getan haben, als nur mit seiner Frau das Bett zu teilen. Ist sie im Kindbett gestorben?"

„Ja", sagte Mathilda, ihr Mund trocken. Sie erinnerte sich wieder daran, wie es vor Jahren einmal das Thema zu Hofe in Gunderfort gewesen war, wie glücklich und zuversichtlich und gesund die Königin von Melance gewesen war und wie sie der Tod ohne Warnung und Grund ereilt hatte. Sie war noch nie so froh gewesen wie an jenem Abend, dass ihr weder Ehe noch Kinder in baldiger Aussicht standen.

„Dann musste der König sie für einen männlichen Thronfolger opfern", schloss Asifa hart. „Vielleicht bereut er es und gibt dem Jungen die Schuld. Vielleicht kann er ihn nicht ansehen, ohne an seine eigenen Fehler zu denken. Vielleicht hat er Angst vor dem, was der Junge zu tun vermag. Vielleicht musste er zusehen, wie sich sein einstiger Wunsch vollkommen verkehrt hat."

Ihre Worte schienen kaum für die Ohren anderer Menschen bestimmt, ihr Blick nachdenklich in die Ferne gerichtet, auf keinen Punkt konzentriert. Mathilda spürte, dass Asifa nicht mehr nur von dem Jungen sprach.

„Warum machst du dir all diese Gedanken?", fragte sie vorsichtig und sah, wie sich die Hände der Morgenländerin an ihrer Seite verkrampften.

„Wir sind uns gleich, weil wir beide aus einem Wunsch geboren wurden", murmelte Asifa. „Meine Eltern hatten zwölf Söhne und sie alle zogen irgendwann in den Kampf. Bevor ich geboren wurde, ist der erste von ihnen bereits gefallen. Meine Mutter wünschte sich nichts mehr als eine Tochter, die endlich sicher bei ihr bleiben würde. Sie bekam die Tochter, aber mich hat es mehr davongezogen wie jeden meiner zwölf Brüder. Wahrscheinlich erzählen sie sich schon die Märchen, zuhause."

Sie schnaubte auf.

„Es waren einmal ein Mann und eine Frau, die hatten zwölf starke und kluge Söhne und ihnen fehlte es an nichts. Doch ein Krieg tobte in der Heimat, und nach und nach mussten sie jeden Sohn in den Kampf schicken und sie weinten und klagten bitterlich. Da begab es sich aber, dass die Frau auf dem Markt einem seltsamen Männchen begegnete, das ihre Tränen sah und fragte: „Was weinst du, gute Frau?" und sie antwortete ihm „Ach, mein Mann und ich haben zwölf Söhne die wir lieben, doch der Krieg wird sie alle holen. Wenn wir doch nur eine Tochter hätten!" Das Männchen hatte Mitleid mit ihr und sprach: „Hier hast du Feigensamen, die sollst du hinter eurem Haus einpflanzen und jeden Tag hegen und pflegen und wenn der Baum erwachsen ist, so wirst du schwanger sein. Solange du das Kind in dir trägst, ernähre dich nur von den Früchten des Baumes und rühre keine anderen Speisen an, dann soll dir die schönste und lieblichste Tochter geboren werden und sie wird ihr Lebtag bei euch bleiben und euch eures Herzens froh machen." Und so ging die Frau heim und pflanzte den Samen, und nur wenige Tage später war ein stolzer Baum gewachsen und sie spürte, dass sie neues Leben unter dem Herzen trug. Also tat sie, wie das Männchen ihr geheißen und aß sich jeden Morgen und jeden Abend an den Feigen satt, und sie wurden nie weniger. Doch als die Niederkunft nicht mehr fern war, da ließ der Mann einmal einen guten Ziegenbraten im Haus stehen und seine Gerüche lockten die Frau und ließen ihr das Wasser im Mund zusammenlaufen. „Ein Bissen wird wohl nicht schaden", sagte sie sich. „Jeden Tag bis jetzt habe ich Feigen gegessen, da will ich mir wohl etwas Braten erlauben." Doch der Bissen war zu gut, und ehe sie sich versah, war der ganze Braten gegessen und da der Teller leer war, da erschien das Männchen aus der Luft und rief zornig: „Warum hast du dich nicht an die Regeln gehalten? Ein Mädchen sollst du haben, doch es wird euch genauso verlassen wie eure Söhne!" Die Frau weinte bitterlich, aber es ließ sich nichts machen und so war ihr ein Mädchen geboren, zart und lieblich wie sie es sich erhofft hatte. Doch als es heranwuchs wollte es nichts von Haushalt und Puppenspielen wissen, sondern nur mit den Brüdern und den Holzschwertern spielen. „Vielleicht wird es ihr ja Leid, wenn ihre Brüder sie grün und blau schlagen", sagten Vater und Mutter und ließen sie spielen. Das Mädchen wurde älter und wollte mit echten Waffen kämpfen lernen. „Vielleicht wird es ihr ja leid, wenn sie sich das erste Mal an der Klinge ritzt", sagte der Vater und sie ließen sie unterrichten. Doch das Mädchen übte sich nur mit immer größerem Eifer in der Waffenkunst und war bald geschickter als ihre Brüder und da es an der Zeit war, dass auch der letzte von ihnen in den Kampf gerufen wurde, da bat sie darum, dass sie mit ihnen ziehen durfte. „Vielleicht wird es Ihr ja leid, wenn sie sieht, wie die Menschen sterben", sagte der Vater wieder, auch wenn die Mutter weinte und das Mädchen anflehte, zu bleiben. Und so zog das Mädchen aus und fand so viel Gefalle am Kämpfen, dass sie nie wieder kam, und das soll eine Lehre für alle sein, die meinen, dass man mit Magie scherzen kann."

Dornen - Das verwunschene KönigreichWhere stories live. Discover now