Kapitel 39 {Die Freiheit}

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Es vergingen etwa zwei Monate. Es war schwer hier unten die Zeit richtig festzuhalten.
Aber ich glaube es waren acht Wochen. Plus minus.
Zuerst sollte ich vielleicht sagen dass ich umgekippt war, als ich wieder in meinem eigenen Arztzimmer angekommen war.
Und als ich aufgewacht war, war ich mir nicht sicher welches meiner Ichs nun an der Macht war.
Ich hatte keine Ahnung, denn ich spürte die Schmerzen deutlich, wusste aber dennoch dass ich nicht mehr die alte Amara war.
Meine Verletzungen waren einigermassen geheilt.
An meinem Rücken zogen sich nun hässliche, wulstige Narben über die Haut.
Ich würde definitiv nie wieder mit einer schönen Frau wie Kelly mithalten können, deren Haut weiss und seidig war. Und welche mich gefühlte zwanzig Stunden am Tag bemutterte, was aber irgendwie auch gut tat.
Meine Hand war aber schlimmer dran.
Die Verbrennungen waren so verheerend, dass ich meine Finger zwar noch gebrauchen konnte, meine gesamte Hand aber aussah wie eine verkokelte Salami.
Ash hatte mir einen Handschuh genäht, schwarz und ganz eng anliegend.
Es sei gut für das Gewebe, hatte er gesagt. Keine Ahnung ob es stimmte oder ob der lustige Typ mit der Mütze mir nur hatte Mut machen wollen.
Doch ich lebte damit, es sah hässlich aus und ab und zu tat es immer noch weh, aber trotzdem hatte sich einiges verändert hier unten.
Zumindest für mich.
Die wenigen Male die ich mich aus meinem Zimmer gewagt hatte um es mit Krafttraining zu versuchen, damit ich nicht alles verlernte, hatten mich alle Menschen angestarrt.
Sie wussten alle dass ich Akon getötet hatte. Einen der vielversprechendsten Kämpfer hier unten.
Und dass ich wahrscheinlich auch gleich gegen mehrere Regeln verstossen hatte.
Aber sie schienen Respekt vor mir zu haben. Oder Angst, ich war mir da nicht so sicher.
Auf jedenfalls machte mich nicht ein einziges Mal Jemand blöd an. Und ich wurde auch nicht bestraft.
Das tat gut und verschaffte mir Genugtuung.
Doch leider gab sich auch Niemand länger als nötig mit mir aus. Die Meisten wichen mir sogar schon im Gang aus. Als würde ich sie anspringen oder so.
Das machte mich irgendwie traurig, doch übelnehmen konnte ich es ihnen schlecht, denn irgendwie wusste ich ja selbst nicht, ob ihre Befürchtungen wahr werden konnten.
Ich kannte mich selbst nicht mehr.
Eigentlich hielten nur Ash und Kelly zu mir.
Alec hatte sich nicht mehr bei mir blicken lassen. Wie er es mir prophezeit hatte, falls ich die Pillen nicht nahm.
Bald begann man sich Geschichten über mich zu erzählen.
Ein dummes Strassenmädchen das aus Versehen hier hinein geraten war und sich zunächst einen Platz in Alecs Herz und danach im Team erschlichen hatte. Dann aber war sie mehrere Monate nur noch mit dem Herzlosen Anführer Michael gesehen worden und irgendwann war sie durchgedreht, ausgepeitscht worden und hatte schliesslich wen umgebracht.
Was für eine Story ich doch abgab.
Aber so lebte ich in den Tag hinein, ganze acht Wochen.
Jeden Tag denselben Ablauf und auch heute stand ich wieder auf, mit dem Gedanken duschen zu gehen, Essen in mich hinein zu stopfen und dann mit dem Training wieder anzufangen, welches ich langsam aufbaute.
Doch mein Tagesablauf veränderte sich abrupt, als Kelly mit einem Dutt aus nur der Hälfte ihrer Haare ins Zimmer platzte und die Türe an die Wand knallte, sodass es Putz auf mich hinab regnete.
„Amara!"
„Was ist?"
