Einzug der Hoheiten

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Der Herr Gerulf meckerte so viel, wie schon lange nicht mehr. Nicht nur, dass sein Rücken schmerzte, auch sein Husten war schlimmer geworden und überhaupt machte ihm die Hektik im Schloss so sehr zu schaffen, dass er keinen klaren Gedanken mehr fassen konnte.

Wenn Albin gekonnt hätte, hätte er die Augen so weit verdreht, dass er das Innere seines eigenen Kopfes hätte ansehen können, allerdings blieb ihm nichts anderes übrig als dem alternden Ritter den ganzen Tag zu folgen, seinem Gemecker zuzuhören und sein Bestes zu tun, seine Leiden zu mildern. Gegen Rücken und Husten konnte er bei Ortrun die Tränke holen – leider so hastig, dass Lore und er beide keine Zeit hatten, sich mehr als ein Hallo zuzurufen -, aber gegen die Hektik gab es keine Mittel. Am Anfang waren es wenig Edelleute gewesen, die sich zur Reise nach Ilreth berufen fühlten, aber je mehr die alten Geschichten wieder aufkamen, von Ruhm und Reichtum und einem ewigen Platz in den Märchen der Zukunft, desto mehr Männer hatten festgestellt, dass ihnen die Aussicht auf die Erweckung des Dornröschens eigentlich doch sehr zusagte.

Entsprechend viel wurde vorbereitet, Proviant zusammengetragen, Waffen geschärft, Rüstungen poliert, Heilmittel aufgestockt, Zelte und Mäntel geflickt. In den Schmieden wiederhallte schon vor Sonnenaufgang bis spät in die Nacht hinein das Klirren von Metall auf Metall, die Pferde wurden hochgefüttert und glänzend gestriegelt und robuste Karren und Kutschen bei den Schreinern gebaut und ausgebessert. Albin fühlte sich als Kammerdiener seltsam ausgelassen. Er hätte gerne selbst gepackt und sich auf die Reise vorbereitet, aber es waren allein die Diener jener Herren, die selbst aufbrechen wollten, die sie auf dem Weg begleiten würden. Die und noch einige mehr, die der Hausmarschall selbst ausgewählt hatte um denjenigen zur Hand zu gehen, denen die eigenen Diener fehlten. Herwen war einer von ihnen, und Albin musste sich sehr zurückhalten, um in seiner Anwesenheit nicht allzu bissig zu werden. Fast jeder Kammerdiener und Knecht, den er in letzter Zeit gesehen hatte, schien auf dem einen oder anderen Weg erwählt worden zu sein, ob sie nun persönlich einem mitreisenden Adeligen dienten oder sich um die Pferde und das Gepäck zu kümmern hatten.

Herr Gerulf hatte sich nicht einmal überlegt, ob er sich anschließen sollte, wie viele der älteren Edelleute und Ritter, die nie geheiratet hatten oder bereits verwitwet waren, er hatte nur ausgespuckt und darauf geschimpft, dass der König aus den Augen verloren hatte, was gut für ihn war und sich zu sehr um das Schicksal anderer Länder kümmerte. Ganz abgesehen davon, dass der König ihm wahrscheinlich nie seine Erlaubnis erteilt hätte – es hieß, er ließe zwar jedem die freie Wahl, riet aber gerade den Älteren, oder denen ohne Nachkommen in wichtigen Gebieten davon ab, etwas derartig unsicheres zu wagen. Auch wenn das halbe Schloss in Aufbruchsstimmung war, Albin würde nicht dabei sein.

Er packte die kratzigen Gewänder des Herrn Gerulf, die er gerade mit großer Verspätung erst aus der Wäscherei bekommen hatte, fester und drückte sich in eine Nische in der Wand, als zwei Knechte einen großen Käfig mit gackernden Hühnern durch den Gang schoben, gefolgt von einer ganzen Gruppe, die allesamt umwickelte Schwerter trugen und sich angeregt unterhielten. Ihnen schien nicht einmal aufzufallen, dass sie Albin den Weg abschnitten, während sie die ganze Breite des Gangs ausfüllten.

Wenigstens Lore würde nirgendwo hingehen. Frauen wollte der König nicht losschicken – in der Wildnis gäbe es keinen Grund, zu waschen und zu flicken und selbst das konnten auch die meisten Hofdiener, die wenigstens über mehr Kraft besaßen, sollten sie sich verteidigen müssen.

Albin sah es schon kommen, ein halbleeres Schloss mit niemandem außer ihm und unzähligen, schnatternden Mägden, die sich darüber lustig machten, dass niemand ihn hatte mitnehmen wollen, und dann dazu lauter griesgrämige, alte Höflinge wie der Herr Gerulf, die ungeflickte Schuhe und zerrissene Hosen nach ihm werfen würden, bis er darin ertrank, weil er mit der Arbeit nicht mehr hinterher kam. Er wusste wohl, dass noch einige Diener mehr zurückbleiben würden und dass wahrscheinlich Jungen und Mädchen aus der Stadt kommen würden, um ihnen in Abwesenheit der anderen zur Hand zu gehen, aber er verlor sich nur allzu gerne in seinen düsteren Gedanken.

Dornen - Das verwunschene KönigreichWhere stories live. Discover now