Die Bürde einer Fürstin

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Mathilda ritt schneller als ihre Begleiter, ungeachtet ihrer warnenden Rufe.

Es war keine allzu große Herausforderung – natürlich besaß sie das schnellste Pferd aus den Stallungen, und all ihre Habseligkeiten trug ein Diener mit sich, sodass das Tier nicht allzu schwer an ihr zu tragen hatte. Dennoch erfüllte es sie mit einer gewissen Befriedigung, wie die Stimmen hinter ihr leiser wurden und sich das Haar aus dem strengen Knoten, den ihre Zofe am Morgen gemacht hatte, löste und nach hinten wehte, während sie durch das hohe Gras der nordwestlichen Hügel jagte.

Ein Teil von ihr ermahnte sie genauso vor dem Leichtsinn, sich von ihren Bewachern zu entfernen, wie diese es selbst inzwischen in weiter Ferne taten, aber das Königreich hatte lange schon keinen Krieg mehr gesehen und einzelne Räuberbanden, wilde Tiere oder bösartige magische Kreaturen wagten sich selten bei hellem Tag hinaus, um berittene Frauen anzugreifen.

Am liebsten hätte sie den gesamten Weg allein hinter sich gebracht, aber ihr Ziel lag knapp zwei Tagesreisen von ihrem heimatlichen Anwesen entfernt, und für eine Frau ihres Standes war es weder angemessen noch sicher, diese Reise ganz allein anzutreten. Aber wenigstens hier, kurz vor der Grenze, brauchte sie endlich ihre Ruhe, fern von den ständigen Ratschlägen ihrer zwei Berater, den besorgten Kommentaren ihrer Zofe oder dem übervorsichtigem Gebaren ihrer Soldaten.

Dabei war es ein Fluch wie ein Segen, dass sie nicht daran gewohnt waren, dass eine Frau an der Spitze des Hauses Niederzollern stand. Auf der einen Seite schienen die Männer um sie herum ihre übertriebene Fürsorglichkeit nie abzulegen und selbst den sinnvollsten Befehlen von ihr nie ganz zu trauen, auf der anderen Seite hatte die Verwirrung über das ordentliche Protokoll einiges an Freiheiten zu bieten. So etwa jetzt – da es höflich und anständig war, einer Dame ihren Abstand zu lassen, hatte sie sich überhaupt weit genug von ihren Männern entfernen können, um dem Pferd die Sporen zu geben.

Sie seufzte, als sie den nächsten Hügel erklommen, ihre Gesellschaft inzwischen hinter dem Kamm davor verborgen und außer Hörweite. Nur noch das sanfte Schnauben ihres Pferdes begleitete sie. Vor ihr zeichnete sich am Horizont klar der Wald ab und am liebsten wäre sie wieder umgekehrt.

Es war eine dumme Idee gewesen, hierher zu kommen. Der Wald zog sich zu beiden Seiten soweit das Auge reichte, die Landstriche davor bis auf wenige Bauern und Schäfer unbesiedelt. Vielleicht hätte es sich weniger hoffnungslos angefühlt, den üblichen Weg entlang über die breite Königsstraße zu seinem einzigen wirklich freien Eingang zu reiten und dort die Wache zu halten, aber wenn sie selbst über die Grenze gezogen wäre und wieder zurückkäme, dann würde sie auf dem schnellsten Weg nach Hause gelangen wollen, ohne den Umweg über Gunderfort, ihre Hauptstadt.

Oh, sie hätte auf ihren Verstand hören sollen und nicht auf den Rat der alten Mütterchen an ihrem Hof! Aber sie hatte sich so einsam gefühlt, nur mit ihren zwei jüngeren Schwestern, die an nichts anderes denken konnten als das große Herbstfest von Gotund, zu dem sie alle nach Gunderfort ins Königsschloss eingeladen waren. Sie vermisste Melwyn. Sie vermisste auch Meinard, und ihren Vater, und Onkel Wulfhard, aber sie waren längst verloren und auch die Tradition hatte sie nicht zurückbringen können.

Mathilda neigte selten zu Gefühlsausbrüchen, allein schon, weil sie für ihr Fürstentum einen kühlen Kopf bewahren musste. Sie tat gut daran, wenn sie die anderen Herzoge und Fürsten, oder gar den Rat am Königshof, möglichst wenig weibisch gegenüber trat und mit jedem Tränenausbruch machte sie nicht nur sich selbst, sondern ihr ganzes Volk verletzlich. Schon in jungen Jahren hatte sie gelernt, sich zu verschließen.

Es änderte nichts daran, wie beißend sie den Verlust ihrer Familie dennoch spürte. Jetzt, für einen kurzen, kostbaren Moment in der Einsamkeit der Grashügel, ließ sie die Feuchtigkeit in ihren Augen zu.

Dornen - Das verwunschene KönigreichTahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon