Das Schicksal einer Prinzessin

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Für einen Moment waren sie alle still.

„Unmöglich", sagte Hagen dann, bevor er mit dem Schwert ausholte und auf sie zujagte. Mit einer so flüssigen Bewegung, dass selbst Samir Mühe hatte, ihr mit dem Blick zu folgen, hatte sie das Schwert in ihrem Gürtel gezogen und seinen Schlag pariert, ihre Augen blitzend.

„Ich will Euch nichts Böses", beharrte sie, nicht einmal außer Atem von ihrer schnellen Reaktion gegen den deutlich größeren und schwereren Hagen, der jetzt verblüfft innehielt, bevor er erneut ausholte. Sie wich ihm mit Leichtigkeit aus, fast tänzelnd, hinaus auf den Hof.

„Ist das dein Trick?", fragte Hagen wütend und folgte ihr entschlossen. „Du täuscht uns deine Unschuld vor, bis wir dir vertrauen und du uns in den Rücken fallen kannst?"

Er versuchte einen neuen Angriff, aber auf dem freien Hof war es noch deutlicher: das Mädchen war ihm mit ihrer Kampfkunst überlegen. Und Samir wusste, dass Hagen kein schlechter Kämpfer war.

„Wo bleibt Ihr, Prinz Samir?", presste er zwischen den Zähnen hervor während er Schläge auf das Mädchen einprasseln ließ, die sich abwechselnd zur Seite wegduckte und sie mühelos abfing und ihn dabei immer weiter von den anderen wegführte. „Sie kommt nicht gegen uns beide an!"

„Ich bin nicht Euer Feind!", beharrte das Mädchen. Sie klang ungehalten, aber nicht aufgebracht oder verbissen wie er, und sie teilte tatsächlich keinen einzigen Schlag selbst aus. Samir wollte Hagen in den Arm fallen und anhören, was sie zu sagen hatte, aber die unheimliche Kampfeskunst, die sie zeigte, ließ ihn innehalten. Vielleicht hatte Hagen tatsächlich recht und es war ein Trick.

„Es tut mir Leid, wenn ich Euch erschreckt habe", fuhr sie fort und jetzt endlich war eine gewisse Anstrengung in ihrer Stimme zu hören. „Ich weiß, was die Dornen anrichten können, ich hätte ahnen sollen, wie verwirrend mein Auftauchen sein muss."

Sie sprang zur Seite, nur knapp verfehlt von Hagens Schwert, als es längs nach unten sauste.

„Wenn sie allein sind, dann sind sie meistens verletzt und hungrig", sagte sie rasch und ihre Augen zuckten unruhig von Hagen zu Samir und den anderen hinter ihm, die alle kurz davor waren, ihm zur Hilfe zu Eilen und ähnlich wie Samir wohl nur von ihrem stetigen Redeschwall davon abgehalten wurden. „Ich versuche sie zu retten, aber die Dornen lassen sie nie so unversehrt wie Euch. Bei Melwyn dachte ich fast, es würde ..."

„Hagen!" Mathildas Stimme donnerte so laut und bestimmt über den Hof, dass sie selbst verunsichert schien über das Echo, das zu ihnen zurückhallte. Ihr Gesicht war bleich, als sie endlich auf den Prinzen zueilte und ihn zurückzog, bis er mehrere Schritte Abstand zu dem kämpfenden Mädchen hatte. Ihre Brust hob und senkte sich schwer, ehrliche Erleichterung auf ihrem Gesicht.

„Was wisst Ihr über Melwyn?", fragte Mathilda hart und stellte sich direkt vor Hagen, das Mädchen im Blick. „Was ist mit ihm geschehen?"

Das Mädchen musterte sie nachdenklich. Als ihr Blick das Gesicht der Fürstin streifte, wandelte sich ihre aufmerksame Miene sanfte Betroffenheit.

„Ihr kanntet ihn", stellte sie leise fest.

„Er war mein Bruder", sagte Mathilda bitter. „Vor einem Jahr ist er ausgezogen, um das Dornröschen zu finden."

Das Mädchen biss sich auf die Lippen, als sie nickte und in ihre vom Kampf erhärteten Züge schlich sich tiefes Mitgefühl, das sie furchtbar jung und verletzlich aussehen ließ, wie ein verirrtes Fuchsjunges.

„Er hat mich gefunden", erwiderte sie leise. „Er ... war stark verletzt, aber ich dachte, meine erlernten Heilkünste wären genug, um ihn zu retten. Ich habe es versucht, mehrere Tage lang, aber schon ab dem zweiten hat er nur noch im Fieber gesprochen."

Dornen - Das verwunschene KönigreichDove le storie prendono vita. Scoprilo ora