Kapitel 37{Bye Amara. Hello Amara.}

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Ich atmete langsam aus.
„Sicher dass es keinen besseren Moment gibt als wenn ich mit einem offenen Rücken auf einem scheiss unbequemen Bett liege?"
Meinte ich.
Eigentlich wollte ich mich gerade nur verkriechen und nie wieder aus meinem Loch raus kommen.
Das wäre gut. Tot sein während ich lebte.
„Nein. Amara, ich will dass du jetzt mit den Pillen anfängst."
Ich schwieg. Das schon wieder.
„Ich sagte dir, dass ich sie nehme, sobald ich diese Karte habe."
Alec schnaubte und ich verzog gequält das Gesicht, als ich mir an den verbundenen Rücken fasste.
„Ich hab dich vor ihm gewarnt, ich sagte dir er manipuliert dich. Er hat dich abgerichtete wie einen Hund. Denkst du er hat so viel Zeit in dich hinein investiert, damit er dich dann abhauen lässt?"
Seine Augen waren dunkel und voller unterdrückter Wut, während er den Kopf schüttelte.
Ich sah ihn zweifelnd an.
„Was meinst du damit?"
Alec strich beruhigend über meinen Arm.
„Ich denke, dass Michael dir keine Karte geben wird. Ich denke, dass er dich weiterhin hier unten als sein Projekt halten will. Und um das zu verhindern, musst du diese Pille nehmen, sofort."
Er hielt mir das kleine weisse Stück Chemie vor die Nase.
Ich versuchte meine Hände zu Fäusten zu ballen, aber das tat zu weh, also lag ich nur still und frustriert da.
„Nein. Alec, zuerst will ich diese Karte. Er muss sie mir geben, ich habe sie mir verdient."
Er fuhr sich durch die Haare. Das war mir gar nicht aufgefallen.
Er hatte sie geschnitten. Kürzer als die von seinem Bruder.
Stand ihm echt.
„Nein! Du hast sie dir verdient aber er wird sie dir nicht geben Amara. Er wird dich nicht abhauen lassen. Also bitte sei nicht so dickköpfig und hilf dir selbst."
Es klang beinahe flehend. Ich hätte wohl auf ihn hören sollen. Er klang wirklich besorgt und ich wusste, dass er mir ehrlich helfen wollte.
„Ich.."
Setzte ich kopfschüttelnd an und er verlor die Nerven.
„Verdammt Amara! Ich kann nicht länger zusehen wie deine Krankheit dich kaputt macht! Ich habe zugesehen wie du ausgepeitscht wurdest, was erwartest du noch von mir! Ich will dass die Kranke Amara verschwindet und DU zu mir zurück kommst. Bitte!"Er sah mich so eindringlich an. Doch ich konnte gerade nur einen klaren Gedanken fassen.
Es ekelte ihn an.
Ich, die Person die ich geworden war, ekelte ihn an.
Es war das erste Mal, dass ich mich schuldig fühlte. Jemand anderem gegenüber, als meiner Mutter früher.
„Es tut mir leid."
Meine Stimme brach und ich fühlte mich plötzlich so schwach, als er hinter meine Schwäche gekommen war.
Seine Augen wanderten über mein Gesicht, langsam, als suche er das Alte ich, mit welchem er noch vor einigen Monaten in der Vorbereitungskabine Dinge angestellt hatte, die mir sowieso nie wieder aus dem Sinn gehen würden.
Dann antwortete er.
„Entschuldige dich nicht. Du kannst nichts dafür, dein labiler Zustand wurde von meinem Bruder erbarmungslos ausgenutzt. Doch du kannst das jetzt sofort beenden. Also nimm sie endlich!"
Ich verzog das Gesicht. Alles in mit sträubte sich dagegen, diese Pille zu schlucken. Aber irgendwie wollte ich auch wieder die Alte sein. Nicht mehr von diesem anderen, offensichtlich verrückten Ich heimgesucht werden.
Michael hatte mich nicht geschützt, als es drauf an gekommen war. Vielleicht sollte ich sein Spiel wirklich nicht mehr länger mitspielen. Aber dann würde ich die Karte ganz sicher nicht bekommen. Und das war das Einzige, was ich neben Alec noch wirklich wollte.
„Nein." sagte ich entschlossen.
„Ich nehme sie erst, wenn ich diese Karte in meinen Händen halte."
Alec knurrte wütend.
„Ich versuche dich doch zu warnen, scheisse nochmal! Er benutzt dich für irgend einen kranken Plan und du bist zu stur, es einzusehen. Braucht es noch mehr als deinen geschundenen Rücken als Beweis?"
Ich blinzelte. Es tat weh, dass er mich so anschrie. Alles in mir tat weh. Ich war so kaputt.
„Er benutzt mich? Und wofür?"
Zischte ich mit Tränen in den Augen.
Dieses Mal aber vor Wut. Meine Trauer und die Angst sass zwar noch tief verwurzelt in mir, aber die Wut hatte die Oberhand gewonnen.
„Das weiss ich nicht, aber ich kenne meinen Bruder. Er hätte dich niemals trainiert wenn er nicht etwas im Schilde führen würde Amara!"
Ich nickte eisig.
„Es ist mir scheissegal. Ich will hier nur noch weg."
Beharrte ich und es zerbrach mir fast das Herz, als ich sah wie er die Pille fassungslos sinken liess.
Dann verhärtete sich sein Gesicht.
„Gut. Wie du willst Amara. Ich habe dich gewarnt. Ich habe alles versucht, um dich zurück zu mir zu holen. Aber es ist deine Entscheidung, wirf dein Leben doch weg, wenn du willst."
Er sah mir tief in die Augen und ich wusste, was er im Schilde führte. Bitte, das durfte er nicht tun.
„Aber wenn du die diese Pille nicht schluckst und weiter machst, dann hast du nichts mehr mit mir zu tun."
Ich starrte ihn aus grossen Augen an. Ich wusste dass er mich liebte und ich liebte ihn auch verdammt! Doch ich hatte es ihm nie gesagt. Und jetzt sah er es wohl als letzten Ausweg, mich dazu zu überreden, die Pille zu nehmen.
Ich bedeutete ihm so viel, dass er mich so sehr verletzen würde und sich selbst mit dazu, nur damit ich diese kleine, unwichtige Pille schluckte.
Gerne hätte ich ihn geküsst und im Arm gehalten und ihn nie wieder losgelassen. Doch ich sah ihn mit Tränen in den Augen und zitternder Unterlippe an.
„Tu das nicht Alec."
Flüsterte ich und er redete schroff weiter.
„Entscheide dich Amara."
Ich sollte wählen. Zwischen ihm und meiner Freiheit. Ich war noch immer überzeugt, dass mir diese Karte die Freiheit bringen würde. Ich konnte einfach nicht anders, als es zu glauben. Denn sonst wäre ich gestorben. Ich wäre gestorben, wenn sich diese Schmerzen und diese Qualen nicht gelohnt hätten. Also musste ich diese Karte bekommen. Ich musste mir selbst beweisen, dass ich den richtigen Weg gewählt hatte.
Ich liebte Alec. Aber trotzdem.
„Ich kann nicht, es tut mir leid."
Hauchte ich und er richtete sich langsam auf.
„Wie du willst," meinte er und drehte sich.
Ich versuchte mit meinen Händen nach ihm zu greifen, doch sogleich zuckte ein unmenschlicher Schmerz durch meinen Rücken. Ich konnte nur zusehen, wie er auf die Tür des kleinen Raums zu lief. Dann verschwand er, ohne sich nochmals umzudrehen.
„Es tut mir leid!"
Flüsterte ich leise.
„Nein...nein, nein, nein."
Alec war nicht weg, er hatte mich nicht verlassen.
Tränen stiegen erneut in mir hoch und ich versuchte auch gar nicht mehr, sie zurück zu halten.
Ich hatte gerade etwas von dem wenig Guten in meinem Leben vergrault. Vielleicht sogar endgültig.
Ich schluchzte hemmungslos und mein tränenüberströmtes Gesicht klebte an dem blauen Teil, das ich anhatte.
Meine Haare begannen sogar nass zu werden, als ich nach vielen Minuten oder vielleicht sogar Stunden immer noch dort lag und mich krümmte vor heulen.
Alleine, nur begleitet vom Piepen des Apparat neben mir und dem Ticken der Wanduhr.
Ich weinte mir die Seele aus dem Leib, falls ich überhaupt noch eine hatte. Durch meine schlimmen Taten hatte ich sie vielleicht auch verloren.
Ich weinte so lange, dass sämtliche Wasserspeicher meines Körpers leer sein mussten, als mir plötzlich eine Alternative durch den Kopf schoss.
Ich hatte mir alles versaut.
Mein Rücken war voller Peitschenhiebe und mein ganzer Körper schmerzte höllisch. Ich hatte es mir mit dem Menschen verscherzt, der mir hier am meisten bedeutete und ich war eine verrückte die ihre Pillen abgesetzt hatte.
Das Einzige was ich nicht versaut hatte, war die Karte die ich brauchte um von hier abhauen zu können.
Und jetzt hatte ich einen Grund mehr, nur noch daran zu denken.
Ich atmete scharf aus und befahl mir mit dem weinen aufzuhören.
Als dies endlich klappte, schaffte ich es, mich wieder auf den brennenden Rücken zu rollen.
Ich starrte an die Decke und wusste, dass ich nicht ewig hier liegen bleiben konnte.
Michael würde die Karte keiner wehleidigen Kreatur geben nur weil sie bemitleidend war.
Ich musste sie mir erkämpfen, das war mir klar.
Und das konnte ich nur, wenn ich mit den Schmerzen klar kam und vergass, dass mein halber Rücken genäht hatte werden müssen. Und wenn ich aufhörte, Michael dafür zu hassen, was er mir angetan hatte.
Mir kam der Moment bei der Auspeitschung wieder in den Sinn.
Als ich aus Wut auf Akon keine Schmerzen mehr gespürt hatte und kurz zu meinem stärkeren, versteckten Ich hatte wechseln können. Unbewusst zwar, aber ich hatte wieder neue Kraft geschöpft gehabt.
Als wäre ich eine neue Person geworden, die mit den Verletzungen der anderen nichts teilte ausser den Körper.
Wenn ich das tat wusste ich mit Sicherheit dass ich stark genug sein würde, mir die Karte in die Freiheit zu verdienen.
Doch ich fürchtete mich vor dieser anderen Person und zudem hatte bisher immer nur Michaels leises Pfeifen das andere Ich in mir hervor geholt. Ich wusste nicht, wie ich es herbeirufen sollte, geschweige denn, wie ich es dann wieder loswerden sollte, wenn ich ihm all die Kontrolle über mich gegeben hatte. Das war egal. Ich musste es jetzt durchziehen. Ich hatte nichts mehr zu verlieren. Gar nichts.
Ich atmete tief ein und konzentrierte mich auf das Weiss der Decke.
Doch nach fünf Minuten begann mich das Piepen der Maschine zu nerven.
Ich wusste nicht, wie ich den Schalter umlegen konnte.
Dann schweiften meine Gedanken ab zu Akon. Dem Mann, dem ich das alles zu verdanken hatte. Dem Mann, denn ich noch mehr hasste als mich selbst oder Michael.
Ich biss mir auf die Lippen und schloss die Augen.
Ich verlangsamte meine Atmung bis ich sie in meinen Ohren dröhnen hören konnte.
Dann dachte ich an den Jungen. Stellte ihn mir vor, wie er höhnisch vor mir Stand.
Erinnerte mich an die Demütigungen zurück, an seine Kommentare zu mir als wir noch übten und daran dass er schuld war, was mir angetan woren war.
Ohne es zu merken hatte ich die Hände so fest um das Geländer des Bettes geschlossen, dass meine Knöchel weiss heraus traten.
Ich bebte vor Wut und steigerte mich immer weiter hinein. Fütterte sie zu Anfangs mit Gedanken von Akon, danach nur noch mit all den negativen Gefühlen die ich empfand. Und das waren viele.
Ich warf sie alle wie Brennstoff in das riesige Feuer das in meinem Innern loderte und bald jede Zelle meines Körpers erfüllte.
Ich hielt die Augen immer noch geschlossen, doch ich konnte erschreckend genau fühlen, wie ich von einem Bewusstsein in das andere rutschte.
Als würde ich innerhalb meine Körpers den Besitzer wechseln. Und ich war nur Zuschauer, der das nicht verhindern konnte.
Ich riss abrupt die Augen auf und atmete keuchend ein.
Dann wartete ich und horchte.
Doch da war kein Schmerz, keine schweren Glieder die mich von meinem Ziel abhielten.
Ich richtete mich langsam auf und spürte in mir diese eiskalte Ruhe, die mein zweites Ich so gut beherrschte. Die mir schon mehrmals das Leben gerettet haben sollte.
Meine Füsse baumelten nackt von der Liege und ich fasste mir an den Rücken.
Als ich die Hand zurück zog war die voller getrocknetem Blut. Trotz den Bandagen.
Doch den Schmerz spürte ich nicht. Das war einfach genial.
Ich knurrte leise, es hörte sich so animalisch an, dabei hatte ich das gar nicht beabsichtigt.
Dann merkte ich dass sich mein Körper wie ferngesteuert bewegte.
Ich dachte plötzlich nicht mehr an die Karte, nach der ich bisher mein gesamtes Handeln orientiert hatte.
Sie war plötzlich nicht mehr wichtig.
Ich runzelt die Stirn und musste einige Minuten ruhig sitzen bleiben, bis sich der Raum vor mir nicht mehr drehte.
Dann kapierte ich es und ich riss mir die Nadeln aus den Arm, sodass das Gerät einen langen, lästigen Piepton ausstiess, der nicht enden wollte, bis ich das Ding umstiess und es ratternd umfiel. Dann war es endlich ruhig.
Langsam stellte ich meine Füsse auf den kalten Boden. So kalt war er gar nicht, eigentlich spürte ich gar keine Kälte. Oder Wärme. Ich spürte gar nichts. Es war mir alles gleichgültig geworden. Und es war so viel einfacher so.
Mir war klar, dass eine andere Persönlichkeit in mir steckte, doch erst jetzt wurde mir bewusst dass sie auch anders dachte als ich. Und dass sie andere Prioritäten setzte. Und sie war ich. Also genau genommen setzte ich andere Prioritäten. Es war verwirrend, doch wahr.
Denn das Einzige was jetzt noch in meinem Kopf hämmerte, war Rache.
Eine Rache an Akon, die vor nichts zurück schrecken würde.
Ich linste zwischen den Strähnen die mir ins Gesicht fielen auf die Tür auf die ich zu wankte und knurrte erneut.
Wie ein Tier.
Wie ein Killer.

Wie fandet ihr das Kapitel? Was hat euch eindruck gemacht? hoffe ihr seid noch für die letzten Kapitel des ersten Bandes dabei und lest gespannt weiter
Love you
Angora77

Poisoned Kiss *beendet* Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt