Kapitel 34{Wer ich bin}

6.3K 377 76
                                    

Ich hatte zwar auf die Frage, ob ich mich dazu in der Lage fühlte, mit einer klaren Antwort bejaht, aber jetzt, wo ich vor dem Zimmer stand, wurde mir mulmig zumute.
Das Zimmer indem mich Alec früher trainiert hatte und in dem auch ganz andere Dinge passiert waren, die sofort mein Blut in Wallung brachten.
Ich regte mich nicht, von der Seite spürte ich Michaels stechenden Blick.
Seine Prüfung war sorgfältig gewählt.
Er wollte wirklich wissen ob ich es konnte.
Und wenn ich meine Freikarte bekommen wollte, musste ich das jetzt hin kriegen.
Ich stellte mich drauf ein, gleich mächtig einzustecken aber mich so tapfer zu halten, wie es nur ging.
Um ehrlich zu sein, war meine grösste Angst gegen Alec kämpfen zu müssen.
Denn bei ihm wusste ich, dass er mich nicht hart ran nehmen würde.
Und ich war mir auch unsicher, ob ich dann mein Bestes geben konnte.
Hoffentlich hatte Michael da was anderes im Sinn.
"Willst du die Türe öffnen Amara oder weisst du nicht, wie das geht?"
Michales Stimme war ruhig und entspannt, wie immer konnte ich keine Gefühlsregung daraus heraus lesen.
Gelangweilt und kälter als vorhin betrachtete er mich, als hege er jetzt bereits wieder Zweifel an mir.
Ich atmete tief durch und wischte meine schwitzigen Hände an meiner engen Hose ab, bevor ich die klebrige Klinke nach unten drückte.
Als ich vor meinem Lehrer den Raum betrat, hörte das Treiben sofort auf.
Gerade standen zwei Jungs im Mittelpunkt, Nahkampf. Die anderen hatten sie angefeuert, richteten sich bei meinem Anblick aber auf und liessen die Arme zögernd sinken. Sie tauschten verwirrte und fragende Blicke aus.
Sie kannten mich noch. Natürlich taten sie das.
Ich sie auch.
Mein Blick fiel auf Alec, dessen Gesicht verspannt wirkte und der mich ebenfalls anstarrte.
Als könnten unsere Blicke nicht voneinander lassen.
"Was tut die denn hier? Ich dachte sie sei endlich mal geflogen?"
Motzte Akon und schenkte mir schon einmal eine Begrüssung voller stechender Blicke.
Ich ignorierte sie und hob den Kopf etwas höher.
Ich musste arrogant und selbstbewusst wirken.
Als würde ich denken, dass ich besser war als sie alle.
So wie Michael das tat. Nur war er es auch wirklich.
"Michael, was tut sie hier?"
Auch Alec's Stimme war erstaunlich kühl, jedoch konnte ich Unruhe in seinen grünen Augen aufblitzen sehen.
Ruhig trat Michael hinter mich, sein schwerer Mantel streifte meine Beine und ich schauderte.
Auch die jungen Männer hielten sofort den Mund, dieser Mann verströmte einfach mit jedem Schritt pure Macht.
"Sie ist hier für ihre letzte Prüfung."
Wieder meldete sich Akon, dieses Mal sah er jedoch nur auf den Boden. Niemals würde er es wagen Michael direkt anzusprechen.
Feigling.
"Wie kann sie jetzt schon ihre Ausbildung abschliessen und wir nicht? Sie ist nur eine..."
Meine Mundwinkel zuckten.
"Frau? Denkst du ich bin nicht fähig dazu, euch zu besiegen?"
Meine Stimme war erstaunlich ruhig.
Eine exakte Kopie von Michael.
Sofort zuckten Alec's Augenbrauen.
Er kannte mich zu gut, um auf meinen Bluff reinzufallen.
Akon hingegen nicht.
"Ja, genau das denke ich."
Fuhr er mich an. Sein Hass war mir schon seit einer geraumer Zeit bekannt, aber es musste ihn wohl gewaltig ärgern, dass ich bereits meine letzte Prüfung erreicht hatte.
"Dann wirst du gegen sie kämpfen. Akon ist dein Name, wenn ich mich erinnere."
