Kapitel 35{Die Rache des Akon}

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Diese Worte hatten mich beinahe geschockt. Beinahe.
Aber ihm schien es zu gefallen, solche Opfer musste ich für meine Freiheit wohl bringen.
Also hatte ich nur schweigend genickt und nachgedacht, wie es sich angefühlt hatte, plötzlich alleine durch seine Pfeife kontrolliert zu werden.
So viel an Beherrschung wollte ich nie abgeben.
Weder an ihn noch an meine andere Seite.
Dennoch war es nun so geschehen. Aber ich wollte nicht wie eine Marionette an Michaels, geschickt gesponnen, Fäden hängen. Mein Entschluss stand fest. Ich würde gleich nachdem er mir die Karte gegeben hatte,  wieder mit den Pillen anfangen.
Und ich würde sie bekommen, selbst Michael liess mir hier nun wenig Zweifel offen.
Nach einer kurzen Dusche und nachdem ich notdürftig ein Pflaster an die Wunde an meiner Schläfe geklebt hatte, verliess ich das Zimmer wieder, um mit dem Lift nach unten zum Essenssaal zu fahren.
Am Lift, im unteren Stock, wartete bereits Alec. Er stieg zu mir ein und schweigend fuhren wir los.
„Du hast gut gekämpft." meinte er dann und brach damit die Stille zwischen uns.
„Danke." murmelte ich. Ich schämte mich so sehr, ihn anzusehen, weil er mitbekommen hatte, wie mein anderes Ich war.
„Ich hoffe es hat sich gelohnt, Amara. Denn ich habe dich dort drinnen, als du Akon angegriffen hast, nicht wieder erkannt. Das warst nicht du."
Ich schluckte. Oh ja, dessen war ich mir sehr wohl bewusst.
„Ich weiss. Das war meine andere Persönlichkeit. Ich habe die Kontrolle verloren nachdem..."
„Michael in seine vermaledeite Pfeife geblasen hat. Schon klar. Er kontrolliert dich Amara. Bemerkst du das nicht?"
Doch, seit dem heutigen Vorfall schon. Zumindest verstand es diese Persönlichkeit. Die andere schien vielmehr blutrünstig und begeistert zu sein, andere zu verletzen. Sie machte mir Angst.
„Aber auch Michael kann diese andere Seite in dir nicht kontrollieren. Du bist eine Gefahr für andere und vor allem für dich selbst."
Er hob mein Kinn und zwang mich, ihn anzusehen.
„Bitte hör auf damit, nimm diese Pillen wieder und bitte Dimitri um Hilfe. Er hat sich in das Thema eingelesen. Er kann dir sicherlich irgendwie helfen. Aber ich ertrage es nicht, zu sehen, wie diese tolle Frau, die ich kennen gelernt habe, in all der Dunkelheit versinkt, die dich umgibt."
Schöne Worte. Er mochte mich wirklich. Und ich ihn auch. Ich hatte erkannt, das mich Michael manipuliert hatte. Dass ich seinetwegen nicht mehr die Pillen genommen hatte und dass ich seinetwegen das restliche Bisschen Kontrolle über meine psychische Störung verloren hatte.
„Du hast Recht, Alec."
Meinte ich und zögerte, es ihm zu erzählen.
„Das ganze wird aufhören."
Meinte ich dann und wir stiegen aus dem Lift. Ich musste die Stimme senken, damit die anderen, die gerade auf dem Weg zum Abendessen waren, uns nicht verstanden.
„Ich möchte nicht hier unten leben, Alec. Ich wollte die ganze Zeit immer nur weg von hier. Ich wollte nur diese Karte, damit ich von hier fliehen kann."
Alecs Augen trübten sich.
„Du wolltest auch weg von mir?"
Ich schluckte und nickte.
„Aber damals hatte ich noch nicht diese Gefühle für dich. Jetzt schon."
Murmelte ich und er nickte bedächtig.
Er schnauzte mich nicht an, entgegen all meinen Erwartungen.
„Ich verstehe schon, Amara. Du bist ein spezieller und einzigartiger Mensch. Und du kennst meine Gefühle für dich. Aber wenn du diese Karte besitzt, dann bitte ich dich, dass du dich behandeln lässt."
Ich lächelte leicht und tastete nach Alecs Hand. Es tat gut, ihn nach so langer Zeit wieder richtig zu berühren. Er umschloss sie fest.
„Ich verspreche dir, ich lasse mich von Dimitri behandeln. Sobald ich die Karte habe, ist alles vorbei."
Er nickte und küsste mich auf die Stirn.
„Na gut. Jetzt lass uns essen. Du hast genug gekämpft für heute."
Erleichtert, wieder Alec statt Michael neben mir zu spüren, wusste ich, dass jetzt alles gut kommen würde.
Ich würde diese Krankheit bekämpfen und einen Weg finden, weiterhin mit Alec zusammen zu sein. Auch wenn ich dann wieder an der Erdoberfläche wohnte.
Es war schön, zu wissen, dass ich mein Ziel endlich erreicht hatte. Wer weiss, vielleicht war es sogar schon mein letztes Abendessen hier unten.
Ich setzte mich zu Ash und Kelly an den Tisch, Alec setzte sich neben mich. Ich warf dem Mann in den ich mich verliebt hatte, einen Blick zu und er erwiderte es. Lange hatte ich mich ihm nicht mehr so verbunden gefühlt.
"Na? Wie ich sehe ist zwischen dir und Alec alles geklärt. Hast du dich also entschlossen, die Pillen wieder zu nehmen?"
Den letzten Teil flüsterte sie leise und sofort war es mir wieder unbehaglich. Ich wusste ja, dass sie sozusagen seine Exfrau war. Und das war schon etwas komisch.
"Ja...ehm, alles ist gut geklärt. Ich nehme die Pillen wieder. Bald."
Ich lächelte leicht und sie atmete erleichtert ein.
„Na endlich, jetzt kann wieder alles so werden wie vorher."
Nein. Überhaupt nicht. Ich wusste nicht mal wie ich mich verhalten sollte wenn ich sie das nächste Mal sehen würde. Dann wäre es vielleicht das letzte Mal, dass ich sie sah.
Wenn dieser Zeitpunkt nicht jetzt schon gekommen war. Ich betrachtete nur ihren fröhlichen Gesichtsausdruck und entschuldigte mich im Geiste bei ihr, dass ich bald einfach so abhauen würde.
Dann stopfte ich hungrig den Kartoffelstock und den gebratenen Käse in mich hinein, es tat gut, das warme Essen im leeren Bauch zu spüren.
Das gab mir irgendwie das Gefühl von Leben, von Kontrolle über meinen Körper.
Nicht wie ich sie wegen Michael vor kurzer Zeit noch verloren hatte.
"Hey? Amara, was ist denn noch? Du siehst nicht erleichtert aus."
Fragte mich Kelly und sah mich mit ihren grossen Rehaugen von der Seite an. Sie bemerkte auch wirklich alles.
Ich lächelte gequält, ich musste echt lernen mich etwas gefasster zu zeigen.
"Ja entschuldige, ich war in Gedanken. Aber nein, das ist alles gewesen."
Log ich sie an und sie nickte verstehend und mampfte ihren grünen Salat, den ich unterdessen nicht mehr sehen konnte. Ich ignorierte Alecs Blick von der Seite. Er war der Einzige, der von meinem Plan wusste. Ich vertraute ihm, dass er es nicht ausplaudern würde.
Dann flogen plötzlich die Flügeltüren zum Essenssaal auf und ein rasender Akon trat hinein.
Er humpelte stark und der Verband der um seine Schulter gewickelt war, war bereits wieder blutig.
Hinter ihm eilte eine schrecklich unruhige Krankenschwester her, die versuchte, ihn so gut es ging zu stabilisieren und immer neue Tücher auf den Verband pappte, damit er den Saal nicht voll blutete. Ganz offensichtlich hatte er seine eigene Behandlung unterbrochen. Doch wofür?
Er sah ziemlich übel aus, blass und Augenringe, die mir vorhin gar nicht aufgefallen waren.
Was aber immer noch dasselbe war, war der Hass der in seinen Augen loderte und der alleine mir galt.
Suchend glitten seine gehetzten Lieder durch den Raum und es wurde allmählich still, während sich Michael und seine beiden Berater sich ihm zuwandten.
Keiner von ihnen sagte etwas, unterdessen erhob sich nur zögerndes Getuschel, was wohl mit dem Rekruten passiert sein könnte. Ganz einfach. Ich war passiert. Dann machten mich Akons Augen unter all den Menschen ausfindig.
"Du!"
Er wies mit dem Finger auf mich und alle Blicke im Saal folgten ihm. Mist.
„Ich verlange eine Bestrafung für dieses Drecksstück!"
Keifte er und dabei flog seine Spucke in alle Richtungen. An seinem Finger klebte verkrustetes Blut.
Sofort spürte ich das altbekannte Brennen auf meiner Haut, was nur eintrat wenn mich sehr viele Menschen auf einmal anstarrten.
Ich erwiderte jedoch nur schweigend seinen Blick.
Noch war es zu früh, selbst etwas zu sagen.
"Das ist eine ernste Anschuldigung Akon, sicher dass du dazu in der Verfassung dazu bist?"
Michael hatte sich erhoben, sein gleichgültiger Blick war scharf geworden.
Doch das kümmerte den Verletzten nicht.
Wusste ich auch, alles wonach er lechzte, war Rache.
Ich kannte mich damit unterdessen gut genug.
"Sie hat mir das angetan! Die Schlampe, die sich für einen Mann hält!"
Schrie er in die Menge, als hoffe er deren Zustimmung zu finden.
Nun liess ich meinen Blick über die Leute wandern die schwiegen und ab und zu ein Herüberlinsen zu mir riskierten.
Mein Blick war stark und herausfordernd.
Niemand sagte etwas.
Weder für, noch gegen mich.
Was schon einmal etwas gutes bedeutete.
"Nun, ich kann Amara aber nicht dafür bestrafen, dass sie dich im Zweikampf besiegt hat. Du solltest das annehmen wie ein Mann und dich ausruhen."
Vereinzeltes Gelächter folgte auf Michaels Aussage hin. Dieser selber zuckte mit keinen Muskel.
Daraufhin lief Akon nur noch röter an, als er ohnehin schon war.
"Nein, das kannst du nicht Michael."
Knurrte er und ich sah wie es wieder mucksmäuschenstill wurde, als er sich dem Anführer gegenüber so respektlos verhielt.
Michael jedoch reagierte gelassen.
"Gut dann ist das geklärt."
Meinte er ruhig.
"Nein."
Erwiderte Akon und ein gehässiger Funke sprang in seinen Augen über.
Jetzt bekam ich ein ungutes Gefühl.
Auch Kelly knetete beklommen die Tischdecke vor ihr, ihre Hände zitterten dabei.
Sie musste wohl ohne zu wissen, um was es genau ging, ebenfalls etwas sehr schlechtes ahnen.
"Aber ich kann Bestrafung fordern, dafür dass sie gegen eine Regel verstossen hat, die du selbst aufgestellt hast."
Ein Raunen ging durch die Menge.
Ich schluckte. Mir war klar, dass harte Bestrafung für Missachtungen von Regeln galten. Das hatte mir Michael schon an meinen ersten Tagen hier klar gemacht.
Und jetzt sass er selbst in der Falle.
Würde er diese Regel tatsächlich geben, die Akon gleich nennen würde, dann konnte er mich nicht in Schutz nehmen.
Denn er würde sich selbst in seiner Autorität widersprechen.
Und das durfte er nicht, selbst er konnte da nichts machen.
"Sprich Akon."
Forderte Michael nun interessierter und ich fragte mich, ob dieser Mensch so etwas wie ein Herz besass, welches ihm zeigte, wann man ein klammes Gefühl in der Magengegend bekommen sollte.
"Falls im Zweikampf der eine Kämpfer aufgibt und das dem anderen auch mitteilt, macht sich jeder strafbar, der dann noch weitermacht."
Ich schauderte und richtete meine Augen direkt auf Michael.
Ich hätte nicht weiter gemacht, wenn er mir das nicht befohlen hatte. Das heisst, das konnte ich auf seine Kappe schieben. Also sollte er das gefälligst auch klarstellen. Denn ich hatte nur seinetwegen die Kontrolle verloren. Ich hatte gar nicht aufhören können, weil mir die Kontrolle dazu gefehlt hatten. Nur wusste das hier ausser Alec und Michael niemand.
"Dennoch hat sie mich danach verletzt und ich habe Zeugen, die das bestätigen können!"
Brauste er auf und wandte sich dann Michael direkt zu.
"Ich verlange die vorgesehene Strafe für die Verletzung dieser Regel. Da sie selbst eine Kämpferin ist und wie ein Mann behandelt werden will, verlange ich, dass die Frauen-Sonderrechte nicht beachtet werden."
Der ganze Saal schien den Atem anzuhalten.
Alle ausser mir. Meiner dröhnte in meinen Ohren so laut wie die U-Bahn am Morgen früh im leeren Bahnhof.
Ich musste jetzt alles auf Michael setzten.
Er würde mir beistehen müssen weil ich ein Produkt aus seinem eigenen Experiment war. Er war dafür verantwortlich, ich hatte keine Kontrolle über mich gehabt, wieso also musste ich bestraft werden?
Es waren meine Hände gewesen die ihm verletzt hatten, aber Michaels Wille.
Die schwarzen Augen des Clananführers richteten sich auf mich.
Ich erwiderte den Blick hart und mahlte mit dem Kiefer, diese Stille war unerträglich.
Er schien zu zögern, was eindeutig unnormal für ihn war, was auch die Anderen hier mitbekamen.
"Du schuldest mir das...sag jetzt nichts falsches Michael."
Murmelte ich vor mich hin, während Kellys Unterlippe bei dem Wort Strafe zu zittern begonnen hatte.
Also keine all zu gute Voraussetzung für das, was man hier als Bestrafung vorsah.
Dann wandte sich der Mann im schwarzen Ledermantel wieder dem Ankläger zu.
"Deine Anklage wird bestätigt. Amara wird hiermit zu 15 Peitschenhieben verurteilt, für den Verstoss gegen Regel Nummer 14 Artikel 2."
Ich sog scharf die Lugt ein, während Kelly hypnotisiert den Kopf schüttelte.
„Das kann er doch nicht tun. Das hält eine Frau nicht aus."
Wisperte sie fassungslos. Mir ging es ähnlich.
Das konnte doch nicht sein Ernst sein?
Er nahm mich nicht in Schutz? Er war doch Schuld an meinen Anfall, wieso also hatte er nicht die Eier, dazu zu stehen?
Wut wallte in mir hoch.
Ungerechtigkeit, wie ich sie doch hasste.
Und dennoch fand sie mich immer wieder, selbst dann wenn ich dachte, ihr entkommen zu sein.
Gerne hätte ich protestiert, doch mir war bewusst dass es nichts mehr geändert hätte. Niemand würde mir meine Ausrede glauben. Geschweige denn, wenn ich auch noch den Anführer beschuldigte.
Michael hatte das Schlusswort gesprochen und Akon humpelte bereits triumphierend aus dem Weg.
Er hatte seine Rache bekommen.
Doch etwas hatte der Kreislauf der Rache so an sich, er kam immer zurück. Und ich schwor mir, in dem Moment als man die Tische zurück schob und als mehrere Männer auf mich zukamen und mich an den Armen packten, dass meine Rache tödlich sein würde.
Ich wehrte mich nicht, als sie mich an den tuschelnden und diskutierenden Leuten vorbei zerrten.
Alec hinter mir war aufgesprungen und wollte die Männer von mir weg reissen, doch auch Michaels Zeichen hin, wurde er von mehreren anderen Kämpfern zurück gehalten. Gut so. Ich wollte Alec nicht auch noch in Schwierigkeiten bringen.
Also schleiften mich die Männer weiter.
Bis nach vorne.
Kelly hatte ebenfalls versucht, aufzuspringen und die Männer mit Worten zu besänftigen, doch Ash hatte sie dann mit gesenktem Blick zurück gezogen.
Ich leckte mir über die Trockenen Lippen und als ich vor Michael stand, nahm ich mir vor, keine Angst zu zeigen.
Wenn dieses feige Arschloch mich bluten sehen wollte, dann tat ich das, aber ich würde das nicht vergessen. Und wieder einmal mehr zögerte ich nicht mehr, mir zu wünschen, endlich von dieser Hölle hier abzuhauen.
Michael hätte mich verteidigen sollen, doch jetzt kreuzten sich nur kurz unsere Blicke, bevor er sich seinen Helfern zuwandte.
"Bindet ihre Arme fest."
Ich verzog die Lippen zu einem verächtlichen schnauben.
Nicht mal selbst konnte er es tun. Er zeigte nicht, ob er mit mir Mitfühlte, ob es ihm Leid tat oder ob es überhaupt irgendwelche Menschliche Gefühle in ihm gab.
Er wartete einfach schweigend, während die Leute einen grossen Halbkreis in der Halle bildeten und mit gespaltener Meinung über mich diskutierten.
Mein heisser Atem strich über meinen Hals als ich in die Knie gedrückt wurde und meine Haare fielen mir vors Gesicht.
Schnell pustete ich sie weg.
Meine Arme wurden in Ringe geschoben.
Feste Ringe.
Ringe an denen Zeug klebte das nicht nach Rost aussah.
Ich begann unter meinen Kleidern zu zittern, ich konnte nicht verhindern dass es mir Angst machte.
Die langen Seile wurden an der Wand befestigt.
Es war also nicht das erste Mal, dass wer gegen Regeln verstiess.
Da sass ich also, auf den Knien, hinter mir Michael und vor mir eine gaffende Menge, während meine Arme seitlich von mir abstanden und festgebunden waren wie die eines Tiers auf dem Schlachthof.
Mein Herz begann schneller zu klopfen, aber der Schweiss brach mir erst aus, als Akon herein kam.
Und er trug die Peitsche mit sich.

Oh ja...was sagt ihr zu der Wendung? Sind meine Sternchen ein wenig empört oder könnten sie sich auf Akon stürzen und zerreissen?
Ich freue mich eure Kommis zu lesen und hoffe dass das Kapitel spannend war, denn so geht es auch weiter.
Bis bald
Love you
Angora77

Poisoned Kiss *beendet* Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt