Kapitel 1 {Untergründe}

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Es gibt diese Tage, an denen wäre man besser im Bett geblieben.
Dieses Sprichwort war schon sehr alt, und jeder würde ihm zustimmen. Denn jeder kannte es aus eigener Erfahrung.
Hätte ich doch nur...wäre ich nur nicht...
Das waren die typischen Aussagen.
Es galt wohl für so viele Menschen auf der ganzen Welt.
Aber für mich nicht.
Denn mein Bett war die Strasse. Und glaubt mir wenn ich sage, dass man dort immer aufstehen sollte. Zu jeder Zeit bereit sein zu fliehen.
Ausserdem konnte ich es mir gar nicht leisten darüber nachzudenken, was gewesen wäre, wenn.
Ich musste immer nach vorne schauen, weil ich sonst nämlich zurück fallen würde, und die Schwächsten starben immer zuerst.
So lief das bei uns, seit sieben Jahren hatte ich nun gelernt wie es hier zu und her ging.
Mittlerweile, ganz im Gegensatz zum Anfang, hatte ich mich daran gewöhnt und versuchte mein Leben noch so gut es eben ging zu nutzen.
Meine Füsse trugen mich über den Asphalt, die Jogging Jacke die ich auf einer Bank im
Park aufgelesen hatte trotzte dem kühlen Herbstwind nicht sonderlich gut, aber dennoch versteckte sie die abgenutzten Klamotten darunter.
Es ekelte mich selbst an, so rum zu laufen, aber das lag nur daran dass ich nicht immer hier gelebt hatte, für all die anderen war das die Normalität wie die eines Mannes der jeden Tag seinen Lamborgini bestieg und zu seiner Anwalt Kanzlei fuhr.
Meine Finger strichen der Hauswand entlang und hinterliessen feine Striemen im
Abgeblätterten Putz, der wie kleine Flocken auf den Bürgersteg rieselte.
Ich hielt mich am Rande, dicht neben den Läden und meistens im Schatten, den Kopf unter der Kapuze versteckt.
Früher hatte ich es getan weil ich mich schämte, für das was ich geworden war, aber mittlerweile war es, um den Kameras verborgen zu bleiben. Hätte ich das nicht getan, hätten mich die Bullen schon für so einige Diebstähle dran bekommen. Man lernte solche Tricks eben auf der Strasse. Tricks wie zu wissen, wo sich welcher versteckte Winkel bei jedem Geschäft befand. Unterdessen kannte ich das arme Viertel wie meine Westentasche. Neben den anderen Obdachlosen hatte ich meinen Platz hier gefunden.
Die Menschen vor mir waren in Eile, sie redete in ihre Handys und schleppten Aktentaschen und Einkaufstüten herum. Traurig, wie so reiche Menschen trotzdem in ein Armenviertel einkaufen gingen, um Geld zu sparen. Weil hier alles billiger war.
Mein Blick wanderte zu einem Bettler, sein Pulli war zerfetzt und zerfressen von Motten, er sass unter einem Baum und achtete nicht auf die braunen Blätter die ab und zu auf ihn hinunter rieselten.
Natürlich war Betteln auch eine Möglichkeit zu überleben, aber mein Stolz liess das nicht zu. Selbst nach all den Jahren nicht.
Solange ich andere Wege fand mich am
leben zu erhalten würde ich niemals betteln.
Denn diese Menschen, die immer so grosszügig einige Münzen in die Hände der Bettler warfen, waren nichts besseres, sie hatten nur das Glück gehabt von ihren Eltern geliebt zu werden. Mit Bildung aufzuwachsen. Und jetzt fühlten sie sich wie Götter, wenn sie zwei Dollar spendeten.
Ich beobachtet den Verkehr, die gelben Streifen und die roten Ampeln.
Gerade hupte ein schwarzes Auto, weil einige Leute gestresst über den Fussgängerstreifen hasteten und es eine quietschende Vollbremse machen musste.
Der Wind zog eisig durch meine Jacke hindurch und im Winter würden meine alten Stiefel wohl oder übel den Geist aufgeben.
Der Winter war immer der Schlimmste Teil, dieser Sommer war angenehm gewesen, doch die Kälte machte uns Obdachlosen ziemlich zu schaffen.
Ich rempelte eine Frau im Vorbeigehen an, die auf ihren hohen Absätzen wohl sowieso nicht gerade laufen konnte und mir auch kein bisschen leid tat, mit dem Pelzmantel den sie da trug.
"Pass doch auf!
Dreckiges Miststück..."
Schnauzte sie mich an.
Ich murmelte keine Entschuldigung.
Langsam öffnete ich die Hand die ich an meine schmuddelige Jacke gezogen hatte und strich mir die langen strähnigen Haare aus dem Gesicht, die nicht einmal gleich lang geschnitten waren.
In meiner Handfläche lag eine Uhr, sie glänzte golden und wirkte alles in allem wie ein guter Fang.
Ich genoss das Klauen nicht direkt, aber es verpasste mir schon etwas Genugtuung, vor allem wenn ich nach sieben Jahren erkannte wie gut ich darin geworden war. Ausserdem litt diese reiche Frau ja nicht sonderlich unter dem Verlust. Morgen würde sie bereits eine neue, teurere Uhr am Handgelenk tragen.
Und diese würde ich auch nochmals klauen. Und erwischen würden sie mich nicht. Denn ich kannte die Strassen, die besten Winkel und vor allem hatte ich gelernt meine Körperbewegungen der der Menschen um mich herum anzupassen. Mich ihnen so unauffällig und wie ein Windhauch zu nähern.
Wenn sie es bemerkten, war es bereits zu spät.
Leicht lächelnd schloss ich die Hand wieder und bog in die Seitengasse ein, die mich perfekt im Schatten verschwinden liess.
Kurz darauf hörte ich ihr fluchen, als sie an der Gasse vorbei lief. Ihre Beleidigungen an mich und gleichzeitig auf alle die kein Dach über dem Kopf hatten.
Gleichzeitig bemerkte ich die Blicke der Leute, die wenigen die noch an mir vorbei liefen und denen ich auffiel.
So missbilligend und angeekelt als hätte ich Flöhe.
Hätte Jemand ein Kind dabei gehabt hätte er es sicherlich weg gezogen.
Ob es mich verletzte?
Ich könnte sagen, schon lange nicht mehr.
Aber insgeheim tat es das doch immer, nur zeigte ich es nie.
Und das schürte auch meine Wut auf die Leute, die mich immer mehr in den Kreislauf des Lebens auf der Strasse riss.
Wir, alle die das Leben so getroffen hatte wie mich, spürten die Blicke, hörten ihre Gedanken, wir erkannten sehr gut dass sie dachten wir seien weniger wert.
Ich hatte schon viele gesehen, die nicht aus, "Verwilderung" sondern aus Wut deswegen auf die Menschen los gegangen waren.
Und es ging so vielen anderen so wie mir. Trotzdem verurteilte man uns, obwohl niemand unsere Lebensgeschichten kannte. Oder sie nachvollziehen konnte.
Nur ich kannte meine, alleine ich und das war auch gut so, denn ich erinnerte mich mit jeder Faser meines Körpers daran, egal was ich schon alles versucht hatte um zu vergessen.
Und doch musste ich sagen dass ich es zu Anfangs, bevor meine Mutter starb, die ganze Primar Schule besucht hatte.
Mit Dreizehn hätte ich dann in die Oberstufe wechseln sollen, doch ab da lief min Leben schief, bis es schliesslich in tausend Scherben zersprang. Genauso wie mein Inneres.
Jetzt mit zwanzig Jahren hatte ich meine eigene Taktik.
Es gab einige Auffangstationen von Menschen die gutes Tun wollten.
In meiner Verbitterung dachte ich oftmals nur dass sie sich dann selbst besser fühlten wenn sie Leuten die am Boden lagen den Kleinen Finger reichten, und doch nichts bewirkten.
Aber es war besser als nichts und ich war nicht so dumm, dafür nicht dankbar zu sein.
Ich verbrachte dort meistens eine Woche oder so, genoss das weiche Bett und das regelmässige Essen.
Danach haute ich wieder ab, um mich auf den Weg zur nächsten Station zu machen, denn ich wollte nicht dass man mich in eine Familie steckte, die nicht zu mir gehörte. Geschweige denn in ein Waisenhaus. Nein, so konnte ich wenigstens noch meine freien Entscheidungen treffen.
Ich strebte, in Gedanken versunken, die nächste Gasse an, ich wusste dass sich dort Mason versteckte, der mir immer Geld im Austausch für solche Dinge wie die Uhr gab.
Natürlich viel zu wenig, aber besser das als gar nichts. Kein Juwelier würde mir etwas zahlen. Er würde sofort erkennen, dass es geklaut war und die Polizei rufen. Ich hatte es bereits versucht.
Die Gasse war schmutzig, all der Müll den man auf der grosse Strasse beseitigte landete hier, genau wie die Menschen die nicht mehr gebraucht wurden.
Kleine Risse säumten die Wände und der Putz bröckelte ab, das beige war bereits zu einem
Hässlichen Gelb verblasst.
Die lockern Pflastersteine waren unregelmässig angelegt, die Spritzen und Zigaretten füllten die Rizzen.
Dazu floss das Wasser von den Dächern und überschwemmten den Weg beinahe.
Einige Ratten sassen am Rande, die vielen Essensreste mussten sie wohl anlocken.
Die Gassen weiter vorne waren ebenfalls dunkler durch die vielen Häuser dir ihnen den Blick auf die Sonne verdeckten und sahen genauso aus wie die in jedem Film, wo jedes einzelne Mal ein Bösewicht lauerte.
Dumme Filme.
Ich hörte das Rascheln in den Tüten, die Tiere speisten sogar manchmal besser als wir und den Lärm von der Strasse die ich hinter mir gelassen hatte konnte ich mittlerweile gut ignorieren.
Mein eigenes Blut hörte ich immer, es war der Nervenkitzel wenn man sich mit einem Dealer traf, der ziemlich weit oben auf der Liste stand, die die örtliche Polizei fassen wollte.
Und noch viel schwerer war es, wenn man selbst drauf stand. Weit unten, aber trotzdem drauf.
Es roch schrecklich nach Urin und anderen Ausflüssen, nicht viele Stadtbeamten machten sich die Mühe, hier zu putzen, Hauptsache die Fassade der Stadt blieb erhalten.
Ich verzog das Geischt ab dem beissenden Geruch und versuchte mehr durch den Mund zu atmen.
Es war etwas kühler hier und die Kälte strich über meine Haut als würde sie sich erfreut ihr nächstes Opfer ansehen.
Mit etwas klammen Fingern lief ich weiter und unter meinen Schuhen knacksten die Abfälle.
Dann sah ich DJ, so wollte er genannt werden, genauso wie viele andere Dealer, sodass man nie bestimmen konnte wieviele es eigentlich waren. Auch wenn ich wusste, dass er eigentlich Mason hiess. Das würde ich aber nie jemandem verraten, ich wusste ja, was mit Verrätern passierte. Oft schon waren solche Menschen tot auf der Strasse gefunden worden. Aus unerfindlichen Grünen ermordet.
DJ lehnte lässig an der Wand, seine Kleidung war um einiges Besser als meine, aber mit den hohen Tieren legte man sich nicht an. Niemals hätte ich es gewagt, ihm etwas zu klauen.
Ich lächelt leicht als ich sein schiefes grinsen sah, und hob die Uhr, denn ohne sie wäre ich nicht in seine Nähe gekommen.
Ich konnte zwar ein klein wenig mit dem Messer umgehen aber er war beinahe ein Profi wenn es um Waffen ging. Und ich war mir sicher dass er eine versteckte Pistole besass.
"Ah Amara was hast du denn heute schönes für mich", murmelte er und nahm mir die Uhr aus der Hand, die braunen Augen musterten das Stück aufmerksam.
"Wieviel bekomme ich?"
Fragte ich ihn und er zog ein Bündel scheine hervor.
"Fünfzig."
Ich mahlte mit dem Kiefer. Ich liess mich wirklich nicht gerne abzocken.
"Die ist mindestens zweihundert wert!"
Protestierte ich.
Was lustig war weil ich den Anspruch in meinem
Leben eigentlich besser aufgegeben hätte.
"Entweder fünfzig oder gar nichts."
Er steckte die Uhr weg und ich ballte die Hand zur Faust.
Er wusste genau dass er stärker war, und deshalb erlaubte er sich das.
Es waren die einzigen Regeln hier, aber ich fand sie schrecklich, und hätte sehr gerne selbst einmal die Zügel in der Hand.
Nur um einmal zu spüren wie es war selbst an der Spitze zu sein. Aber der Stärkere bekam nunmal alles. Punkt.
Und Jemand wie ich würde aus dem Teufelskreis nicht mehr raus kommen, nie würde mich Jemand anstellen und selbst wenn, ich hatte nicht einmal die Ausbildung. An di Spitze würde ich niemals gelangen können.
Vielleicht nannte man mich dumm, weil ich keine hohe Mathematik beherrschte, dafür aber konnte ich überleben und erkannte die Menschen, wie sie wirklich waren. Egal wie sehr sie sich zu verstellen versuchten.
"Na gut."
Murrte ich dann und er streckte mir die zerknitterten Scheine, alias mein Essen für die nächste Woche, hin.
Als ich danach griff liess er es jedoch nicht los, und betrachtete mich nachdenklich.
Ich erwiderte den Blick ausdruckslos, nach einigen schlechten Folgen hatte ich gelernt Leute niemals in meinem Blick lesen zu lassen.
Denn das zeigte alle Schwächen und genau das konnte man sich hier nicht leisten.
Deshalb konzentrierte ich mich darauf seinem Blick mit Gegenangriff zu begegnen und durchbohrte ihn mit meinen grauen Augen.
"Amara du solltest heute mal bei dem Essen das die Kirche veranstaltet vorbei sehen."
Sagte er und in seiner Stimme konnte ich nicht heraushören wieso er mir das nun erzählte.
So mager sah ich ja auch wieder nicht aus, nur meine Hüftknochen stachen ein klein wenig heraus.
Andere hatten es schlimmer.
"Ich halte nichts von Religionen und Mitleidsgaben."
Gab ich zurück, vielleicht war es auch ein Test wie schwach ich war und ob ich Almosen annehmen würde.
Er schüttelt den Kopf und sah sich kurz um.
Ich ebenfalls, einfach weil es mich unruhig machte.
Doch weit und breit war niemand zu sehen, und in den engen Gassen gab es wenig Platz, um versteckt zu lauschen.
"Ich mag dich Amara, aber das hast du nicht von mir, erfährt es jemand anderes, bist du tot."
Diese Freundliche Drohung verwirrte mich etwas, doch ich nickte.
Das würde ich mir merken, etwas Neugier machte sich in mir breit.
Er beugte sich zu mir hinunter, eigentlich mochte ich ein solche Nähe nicht aber ich trat nicht zurück, gab ihm keine Möglichkeit noch inne zu halten und es sich anders zu überlegen.
"Es gibt Gerüchte, dass diese Kirchen Veranstaltung nur Tarnung für etwas anderes ist."
Raunte er in mein Ohr.
Meine Brauen schossen hoch.
"Etwas anderes?"
Er nickte und das, zu kleinen Stacheln aufgestellte Haar, kitzelte an meiner Wange.
"Jedes Mal verschwinden einige von hier und werden nie wieder gesehen.
Man munkelt dass sie direkt in ein neues, besseres Leben geführt werden."
Ich spitzte die Lippen.
Das war wirklich interessant. Und unglaubwürdig.
Bisher hatte ich nur von Gangs gehört, die einem ein halbwegs neues Leben schenken konnten. Denn sie boten die Sicherheit der Gemeinschaft. Teilweise.
"Also eine gute Möglichkeit neu anzufangen."
Murmelte ich und er nickte, bevor er sich von mir entfernte und so tat als sei nichts gewesen.
"Vielen dank für den Einkauf Kleine, beehre mich bald wieder."
Hinter mir trat ein anderer Junge hervor der wohl grade etwas tauschen wollte und wir sagen uns misstrauisch an.
"Danke."
Meinte ich zu DJ und hielt den Blick auf dem Kapuzek Pulli Jungen, der DJ nun ein Kettchen hin hielt.
Dann vergrub ich die Hände in der Jacke und stapfte die Gasse hinunter.
Die Gedanken schwirrten in meinem Kopf.
Wenn dem tatsächlich so war, dann war es die Möglichkeit mein Leben etwas zu verbessern.
Denn ich hielt mich von den Drogen weg, ich hatte es bei vielen gesehen, sobald sie denen verfielen gab es keine Möglichkeit mehr irgendwie aufzusteigen.
Ich hatte immer darauf gehofft, auch wenn Hoffnung in unserem Business nicht sonderlich viel nützte.
Und jetzt wo ich ein kleines Stück davon vor mir hoch ragen sah, wo ich von der Möglichkeit gehört hatte, war ich mir ganz sicher. Das war keine Tarnung für eine Razzia der Polizei, denn dann hätte DJ nichts davon gewusst.
Ich hatte sowieso nichts zu verlieren, und vor allem würde ich garantiert keine Gelegenheit verstreichen lassen.
Ich würde zu dem Essen gehen, und herausfinden was es mit Diesen Menschentransport auf sich hatte.
Und dann, dann würde ich es nutzen.
Und ich würde meine eigene Geschichte schreiben.

Hallo und Willkommen ihr Sternchen zu meinem neuen Buch. Oftmals ist die Person aus Reichen Verhältnissen oder ist in allem perfekt und muss es nur heraus finden.
Mein Buch spielt mal aus einer ganz anderen Sichtweise, ein Mädchen dass sich hoch kämpfen muss, und die ihr, wenn ihr weiter lest, auf eine Reise begleitet die ihr noch nie gesehen habt.^^
Ich freue mich darauf und merke noch einmal an dass das Buch eventuell sexuelle oder gewalttätige Szenen enthalten kann.
Viel Spass beim Lesen, ich freue mich auf euch.
Love
Angora77

Poisoned Kiss *beendet* Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt