Kapitel 11 {Schwestern im Duschraum}

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Es war eigentlich nicht mein Plan gewesen, mich von Kelly einwickeln zu lassen.
Als ich am nächsten Morgen den Fuss auf den warmen Boden gesetzt hatte, musste ich mich zuerst ermahne, dass mir nicht das kalte Bett der Strasse als Schlafunterlage gedient hatte, sondern ein echtes warmes Bett. Das nur mir gehörte.
Dann hatte ich vorgehabt einfach hier zu bleiben, den ganzen Tag einfach im Bett rumliegen, um nachzudenken.
Zu essen und zu schlafen.
Etwas wofür ich viel zu wenig Zeit gehabt hatte, all die letzten Jahre.
Aber kaum war Kelly aufgewacht, hatte sie mich überredet, nein förmlich gezwungen, mich in die Gemeinschaft der Frauen zu integrieren. Wenn es Michael schon nicht getan hatte.
Du musst doch deine neuen Verbündeten kennen lernen, hatte sie im Scherz gesagt und gekichert. Wie mich dieses helle Lachen nervte.
Ich wäre am liebsten laut schreiend davon gerannt. Eine Gemeinschaft aus Frauen, das bedeutete doch Zickenkrieg ohne Ende. Terror für die Psyche, darauf hatte ich keine Lust.
Und trotzdem hatte ich mich mitschleppen lassen.
Jetzt stand ich inmitten des Duschraums.
Inmitten von mindestens zwanzig Frauen, die laut durcheinander redeten und plapperten als wäre jedes einzelne, unwichtige Ereignis auf dieser Welt ein Grund, zu reden.
Zuerst war es mir unglaublich peinlich gewesen das Handtuch in das ich geschlungen war, los zu lassen.
Es war weich und weiss gewesen, und hatte meine Brüste bedeckt und mir bis zu den Oberschenkeln gereicht, ich hatte mich dahinter verstecken können.
Das tat ich aber nicht nur weil es mir so ungewohnt war, sondern auch aus Angst davor wie ich im Vergleich zu den Anderen aussah.
Knochiger? Dünner oder drahtiger?
Ich wollte es mir nicht vorstellen, deswegen sah ich auch sogut wie keine Andere Frau an, wenn dann nur ihr Gesicht und schnell wieder weg. Sie waren alle nackt und schienen sich wohl zu fühlen.
Schlussendlich hatte mein Wunsch einer warmen Dusche gesiegt und ich hatte es doch weg gelegt.
Ich stand ohne Bekleidung und Schutz in dem grossen Raum, weiss gekachelt und in der Mitte etwas eingesunken, dort wo der Abfluss war.
Wasser gemischt mit Schaum rann in Massen hinunter und ich spürte es auch an meinen Füssen und zwischen den Rillen der Kacheln, die sauber glänzten.
Der Raum war etwas stickig, zu viel Dampf sammelte sich an der Decke und beschlug die Fenster, auch wenn man sowieso nicht hinaus gesehen hätte. Sie schienen bloss zur Zierde da zu sein. Helles Licht strahlte rein, sodass es aussah, als würde draussen die Sonne scheinen. Dabei waren es wahrscheinlich bloss irgendwelche Lampen.
Ich atmete pure Wärme aus und mein ganzer Körper war umhüllt von lockendem Dampf, ich sehnte mich danach die warme Dusche von gestern zu wiederholen.
Das prasseln der Wasserstrahlen auf den Boden war nicht zu überhören, wenn eine Frau sich gerade vorbeugte um nach dem Shampoo zu greifen.
Kelly grinste mir zu, ihre Augen strahlten und ihre langen roten Haare hingen über ihre Schultern.
Sie sah etwas aus wie Arielle aus den Kinderbüchern, die ich früher gelesen hatte.
Ich lächelte etwas zögernd, in den letzten Zwei Tagen war ich häufiger angelächelt worden als die letzte zehn Jahre. Schon etwas ungewohnt.
Ich kam mir vor wie ein wildes Tier, wenn mich die anderen Frauen kurz von der Seite musterten und zusammen tuschelten.
„Keine Sorge, die sind nur neugierig."
Meinte Kelly und liess sich dad warme Wasser übers Gesicht laufen.
Ich stellte mich unter eine der Brausen, auf Hüfthohe konnte man einstellen wie warm das Wasser sein sollte und etwas über der Kopfhöhe einer Modelgrösse war der Duschkopf angemacht.
Jede Seite hatte etwa fünf Duschen.
Ich stand zwischen Kelly und noch einer Frau die ich nicht wirklich ansah. Und sie mich auch nicht.
Ich drückte nur den Knopf, und prompt ergoss sich ein heisser Regen auf mich, der meine Glieder aufwärmte und tief in mich hinein sickerte.
Jede Zelle wurde erwärmt und ich schloss die Augen, als die Flüssigkeit mein Gesicht hinunter rann, über meine Lippen, meinen Hals, weiter bis es an meinen Beinen hinunter geschlängelt war und sich mit dem
Wasser der anderen Duschenden vermischte.
Es hatte etwas intimes, wofür ich eigentlich nicht bereit war.
Doch in meinem Leben hatte ich oft Dinge erlebt für die man nie bereit sein würde, also kam ich darüber jetzt ja wohl auch hinweg.
Ich genoss die Wärme und fuhr durch meine schweren Haare, die mir vorkamen wie eine Last, als ich den Kopf zurück legte.
Das Wasser prasselte auf meinen Kopf und ein angenehmes Rauschen setzte in meinen Ohren ein, ein Ton auf den man normalerweise nicht achtete, wenn man mal kurz unter die Dusche hüpfte.
Aber für mich war es einer der schönsten Klänge sehr langem, er bedeutete Sauberkeit und Wohlbefinden. Und wo auf der Strasse fand man diese beiden Sachen denn schon?
Ich hatte die Frauen um mich herum, wie sie duschten oder ihre Haare föhnten längst vergessen, bis mich ein Finger antippte.
Erschrocken fuhr ich zusammen und drehte den Kopf, bevor ich die Augen aufriss.
Die junge Frau neben mir, höchstens einundzwanzig, lächelte mich breit an, die kleinen Sommersprossen auf ihrer Langen Nase passten so gar nicht zu dem kurzen schwarzen Haar, trotzdem sah es auf eine spezielle Art schön aus.
"Hier."
Sagte sie und hielt mir eine Shampooflasche hin, auf dem orangen Einband stand irgendetwas mit Öl und Pflege.
Verwirrt, dass sie mir das Anbot nahm ich es langsam an und bemerkte dann etwas anderes.
Während ich mir, mich bedankend etwas von der Flüssigkeit in die Haare schmierte und bald Schaum meinen Rücken hinunter lief und zwischen meinen Zehn floss, kam ich nicht darum herum erneut hin zu sehen.
Die Frau hatte einen wirklich, wirklich dicken Bauch.
Sie war nicht fettleibig, nein ganz und gar nicht, nur ihr Bauch wölbte sich wie eine Kugel. Für mich sah es aus als wäre es zu viel Gewicht für den schmalen Körper.
Doch ihr dauergrinsen zeigte mir genau das Gegenteil.
Es war ja nicht ungewöhnlich dass in einer grossen Gemeinschaft auch Nachwuchs entstand, aber etwas unheimlich war es mir schon, denn als ich langsam den Kopf drehte, fiel mir mehr an den duschenden Frauen auf.
Mindestens vier von den zwanzig Frauen waren um den Bauch hin kräftig gerundet, zwei zeigten bereits einen kleinen Bauch.
Also waren etwa sechs von den Zwanzig Duschenden schwanger, und es gab bestimmt noch mehr Frauen die gerade nicht hier versammelt waren um sich zu unterhalten. Sie alle trugen Kinder aus.
Mir wurde es mulmig und ein Kloss bildete sich in meinem Hals. Dann schauderte ich.
Sie alle sahen total Glücklich aus und gesund.
Aber trotzdem waren sie jung, sie hätten noch Zeit gehabt, in meinen Augen sah es eher nach einer Kinderfabrik aus als nach einem Waschraum. Das kam mir alles so falsch vor.
Aber ich durfte sie nicht verurteilen. Wenn sie glücklich waren und einen liebevollen Mann hatten, war es ja okey, ich kam einfach mit der Art wie sich hier die Paare fanden nicht klar. Und wofür die Frauen genutzt wurden.
Es war für mich nicht natürlich, doch die Technologie der Menschheit war schon so weit dass beinahe nichts mehr natürlich war. Nahm ich mal an.
Und vielleicht hatte ich auch Angst.
Ich selbst wollte wirklich keine Kinder haben. Und mein Entschluss festigte sich, je länger ich hier war.
Meine Mutter war nie wirklich eine Mutter für mich gewesen, seit meinem sechsten Lebensjahr hatte ich die Rolle der Erziehenden übernommen, und schlussendlich hatte ich sie tot vor mir aufgefunden.
Ich wollte gar nicht daran denken, was ich für eine Mutter wäre. Ich könnte das Kind niemals lieben weil ich niemals Liebe erfahren hatte. Zumindest erinnerte ich mich nicht daran.
Mein Blick hatte sich an die Weisse Wand gerichtet und das Wasser floss in Strömen an mir hinunter.
Ein besorgtes Gesicht von Kelly hatte sich vor mich geschoben und verdeckte nun mein Gesichtsfeld.
"Amara? Alles okey?"
Fragte sie und blinzelte.
Ich raffte mich schnell zusammen und stellte die Dusche ab, jeder Atemzug schien schwer, wegen der dampfenden Luft.
"Eh ja Klar! Alles super."
Schnell grinste ich worauf sie eine Braue hoch zog als wollte sie sagen, das war jetzt aber zu viel Begeisterung. Stimmt, ich war ja nicht gerade die Inbrunst in Person.
Ich wrang meine Haare schnell aus und lächelte der Frau neben mir nochmals dankend zu, dann schnappte ich mir mein Badetuch dass an einer der Stangen hing die horizontal die Halbe wand bedeckten.
Schnell trocknete ich mich ab und stellte mich vor einen der Föhne, unter dem auch gleich ein Spiegel angemacht war.
Ohne den Schmutz in meinem Gesicht, und dem Glitzern dass nun in meinen Augen lag, sah ich gar nicht so schlimm aus wie ich immer gedacht hatte.
Trotzdem vermied ich es, all zu oft in den Spiegel zu gucken, besonders jetzt, da ich Angst hatte immer mehr Makel zu entdecken, wenn ich jetzt nochmals hinein sah.
Die warme Luft sog sich in meine Haut und drückte meine Wimpern hinunter, sodass ich meine Lieder beinahe geschlossen hielt.
Da ging der Föhn neben mir an und ich wandte mich nach rechts, wo Kelly und die junge Frau sich plappernd darunter quetschten.
Ich schwieg, für meinen Geschmack waren die zwei etwas zu gut gelaunt, also trocknete ich einfach meine Haare und bürstete sie mit einem Kamm, den ich heute morgen in der Kommode gefunden hatte, die neben meinem Bett stand.
Ich genoss es, wie seidig meine Haare aussahen.
Gar nicht mehr matt sondern glänzend.
Ich konnte mit den Fingern dazwischen durch fahren. Und sie wurden nicht, wir früher, von dutzenden von Knöpfen aufgehalten.
Dann kam Kelly zu mir.
Sie schein wegen ihrem nackten Körper rein gar keine Hemmungen zu haben, im Gegensatz zu ihr schien ich ja beinahe verklemmt zu sein. Sie sah aber auch schön aus, also gab es ja nichts, wofür sie sich schämen musste.
Sie umarmte mich und hauchte mir einen Kuss auf die Wange.
"Bis später, ich muss noch nach unten, vielleicht bekomme ich den Job als Kindergärtnerin."
Ich hob eine Braue.
„Es gibt einen Kindergarten hier?"
Sie sah mich erstaunt an und hielt mich wohl gerade für etwas unterbemittelt.
„Natürlich, wo sollen die Kinder sonst ihre Bildung erhalten? Es gibt auch eine Schule."
„Natürlich, klar."
Murmelte ich und sie klatschte begeistert in die Hände.
„Ich warte schon so lange darauf, diesen Job zu bekommen. Wünsch mir Glück."
Grinsend verschwand sie bevor ich überhaupt noch etwas sagen konnte.
Dann hörte ich das leise Lachen ihrer Freundin, die noch da stand und deren Tuch kaum über ihren Bauch kam.
"Dein Gesicht."
Glucksend steckte sie sich die Haare hoch und sah mich von der Seite an an.
Ich nickte nur schnell und lächelte unsicher und wenig begeistert.
Da seufzte sie und sah wieder in den Spiegel.
"Ich bin Karina, falls du deine Beine und so rasieren willst, du kannst meinen Haben."
Ohne aufzusehen hielt sie mir einen Rasierer hin, den ich zögernd annahm und mich an die Arbeit macht. Der Allzweckraum schien wirklich gänzlich ohne Hemmungen zu sein, so offen wie die Frauen redeten könnte man meinen wir alle seien eine eingeschworene Schwesternschaft.
"Danke. Du kennst Kelly?"
Fragend sah ich sie von der Seite an, worauf ich mich leicht ins Bein schnitt und fluchte.
Der rote Tropfen Blut wurde vom Tuch aufgesogen und weiter ging es.
Karina lächelte.
"Ja, sie ist schon ziemlich lange hier. Sie war schon hier bevor ich herkam."
Schmunzelnd richtete sie ihr Haar.
"Sie ist aufgedreht aber man muss sie einfach mögen. Man kann nicht anders, stimmts?"
Lächelnd verzog sie die schmalen Lippen zu einem lachen. Dabei grunzte sie ganz leise.
Nickend stimmte ich zu, es hatte sich nicht wie eine echte Frage angehört also widersprach ich mal nicht.
"Ja, ausser Alec scheinen sie wirklich alle zu mögen."
Unschuldig rasierte ich die Unterseite meins rechten Beines, das sich geschmeidig anfühlte. Was es nicht alles gab.
Es war vielleicht nicht nett mit den Menschen zu spielen, doch so bekam man was man wollte, es diente dazu zu überleben und das konnte ich. darin war ich gut geworden, auch wenn es nur darum
Ging zu verstehen wie der menschliche Verstand reagierte.
Erst recht wenn hier alles so viel offener war als dort wo ich früher war.
Nur weil sie mir bei meinem Ziel weiterhalfen, hiess es ja nicht dass wir uns nicht verstehen konnten.
"Du weisst es nicht?"
Erstaunt hob Karin den Kopf und ich blinzelte zweimal.
Jackpot.
"Nein, ich wollte sie nicht fragen da sie gestern Abend im Zimmer ziemlich müde ausgesehen hatte."
Vertrauenswürdig erscheinen. Erstaunlich, wir leicht mir das Lügen fiel.
Ich kam mir nicht wirklich schlecht vor, denn das zu erzählen würde Karina nicht schaden, und so viel wie hier getratscht wurde, gab es sowieso keine Geheimnisse. Nahm ich mal an.
"Achso verstehe, du musst dann Amara sein, die Neue, von dir hat sie mir schon erzählt."
Grinsend legte sie den Kopf schief und ich lächelte leicht.
"Ich mache mir nur etwas Sorgen weil ich eigentlich beide mag."
Lenkte ich das Thema wieder zurück zu meinem Ziel. Über mich wollte ich nicht reden.
Verstehend nickte sie.
"Ja, die kleine Rebellin ist doch etwas gefühlsvoller als sie zugibt."
Ich grinste breiter, auch wenn sie nicht wissen konnte was ich wirklich dachte. Das ich nur raus wollte und sie mir alle leid taten mit der Lüge und dem perfekten Leben das sie hier lebten.
"Naja, dann kläre ich dich mal auf."
Sie seufzte und wickelte die Haare in ein Badetuch. Dieses richtete sie dann zu einer Art Turban auf.
Sie lachte vielsagend.
„Das solltest du schon wissen, wenn du mit den beiden abhängst."

Was mag es wohl sein? Ratespielt in die Kommis, ansonsten schön dass ihr die Geschichte lest, ich freue mich richtig zu schreiben und etwas ganz neues und hoffentlich Unbekanntes aufs Papier zu bringen.^^
Bleibt dran
Tala

Poisoned Kiss *beendet* Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt