Kapitel 15 { Extra Wurst}

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Den Nachmittag hatte ich damit verbracht, wütend sowie hilflos zu sein.
Wie war es , zu erfahren, dass irgendetwas mit meiner Psyche nicht stimmte weil ich meine schlimme Kindheit hatte vergessen wollen? Wie war es, dass sich ein Teil von mir einfach abgespalten hatte und ich ihn total vergessen hatte? Wie war es, zu wissen dass ich den Mann, der jederzeit mein Leben beenden konnte, verärgert hatte?
Es war super toll. Ehrlich. Das war mein Lebensziel gewesen, schon immer.
Nein. Ironie kam bei mir immer dann zum Vorschein, wenn ich unglaublich wütend war.
Ich konnte dann stundenlang in meinem Kopf gegen Michael wettern und mich fragen, was wohl passiert wäre, wenn ich auf eine andere Weise reagiert hätte oder andere Worte benutzt hätte.
Aber das hätte meine jetzige Situation schlussendlich nicht gross verändert. Ich musste einfach weiter machen, wie geplant.
Diese Pillen, die wohlbehalten unter meinen Kopfkissen lagen, würden ihren Job machen und ich würde mich darum kümmern wie es mit mir weiter ging, wie ich hier raus war.
Jetzt war bereits Abend, und ich hatte mich doch noch durchringen können, zusammen mit den Frauen in die Küche zu gehen.
Ich respektierte keinen Falls die unterschiedlichen und klar verteilten Rollen hier unten, aber ich sollte nicht noch mehr auffallen. Und vor allem Michael nicht weiter gegen mich aufbringen. Und zu tun was man von mir erwartete war ohnehin die perfekte Tarnung.
Trotzdem bereitete mir das Klappern der Teller Kopfschmerzen.
Ich lief im grossen Saal umher, den ich nur gefüllt und mit lautem Gerede in Erinnerung hatte, nicht so verlassen wie er jetzt war, und putzte die Tische ab, deckte die Teller auf und stellte die Gläser hin. Alles fein säuberlich, wie mir es Kelly gezeigt hatte. Dies hatte sie getan, gleich nachdem sie mir mitgeteilt hatte, dass sie den Job als Kindergärtnerin bekommen hatte. Ich hatte mich für sie gefreut.
Ich dachte es würde einige Minuten dauern, doch für die ganze Organisation die Tische zu decken war ein echt langwieriges Unternehmen. Und todlangweilig. Immer dieselben Handgriffe. Ich konnte förmlich fühlen, wie meine Hirnzellen abzusterben drohten.
Irgendwann wurden meine Arme unter den schweren Tellern taub. In einem nächsten Schritt begannen sie dann zu brennen wie flüssige Säure.
Aber wenn mir das schon zu viel war, wie würde ich dann den Wettbewerb gegen so einen grossen Haufen Männer gewinnen? Die stemmten ja täglich Gewichte die fünfmal so schwer waren, wie dieser Haufen Teller.
Ich schnaubte und lud weitere Teller auf meine Arme, das Besteck noch oben drauf sodass alles gewaltig schwankte.
Einige Frauen sahen mich verwirrt an, aber dann machte jede ihren Job weiter. War ja nicht ihre Sache.
Ich musste zugeben, es war unterhaltsam, was sie sich für Gerüchte über die Männer erzählten.
Hier erfuhr man den neusten Klatsch und Tratsch.
Selbst Marco und Malthael wurden erwähnt. Wobei mich das bei Marco nicht im Geringsten überraschte.
Nur Michael wurde nicht zur Sprache gebracht, kein einziges Mal.
Schade, ich hätte gerne etwas über ihn zum Lachen gehabt. Das hätte meinem zerstörten Selbstbewusstsein etwas geholfen. Doch er schien so unnahbar wie eh und je.
Ich wuchtete gerade den nächsten Berg an Tellern auf den Tisch, als die Gespräche der Frauen verstummten.
Kurz liess ich einen Kontrollblick über den Boden hinter mir gerichtet. Hatte ich etwas fallen lassen oder kaputt gemacht?
Dann bemerkte ich, dass ihre Aufmerksamkeit nicht mir galt. Ihre Blicke waren alle auf die Flügeltüre gerichtet, durch die ich das letzte Mal den Essenssaal betreten hatte. Einige tuschelten.
Verwirrt folgte ich ihren Blicken,  der Stapel von Tellern schwankte dabei gefährlich, blieb zu meinem Glück aber brav auf meinen Armen stehen.
Mein Herz machte einen Ruck und ich musste meine Überraschung verbergen.
Ich war mir nicht sicher ob ich mich freute. Wahrscheinlich schon.
Alec stand da.
In seinem schwarzen Einsatz-Outfit sah er aus wie ein gepanzerter Soldat. Den Helm hielt er in den Händen und die Handschuhe zog er sich gerade aus.
Sein Gesicht war voller Dreck und ich konnte Spuren von Blutspritzern darauf entdecken.
Es sah aus, als hätte er gerade ein Massaker überlebt.  Aber seine grauen Augen glühten aus der Dunkelheit hervor, die sich auf sein Gesicht gelegt hatte.
Langsam legte ich den Lappen in meiner Hand, der mir zum hoch wuchten der heissen Teller gedient hatte, auf den Tisch. Das Geschirr klapperte gefährlich.
Alec sah mich an. Ich begann zu lächeln, doch er lächelte nicht. Sofort verschwand auch meines Wieder. Oh oh.
Mit wenigen energischen Schritten war Alec bei mir.
Ich wusste weder wieso, noch mit welchem Zweck er mich sprechen konnte. Wir kannten uns jetzt einige Tage. Noch nicht mal eine Woche.
Ich hatte ehrlich gesagt schon gedacht, dass er mich nach dem heutigen Einsatz so gut wie vergessen hatte.
Kaum war er bei mir, schloss er mich fest in seine Arme, sodass ich gegen ihn gedrückt wurde ohne eine Chance mich zu befreien.
Was zum...
Perplex und mit offenem Mund spürte ich, wie seine Wärme langsam auf mich über ging.
Das Gefühl war verwirrend, schön aber verwirrend.
Wieso tat er das? In meinem Kopf ratterte es, doch der Grund dafür wollte sich mir einfach nicht offenbaren.
Dann legte sich der Schalter in meinem Kopf langsam um und ich hob zögernd die Arme, um ihn ebenfalls zu umarmen.
Bisher war ich nur baff dagestanden und hatte mich von dem Soldaten fest halten lassen, was mir ein ungewohntes Gefühl der Sicherheit gab. Ein dummes Gefühl, auf das man sich niemals verlassen sollte. Trotzdem war es beängstigend, wie sehr ich die Umarmung genoss. Sowas hatte ich bisher noch nie in meinem Leben gefühlt und ich wollte nicht verneinen, dass ich mir gerade wünschte, dass dieses angenehme Gefühl nie wieder verschwand.
Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der absolute Stille im Raum geherrscht hatte und keine der Frauen auch nur eine Serviette bewegt hatte, löste er sich von mir und senkte den Kopf etwas, um mir in die Augen zu sehen.
Das Blut auf seinem Gesicht löste in mir keine Angst aus. Ich hatte Blut und tote Menschen in meinem Leben schon oft gesehen. Es war etwas normales, natürliches.
Ausserdem dachte ich gerade nicht darüber nach woher es wohl stammen könnte und wie es auf sein schönes Gesicht gelangt war.
"Ash hat mir erzählt dass du bei mein...Michael warst. Bist du okey?"
Fragte er und ich war erstaunt, als ich ehrliche Besorgnis in seiner Stimme heraushören konnte.
Dass er meine Fehltritte dem Anführer gegenüber mitbekommen hatte, hatte ich schon vermutet, als er hier rein gestürmt war. Ich hatte nur eine andere Reaktion darauf erwartet.
Eine Weile starrte ich ihn nur an, wusste nicht genau, was ich sagen sollte. Und ob ich überhaupt was sagen sollte.
Wieso hatte er mich gleich nach seinem Einsatz unmittelbar, ohne sich überhaupt umzuziehen oder zu duschen, aufgesucht? Das musste ja schon fast heissen, dass er mich mochte, oder?
"Alles gut, er hat mir nichts angetan, wenn du das meinst."
Sagte ich langsam, sonst machte sich Niemand solche Sorgen um mich. Ich spürte die Blicke der anderen Frauen auf uns, deren Geflüster langsam die Stille um uns herum brach. Ich ignorierte es und betrachtete nur sein ebenes Gesicht. War das Russ auf seiner Stirn?
"Aber hab ihm gesagt dass ich teilnehmen werde. Und das hat ihn denke ich ziemlich verärgert."
Dunkelheit trat in seine Augen.
"Du willst es also wirklich versuchen?"
Er hielt mich an den Schultern fest.
Hinter ihm, jetzt wo ich über seine Schultern sehen konnte, machte ich einige junge Männer in derselben Ausrüstung aus, die an der Türe lehnten und uns beobachteten. Wahrscheinlich warteten sie auf Alec.
Jetzt wurde es mir richtig unangenehm.
"Ja."
Murmelte ich und versuchte mich kleiner zu machen und mich hinter Alecs breitem Körper zu verstecken.
Er bemerkte es und schüttelte langsam den Kopf, als würde er es unterdrücken müssen, es mir zu verbieten.
Was er ja ohnehin nicht konnte. Weil ich machte was ich wollte. Oder es zumindest versuchte.
"Na dann, gibt es jetzt wohl kein Zurück mehr."
Meinte er und seine Augen suchten mein Gesicht ab. Meine Haut begann zu brennen, wurde ich rot?
„Hey Alec, können wir? Michael erwartet noch unseren Einsatzbericht. Und wir haben Hunger."
Alec machte eine genervte Handbewegung.
„Ja ich komme, einen Augenblick."
Er wandte sich nochmals mit zu.
„Na dann, wir sehen uns, kleine Rebellin."
Er grinste schief und sein Lächeln haute mich beinahe um. Dummes Flattern in meinem Bauch.
Dann drehte er sich um und schlenderte zu seinen Kumpels zurück, die sich sogleich in Bewegung setzten.
Ich musste mich zusammenreissen um ihm nicht hinterher zu sehen. Vielleicht tat ich es trotzdem. Ein klein wenig nur.
Kaum waren die jungen Männer verschwunden, merkte ich, daws ich den Atem angehalten hatte und atmete tief ein. Dann griff wieder nach dem Lappen.
Die Gespräche setzten wieder fröhlich ein und ich hörte die Frauen tuscheln und mich schelmisch grinsend ansehen.
"Anscheinend hat Kelly doch keine nachhaltige Wirkung mehr auf den Guten."
Schnappte ich auf und presste die Lippen zusammen.
Grossartig, Gerüchte über mich und Alec konnte ich jetzt echt nicht brauchen.
Und das würde sich bestimmt noch verschlimmern wenn offiziell wurde, dass ich bei dem Wettbewerb mitmachte.
Aber das durfte mich nicht kümmern.
Ich musste nur weiter kommen, ihr Leben und was sie von mir dachten, war nicht meine Sache, ist musste mich selbst hier raus bekommen. Das war alles, was zählte.
Das waren meine einzigen Gedanken während ich das lecker duftende Essen voller Selbstbeherrschung auf die vorderen Tische stellte, während schon die ersten Männer und Frauen plappern und fröhlich eintraten. Immer gut gelaunt, diese Gemeinschaft.
Zwischen den Jungs die eintraten konnte ich auch Alec ausmachen, sein Blick hatte meinen gesucht und das Kribbeln in meinem Körper hatte wieder eingesetzt. Wahrscheinlich weil ich nicht wusste wie ich mit so viel Nettigkeit umgehen sollte.
Ich glaube jetzt stand ich immer noch so da, mit der Pfanne in den Händen zwischen den drängelnden Menschen, die ich eigentlich heute bedienen müsste.
Alec stand schon lange nicht mehr da und ich wollte mir gar nicht vorstellen wie bescheuert ich hatte aussehen müssen, wie ich geradeaus gestarrt hatte. Verträumt wie ein Kleinkind.
Blinzelnd riss ich mich zusammen.
Die Meisten sassen nun und es war mir unangenehm, eine der wenigen Frauen zu sein, die noch standen und das Essen verteilten, was man sich nicht am Buffet holen konnte.
Ich hatte mir natürlich die Würstchen geschnappt. Wie ich Würstchen liebte.
Aber die anderen Menschen leider auch.
Kaum setzte ich mich in Bewegung und durchschritt die Reihen der Tische, meldeten sich die Meisten aller Anwesenden. Ich kam gar nicht dazu, selbst was zu essen. Ich hasste Küchendienst.
Ich beugte mich an den Leuten vorbei über den Tisch, lud ihnen Essen auf den Teller nach und hörte Wortfetzen ihrer Gespräche.
Ich roch ihre Gerüche, spürte ihre Schultern in meinen Rippen, bis ich mich wieder aufrichtete.
Ich hatte die Pfanne mit Würstchen nun schon das vierte Mal in der Küche aufgefüllt und trat nun wieder in den Saal.

Poisoned Kiss *beendet* Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt