Eisige Flammen

386 69 7
                                    


„Das gibt es doch nicht!", entfuhr es Mathilda aufgebracht. „Wir sind so kurz davor!"

Der schmale Weg in den Dornen hatte sie direkt zur hinteren Eingangstür des Schlosses gebracht, aber egal was sie taten, sie war unmöglich zu öffnen.

Asifa hob die Augenbrauen.

„Nun, wenn wir einfach durch die Tür spazieren könnten, um wen auch immer zu retten, dann wäre es auch eindeutig zu einfach", bemerkte sie und Tizita fauchte, als stimmte sie ihr zu.

„Aber wie sollen wir sonst hineingelangen?", fragte Mathilda sie ungehalten. „An allen anderen Stellen ist das Schloss so dicht von Dornen überwuchert, dass man überhaupt nicht an seine Mauern herankommt."

Sie hämmerte noch einmal mit beiden Fäusten gegen das Holz. „Hallo, ist da irgendwer?"

Asifa hielt sie nicht davon ab, wie sie das bei ihren ersten Versuchen versucht hatte und Mathilda wusste, warum - wenn ihnen dort drinnen etwas aufgelauert wäre, dann hätte es sich inzwischen gemeldet. Stattdessen schälte sie die letzte Rinde von der Fackel ab, die sie sich notdürftig zu Anbruch der Dunkelheit gebastelt hatte. Zwar war der Himmel über den Dornen noch nicht gänzlich schwarz, aber in den engen Tunneln konnte man dennoch kaum etwas sehen.

Die Morgenländerin beugte sich vor, und fuhr behutsam über das raue Holz, über die eisernen Beschläge und das, was der Schließmechanismus sein musste. Tizita gab ein leises, kurzes Brüllen von sich, fast wie ein Bellen und sie hielt inne.

„Was?", fragte sie die Leopardin leise und drückte dann ein Ohr an die Stelle, wo sich die beiden Flügel der Tür trafen. Für einen Moment blieb sie still, dann klopfte auch sie bestimmt mit einer Hand gegen das Holz.

„Hallo?", rief sie bestimmt, „Wer ist da?"

„Hört Ihr jemanden?", fragte Mathilda.

„Würde ich hier sonst klopfen und schreien wie eine Irre?", gab Asifa trocken zurück.

Mathilda gab ihr nicht die Genugtuung einer Antwort, aber darauf schien sie auch nicht gewartet zu haben.

„Ich kann nicht verstehen, was sie sagen", fuhr sie nachdenklich fort, „Aber es klingt nach Menschen und es klingt nach Menschen, die hinaus wollen."

„Also ist die Tür weder von außen noch von innen zu öffnen", schloss Mathilda leise. „Also ist es vielleicht wirklich nicht die Tür, durch die wir kommen sollen."

„Vielleicht doch", entgegnete Asifa, „Nur die Art, wie wir sie öffnen, ist anders als sonst."

Sie reichte ihr wortlos die Fackel, legte beide Hände flach an die Tür, lehnte die Stirn gegen das Holz und schloss die Augen, als lauschte sie.

„Albin ist dort drinnen", murmelte sie gegen die Tür. „In meinen Träumen war sein Gesicht, und da waren Mauern – erklären kann ich es nicht, aber ich weiß jetzt, dass sie mir von diesem Ort hier erzählten, und dass er nicht fern ist. Und dort waren Flammen um ihn, vielleicht weil er in Gefahr ..."

Ihre Stimme verlor sich und Mathilda sah, wie ihre flachen Hände sich zu Fäusten ballten.

„Haben wir noch Zunder?", fragte sie, mit einer tieferen, eindringlicheren Stimme.

„Ein wenig", antwortete Mathilda, „Warum ..." Asifa wandte sich um und ihr Blick wanderte nur kurz zu der Fackel in Mathildas Hand.

„Flammen", wiederholte sie fest.

„Oh", sagte Mathilda. Sie stieß die Fackel in ihrer Hand kurzerhand in den weichen Waldboden, wo sie einigermaßen stecken blieb und bückte sich in ihrem Schein nach trockenen Blättern und Ästen, die sich zwischen den Ausläufern der feinen Dornenranken am Boden sammelten. Asifa kramte das letzte Zündmoos aus ihrem Beutel und stopfte es in die feine Ritze unter der Tür, dann tat sie es ihr gleich, bis sie einen kleinen Wall aus Brennmaterial unter dem dicken Holz aufgerichtet hatten.

Dornen - Das verwunschene KönigreichWo Geschichten leben. Entdecke jetzt