Fragend und etwas perplex über ihren Auftritt hielt ich ein Kissen meines Bettes vor mich.
Die Pillen hatte das neue Ich, das natürlich die Kontrolle über meinen Körper nicht abgeben wollte, schon lange abgesetzt und der Arzt hatte auch nichts mehr dazu gesagt. Dennoch wusste ich dass er sich ständige Sorgen um mich machte. Der alte Mann war wirklich nett. Und ich hatte keine Chance, wieder zu meinem alten Ich zurück zu kehren. Zumindest kannte ich keinen Weg. Und wollte ja auch keinen finden.
„Michael will dich sehen! In seinem Büro."
Riss mich Kelly aus meinen Gedanken.
„Michael."
Wiederholte ich und zweifelte stark daran; dass Kelly nicht eine Fata Morgana war.
„Ich glaubs selbst nicht, aber er will mit dir reden."
Ich verzog das Gesicht.
„Oh man."
Ich liess mich zurück aufs Bett fallen und legte das Kissen über meinen Kopf, in der wagen Hoffnung, zu ersticken.
Michael hatte sich auch nicht mehr bei mir gemeldet, seid dem Vorfall.
Jedoch hatte er mich nicht bestraft, was ich als Entschuldigung für das Auspeitschen angenommen hatte.
Und wirklich nachtragend konnte ich ihm nicht sein, er war der Anführer, auf ihn durfte man nicht wütend sein. Oder aber es war mir einfach egal. Wahrscheinlich letzteres.
„Fragt sich nur wieso? Habe ich was angestellt? Habe ich etwas getan und dann vergessen?"
Nicht schon wieder hoffentlich, denn meine Gedächtnislücken häuften sich in letzter Zeit.
Das war wohl die Nebenwirkung wenn ich zwei Leute in mir zusammenleben liess, die sich um die Vorherrschaft meines Bewusstseins stritten.
„Weiss ich doch nicht!"
Kelly warf die Arme in die Luft und blinzelte aus ihren wunderschönen grünen Augen auf mich hinab.
„Na los beweg dich! Wenn er sauer ist solltest du ihn nicht warten lassen."
Sie knabberte ihre Nägel ab als wären es Chips und ich unterdrückte die Frage ob sie auch grad meine Nägel schneiden wollte. Sie waren wirklich etwas zu lang.
„Schon gut, okay, ich geh' ja schon."
Murrte ich und raffte mich mühsam auf.
Ich hatte gar keine Lust, mich von unserem Boss anschreien zu lassen oder sowas in der Art.
Aber da musste ich jetzt wohl durch.
Seufzend schlurfte ich an Kelly vorbei durch die Tür, die mir mitfühlend auf die Schulter klopfte.
„Viel Glück, Süsse."
Ich verdrehte nur die Augen.
Sie wusste genau dass dieses Wort ein Tabu war. Aber ausnahmsweise sagte ich mal nichts dazu.
Der Gang zog sich unendlich lang und als ich endlich an der mürrischen Wache vorbei in sein Büro trat, erwartete er mich bereits ungeduldig.
„Amara. Endlich."
Begrüsste er mich trocken.
Ich nickte ironisch.
Herzliche Begrüssung wie immer.
„Michael."
Erwiderte ich ungerührt und heimste mir damit einen nachdenklichen Blick seinerseits ein.
„Du wolltest mich sprechen?"
Er nickte.
„Schön dass du dir das merken konntest. Ich sehe dir geht es wieder gut."
Er drehte sich um und sein Mantel wehte dabei um seine Füsse. Ich setzte an, ihm zu widersprechen, doch er griff etwas und kam dann direkt auf mich zugesteuert.
Mit grossen, schweren und bedrohlichen Schritten.
Doch lieber nicht widersprechen. Auch wenn ich ihm gerne die 15 Peitschenhiebe etwas unter die Nase gerieben hätte.
„Amara. Ich habe dich beobachtet. Deine Fortschritte, deine Heilung und den bedauernswerten Zwischenfall mit Akon."
Ich leckte mir über die Lippe, sein Blick zuckte kurz dort hin doch fixierte sich dann wieder auf meine Augen. Ein Zwischenfall also. So konnte man es auch nennen.
„Ich habe dich vor einer Weile als Killerin betitelt.
Ich bin mir inzwischen nicht mehr ganz sicher ob das stimmt."
Was redete er da? Ich war mehr Killerin als jemals zuvor, ich hatte einen Menschen auf grausame Weise getötet! Und ein Teil in mir hasste sich auch dafür. Das war aber wohl die andere Amara. Nicht ich. Die starke Amara.
Trotzdem sagte ich nichts. Es würde schwer werden, Michael meinen innerlichen Twist auch nur ansatzweise zu erklären. Ich verstand ihn ja selbst nicht mal richtig.
„Deswegen habe ich beschlossen, dass du ab jetzt in unser Einsatzteam kommst. Ab nächster Woche fängst du an."
Meine Augen wurden gross.
„Du meinst das Team für..."
Er nickte langsam.
„Für Ausseneinsätze."
Mein Herzschlag beschleunigte sich rapide und ich musste mich bemühen, meine Freude nicht zu offensichtlich zu zeigen.
„Du kannst dich ruhig freuen. Du wirst nicht in Alec's Team eingeteilt, keine Sorge."
Meinte er mit einer ruhigen Stimme. Woher wusste er das jetzt wieder?
„Nein, du und einige andere disziplinierte Krieger kommt mit mir."
Ich hob eine Braue.
„Du gehst auch auf Ausseneinsätze?"
Er grinste geheimnisvoll und nickte. Wow, das erste Mal, dass ich ihn lächeln sah. Stand seinem ernsten Gesichtsausdruck nicht sonderlich. Ich mochte ihn lieber grimmig und kalt, wie ich ihn kannte.
„Du wirst auf jedes meiner Worte hören, das ist alles was du wissen musst. Mehr erfährst du nächste Woche."
Ich nickte eilig, auch wenn mein Magen rumorte, als ich an den Jungen dachte, der mir vor einiger Zeit völlig den Kopf verdreht hatte und mit dem ich es mir absolut versaut hatte. Grandiose Leistung war das gewesen.
„Und hier ist wie versprochen deine Karte."
Meinte er und hielt mir eine schwarze Karte, in die  silbernen Zahlen eingraviert waren, vor meine Nase.
„Wenn du diese Karte benutzt, kannst du aus diesem Gebäude raus. Jederzeit.Und niemand wird wissen, wo du hin bist."
Ergänzte er mit einem wissenden Blick auf meine begeisterten Augen.
Ich hätte fast breit gelächelt, als ich das Objekt meiner Träume ansah.
Es war soweit, ich hatte endlich bekommen auf was ich schon die ganze Zeit seit meiner Ankunft hingearbeitet hatte.
„Woher weisst du, dass ich nicht einfach abhaue."
Flüsterte ich, als ich ehrfürchtig die Karte in meine Hände nahm. Eine ohne, eine mit Handschuh.
Sie war so dünn, so unwichtig. Doch für mich war sie der Schlüssel zur Freiheit. Dem Einzigen, das wohl beide meiner Persönlichkeiten anstrebten. Oder?
Er antwortete nicht darauf, vielleicht wusste er doch, dass ich weg wollte. Wieso aber liess er es dann zu? Dachte er ich würde nicht gehen?
Ich spürte seine Hand an meiner Wange, wie sie langsam darüber strich und wich instinktiv zurück an die Wand.
„Du hast mich beeindruckt Amara.
Du bist nicht wie die anderen Frauen. Du wolltest deine Rolle einfach nicht akzeptieren. Du warst zwar lästig wie ein Dorn im Auge, aber irgendwie hast du mich beeindruckt."
Seine Stimme war so leblos wie immer, doch ich meinte ein Funken von Gefühlen hören zu können. Höchstwahrscheinlich pure Einbildung. Michael hatte keine Gefühle.
„Ich...danke Michael. Ich sollte gehen."
Flüsterte ich, mir war plötzlich anders, meine Beine zitterten und ich schluckte leer.
Komisches Gefühl, woher kam das?
„Ja solltest du wohl.
Aber wenn du nicht schon meinem Bruder gehören würdest..."
Er wusste doch genau dass mich Alec nicht mal mehr mit dem Arsch ansah.
Und es musste ihm Freude bereiten.
„Ich gehöre Niemandem."
Sagte ich und reckte das Kinn etwas in die Höhe.
Seine Finger drückten es wieder hinunter und die schwarzen Augen waren auf die meinen gerichtet.
Faszinierend, heute schien sich der Sturm, der immer darin wütete, gelegt zu haben.
Ich konnte mich nicht davon lösen.
Es berührte etwas in meinem Innern, was ich noch nie bemerkt hatte.
Was besser gesagt gar nicht existiert hatte bis zu diesem Moment, indem es plötzlich meinen Körper in Besitz nahm.
Verlangen. Nicht für Alec, für Michael. Oh nein, das konnte doch nicht mein ernst sein?
Für den sadistischen Boss dieser Organisation der mir niemals auch nur so etwas wie Gefühle gezeigt hatte und mich zu einer Verrückten mutieren lassen hatte. Ausgerechnet für ihn brannte das Feuer, welches aktiv wurde, als er mit den Fingern meinen Hals hinunter strich. Gerne hätte ich mich selbst dafür georfeigt, aber ich schätze dass zwei verschiedene Persönlichkeiten sich auch in zwei verschiedene Männer verlieben konnten.
„Doch tust du."
Erwiderte er.
Bevor ich noch etwas dagegen sagen konnte, legte er seine Lippen auf meine.
Geschockt kam mir ein Laut über die Lippen, doch dann begann es zu prickeln.
Es war keine brennende Leidenschaft und Zärtlichkeit wie ich sie bei Alec gespürt hatte.
Es war grobe Lust, verbunden mit dem Mut, nach dem Kalten und Bösen zu greifen. Es war spannend. Ich erwiederte den Kuss.
Nur ganz leicht. Doch Michael wurde sogleich fordernder.
Seine Hände packten meine Hüfte und zogen mich nahe zu sich, sodass ich meine Hände in seinen Rücken krallen konnte.
Mein Shirt und sein Mantel fiel zu Boden.
Ich hielt die Karte immer noch fest, als ich meine Hände in seinen Haaren vergrub.
Er knurrte und sofort zog ich sie zurück.
Dann begann er meinen Hals zu küssen.
Nicht so kitzelnd und sanft wie Alec.
Sondern mit harten Küssen, die mich irre  machten.
Nach ihm.
Und dann passierte es.
Meine Hand rutschte langsam hinunter und liess die Karte los.
Ich folgte ihr mit dem Blick über die breiten Schultern des Mannes vor mir, und wie sie zu Boden fiel.
Ich hatte meine Freiheit fallen lassen.
Für den Mann, der mich zu einem Monster gemacht hatte.
Jetzt wusste ich auch wieso mich Michael nicht davon abgehalten hatte, zu gehen.
Denn er hatte gewusst dass ich es nicht tat. Er hatte dieses Ich von mir über so lange Zeit manipuliert, dass es sich sogar in ihn verliebt hatte.
Ich gehörte hierher, schoss es mir durch den Kopf. Nein! Doch. Und das andere ich ebenso.
Das hatte er mich schon die ganze Zeit spüren lassen und so war es nun.
Ich gehörte...
Ihm.

~Ende des 1. Bandes~

So meine Sternchen ich hoffe sehr euch hat das Buch zum Nachdenken, toben, lachen oder wüten gebracht und ihr fandet es so spannend, dass ihr es in eurer Bibliothek lässt, denn es wird voraussichtlich bald ein zweites Band in demselben Buch geben, das mit Sicherheit :) jedoch ist es fürs erste mal zu Ende^^
Ich sagte ja, dass die Geschichte anders wird, als man erwartet oder kennt, aber ich hoffe dass ihr trotzdem bis hierhin zum vorerstigen Ende dabei gewesen seid! und vergesst nicht, es ist nur eine frei erfundene Geschichte!
Danke dass ihr auf der Reise dabei wart
Angora77

Poisoned Kiss *beendet* Where stories live. Discover now