Nest

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Er fand sich in etwas, das sich wie Winter anfühlte.

Kälte schnitt in seine Schultern, wo sein Hemd zerrissen war und wenn er atmete, war die Wolke vor seinem Kopf so dicht, dass er für einen Augenblick gar nichts sehen konnte, selbst wenn er die Augen so weit aufriss, dass der Frost hineinbeißen konnte und sie tränen ließ.

Um ihn herum gab es nicht viel – ein paar kalte Steinsäulen, karge Wände an denen sich Eisblumen emporrankten, Dampf wie von tausend atmenden Mündern über seinem Kopf und um ihn herum. Manchmal hörte er Flügelflattern in der Ferne.

Albin erinnerte sich nicht, wie er hier her gekommen war. Er wusste auch nicht, was dieser Ort war. Irgendwo im Dunst hörte er es husten, aber ihm war als wiederhallte das Geräusch so stark, dass es von allen Seiten gleichzeitig zu kommen schien und er sich nicht auf die Suche nach dem Ursprung begeben konnte.

Sein Kopf schmerzte, als er versuchte, sich zu erinnern.

Wind. Da war Wind um ihn gepeitscht, kräftig und schmerzhaft und ... Albin sah an sich herunter und bemerkte, dass seine Kleidung an einigen Stellen gerissen war, in langen Striemen unter denen es rot schimmerte. Dort tat es kaum weh, als er aber endlich nach seinen Schultern tastete, keuchte er laut auf, weil ihn der Schmerz so kräftig durchzuckte. Die Wunden mussten tief sein.

Er wünschte, Lore wäre in der Nähe, sie wüsste sicherlich ein Mittelchen, um die Schmerzen zu lindern und die Wunden schnell zu heilen. Ihre Schreie nach ihm hallten in seinen Ohren wieder und er sah sie kleiner werden, mit dem dunklen Boden verschwimmen während er hart durch das Geäst schlug und von allen Seiten zerkratzt wurde ...

Das Flügelflattern zog erneut unsichtbar über ihn hinweg und dann, endlich, kam alles zurück, die Klauen in seinen Schultern und die peitschenden Lederflügel und seine letzten Versuche, nach Lores Hand zu greifen, während es ihn unaufhaltsam nach oben durch das Dornendach zog. Es war warmer Sommer gewesen, bevor sie ihn geholt hatten.

Mit der Erinnerung kam die Angst. Egal wohin ihn die geflügelten Ungeheuer hier gebracht hatten, es konnte kein guter Ort sein. Es war kein guter Ort, das spürte er in jedem seiner Knochen, von den Zehennägeln bis in die Haarspitzen. Er griff an die nächste eiskalte Wand und spürte die dunkle Magie, die ihm mit der Kälte entgegenpochte, bevor er sich umdrehte und losrannte.

Aus dem nebligen Dunst lösten sich mehr Säulen, und hinter ihnen war nur wieder eine Wand die sich oben im Nichts verlor. Albin tastete sich verzweifelt an ihr entlang, in der Hoffnung, irgendwo einen Ausgang zu finden, aber schon bald waren seine Finger von der Berührung so steifgefroren, dass es unmöglich war.

Er hörte Schritte, und wieder Husten. Auch wenn ihn alles dazu drängte, diesen menschlichen Geräuschen in dieser fremden Umgebung zu folgen, zwang er sich ruhig an seiner Wand zu bleiben und abzuwarten. Selbst ein Mensch konnte ihm hier feindlich gesinnt sein, und er hatte nicht einmal ein Messer oder dergleichen, um sich zu verteidigen. Vorsichtig schlich er weiter an der Wand entlang, bis er an eine Ecke kam und ganz leichtes Röcheln vernahm. Mit jedem Schritt weiter in die andere Richtung von der Ecke an wurde es etwas deutlicher, und dann löste sich schließlich eine Gestalt aus dem Dunst, die schlaff gegen die Wand lehnte und fortwährend nach Luft schnappte.

Außer in dem Fall, dass der Mann alles nur vorspielte, konnte er Albin so schwerlich gefährlich werden, und er wagte es sich ihm langsam zu nähern. Erleichterung durchfuhr ihn, als er erkannte, dass es ein gotundischer Soldat war – auch wenn die Ernüchterung gleich folgte, als er sah, wie übel zugerichtet er aussah, seine Schultern unter Blut und offenem Fleisch kaum noch zu erkennen, seine Brust ungesund eingedrückt.

Dornen - Das verwunschene KönigreichWhere stories live. Discover now