Michael deutete mit offener Hand auf den Mann mit den fettigen, pechschwarzen Haaren und der wich kurz verunsichert zurück.
Auch ich musste schlucken.
Ich hatte schon einmal gegen ihn verloren und da hatte mir nur Alec aus der Patsche helfen können.
Ich war nicht wild darauf, dass sich die Geschichte wiederholte.
Trotzdem widersprach ich nicht. Genauso wenig wie er.
Alec presste zwar die Lippen zusammen, verweigerte seinem grossen Bruder aber nicht den Befehl.
"Wählt eure Waffen."
Michael deutete ohne Umschweife auf die Wand voller Armbrüsten, Keulen, Gewehren und Schwertern.
Ich leckte mir über die Lippen und dachte nach, während Akon direkt und zielstrebig auf ein grosses und mit Sägeartigen Kerben versehenes Schwert zusteuerte.
Ich musste sorgfältig wählen.
Die Waffe begleitete mich in diesem Kampf und wenn wir nicht eins waren, konnte ich nicht gewinnen.
Amon war ein sehr guter Kämpfer. Stark aber nicht so flink wie ich. Ich brauchte also etwas kleines.
Er stellte sich bereits in die Mitte des Kreises auf der Matte hin, der sich aus den Schaulustigen und nervösen Männern gebildet hatte.
"Wird das heute noch was? Ich will nicht ewig darauf warten, eine Frau zusammenschlagen zu müssen."
Akon selbstbewusst und einige nickten zustimmend.
Er wusste wie er mich verunsicherte.
Ich atmete langsam aus und lief mit ruhigen Schritten zur Wand. Es war jetzt wichtig, dass ich mich selbst ruhig hielt und mir nicht gestattete, Angst zu empfinden.
Zwei dünne Klingen, leicht und gut ausbalanciert auf meiner Hand.
Nicht zu lange.
Spitz.
Ich nahm je eine in eine Hand und kehrte zu meiner Stellung im Kreis zurück.
Gegenüber von Akon, der mich bereits finster studierte.
Er setzte auf Taktik, auf das, was er gelernt hatte.
Ich setzte darauf, dass meine Augen sahen was er tun wollte noch bevor er es genau wusste.
Ich versuchte, die Blicke um mich herum auszublenden und machte mich in geduckter Haltung bereit, loszulegen.
Kaum waren zwei Sekunden unruhiger Ruhe vergangen, stürzte sich der massiv genaute junge Mann bereits mit verstörendem Gebrüll auf mich.
Es erschreckte mich so sehr, dass ich nur das Schwert mit beiden Klingen abwehren konnte und zur Seite stolperte. Das war nur ein anfänglicher Fehler gewesen.
Ich hatte mich schnell wieder gefangen und hob die Arme angriffsbereit vor meine Brust, mit gezückten Klingen.
Anhand seiner Bewegungen erkannte ich, dass er mich links attackieren wollte und blockte gerade noch rechtzeitig ab.
Die Kraft, die ich mit antrainiert hatte, war massiv und eine Stosswelle davon durchfuhr meinen Arm.
Ich biss mir auf die Lippen als er mich zurück stiess.
Ich durfte mich nicht offen mit ihm messen, wenn es ums Kräftemessen ging, würde er trotzdem gewinnen.
Ich musste also meine Taktik ändern.
Blitzschnell begann ich, mich zu bewegen.
Verweilte nie auf einem Punkt und wich seinen kräftigen Hieben aus. So war ich für ihn ein schwer zu treffendes Ziel.
Ich nutzte seinen Charakter zu meinen Gunsten aus und hieb ihn mit dem Knauf der Klingen in die Seiten, wenn ich mich flink an ihm vorbei drehte.
So verlor er seine Konzentration und nach wenigen Minuten war er rasend vor Wut.
Das machte ihn zwar gefährlicher, aber auch unvorsichtiger.
Ich schnellte vor und erwischte ihn am Hals, hätte ich ernst gekämpft, was aber verboten wäre, hätte ich ihn geköpft. So aber trug er bloss ein par Kratzer davon.
Er taumelte und sah wirklich geschockt aus.
Dann versuchte er mich fest zu halten, um mein Getänzel zu stoppen, doch ich entwischte und bewegte mich um ihn herum wie ein Wolf auf der Lauer.
Ich ahmte dabei genau Michaels Haltung nach, die er mir so oft im Kampf präsentiert hatte.
Versteckte meine Schwachpunkte weit weg von ihm und nutzte die seinen aus.
Ich gewann, ich war drum und dran ihn Schachmatt zu setzen, Michael musste nur stop sagen und es war klar, wer der Gewinner sein würde. Ich.
Mein Atem ging schnell und meine Haare waren unterdessen offen; aber es störte mich nicht.
Mein Kopf war völlig klar und ich wusste, dass ich gewinnen würde.
Und ich war mir sicher, dass es alle anderen in diesem Raum auch sahen.
Doch dann passierte es. Obwohl es nicht abgemacht war, pfiff Michael auf einmal durch diese kleine Pfeife, die mir zu so viel Kraft verholfen hatte.
Ich wusste nicht wieso, ich hätte doch sowieso gewonnen. Zudem hatte er mich bisher immer zuvor informiert, bevor er die Pfeife geblasen hatte.
Aber er tat es.
Und es wirkte.
Ich erstarrte für einen Augenblick und fühlte, wie ich aus mir selbst hinausgerissen wurde.
Ich schwebte zwischen mir und einem anderen Ich, spürte die beiden Seiten, wie sie sich zu bekriegen begannen und wie ich versuchte, einem klaren Kopf darüber zu halten, um sie gezielt einzusetzen. So wie wir es beim Training geübt hatten. Doch jetzt fehlte mir die Zeit, die ich sonst gehabt hätte. Akon war zwar verwirrt von Michaels Tun, aber meine Starre hatte er ausgenutzt und mir den Schwertknauf an die Schläfe geschlagen.
Ich taumelte und fiel zu Boden, auch wenn ich es nicht richtig spürte. Es war als würde ich weit über meinem Körper fliegen.
Damit nahm er mir die Entscheidung ab, die ich hätte treffen sollen.
Als hätte er mich von der Klippe auf der ich balancierte gestossen, fiel ich in den Abgrund. Den Abgrund, den ich dank Michaels Pfeife und meinem mentalen Training immer zu umgehen vermochte.
Der Abrung der diese verwirrende, andere Seite symbolisierte, in die ich immer nur einen Fuss getaucht hatte, um ihre Kraft zu nutzen. So, dass sie aber keine Kontrolle über mich haben konnte.
Jetzt hingehen fiel ich direkt hinein. Für diesen Fall gab es keinen Plan. Ich bekam es mit der Angst zu tun und dann zuckte ich zusammen.
Hustend stemmte ich mich hoch und Blut tropfte von meiner Schläfe auf die Matten.
Mein Blick verschwamm und ich hörte nur ein lästiges, lautes Piepen in meinen Ohren.
Alles drehte sich, als ich wieder hoch gerissen wurde und von Akon mit dem Fuss nach vorne gestossen wurde.
Ich taumelte, doch in mir regte sich etwas.
Hass.
Es war mein Vater, der mich Schlug, der mich tot sehen wollte, einfach weil er mich hasste.
Und mein Hass stieg weiter.
Wut wuchs daraus empor, weil er mir all die Dinge angetan hatte, die mich zu dem gemacht hatten was ich jetzt war.
Aber es war nicht diese Art von Wut die ich gelernt hatte. Sie war nicht kontrolliert und ich konnte sie nicht verdrängen, um wieder so Gleichgültig zu werden, wie sonst immer beim Training.
Es war viel eher eine unbändige Wut. Sie loderte in mir und erfüllte mich mit schwarzem Feuer.
Die Kraft strömte durch meine Glieder wie eine Flutwelle und ich fuhr herum.
Gerade schnell genug um den nächsten seiner Schläge abzublocken.
Ich hatte gar keine Schmerzen mehr, seltsam. Mein Kopf hätte eigentlich dröhnen müssen, aber alles was ich sah waren dunkle Umrisse vor mir, während ich knurrte wie ein wildes Tier.
Ich tat das nicht einmal absichtlich, es passierte einfach. Das war mein anderes Ich.
Und dann stürzte ich mich auf Akon.
Ich traf ihn mit so einer Wucht, dass er nach hinten stolperte.
Hart schlug ich ihm in den Bauch, sodass er sich krümmte und holte dann aus.
Mit voller Kraft schlug ich seinen Kopf zur Seite sodass er auf den Boden fiel und sich krümmte.
Ich konnte nicht mehr klar denken, ich würde jetzt nicht aufhören.
Endlich lag er an Boden, jetzt musste er sehen wie es sich anfühlte, diese Schmerzen zu erleiden, die ich ertragen hatte.
Jeden Abend, jede Woche, jedes Jahr. Von meinem grausamen Vater.
Ich stellte mich über ihn und glaubte Alec ein "Genug" gerufen gehört zu haben, doch es beeindruckte mich nicht.
Es war dann genug, wenn ich es so wollte. Und ich war noch nicht fertig mit ihm.
Er gehörte jetzt mir, war meine Beute und ich würde entscheiden, was mit ihm passierte.
Ich stand direkt vor seinen Rippen und strich mit meinen Fingern beinahe sanft über die Klinge, die mit Blut von meiner Stirn beschmiert war.
Überall Tropfen auf dem Metall.
Es sah schön aus, irgendwie faszinierend.
Dann hob ich sie langsam an, als müsste ich das Licht sehen, dass sich darin brach.
Dann stiess ich die Klinge blitzschnell nach unten, direkt in Amons Schulter.
Ich spürte wie sie Sehnen und Muskeln durchtrennte und ich hörte ihn laut schreien.
Mein Vater hatte nie geschrien. Merkwürdig.
Abrupt zuckte ich zusammen und meine Sicht klärte sich.
Akon lag vor mir, Blut quoll zu beiden Seiten der Klinge heraus und er klopfte mit der Hand wie verrückt auf den Boden.
Die jungen Männer starrten mich an, als wäre ich nicht verrückt.
Langsam richtete ich mich gerade auf. Die Klingen hingen locker in meinen Händen und schleifen über die Matte. Blut tropfte an den Klingen hinunter.
Ich war mir nicht sicher, was ich getan hatte, aber ich wusste, dass ich nicht anmerken lassen durfte, dass ich genauso erschrocken von mir war, wie alle anderen in diesem Raum. Ich war wirklich krank, und mit einem Schlag wurde mir das bewusst. Egal was Michael gesagt hatte, ich konnte keine Kontrolle über meine psychische Erkrankung erlangen. Zumindest nicht auf seine Weise. Das musste aufhören, sofort. Ich erkannte nun meinen Fehler. Aber jetzt war ich schon zu weit gegangen.
"Du elende...", jaulte Akon und krümmte sich auf der blutigen Matte.
Ich sah ihn reglos an. Ich musste das zumindest jetzt noch durchziehen. Danach würde ich Michael sagen, daws ich es nicht mehr wollte. Dass ich die Pillen wieder nehmen wollte. Denn jetzt hatte ich selbst Angst vor mir.
"Ich könnte es mit Jedem von euch aufnehmen. Also behandelt mich wie eine von euch, oder ihr erfahrt dasselbe wie er."
Ich nickte zu dem Jungen der am Boden lag.
Ich meinte, ein feines Lächeln auf Michaels Gesicht ausmachen zu können, während Alec's Augen dunkel vor Wut und Schock geworden waren.
Aber die Jungs hatten jetzt Respekt vor mir.
Ich sah es in ihren Augen.
Sie würden mich nie wieder unterschätzen.
Oder mich schlecht behandeln.
Michael trat vor und nahm mir sanft die zweite Klinge aus der Hand.
"Der Unterricht ist beendet."
Mit einem uninteressierten Wink in die Richtung des Verletzten meinte er: „Alec, bring Akon zur Krankenstation."
Alec folgte mir mit dem Blick, als ich von Michael mit einer Hand an meinem Rücken aus dem Raum geführt wurde.
Ich wandte den Blick beschämt ab und trat durch die Tür, wie ein anderer Mensch fühlte es sich an.
Kaum schloss sie sich hinter uns, drehte sich Michael zu mir um.
"Du wirst von mir hören Amara. Und du wirst deine Belohnung bekommen, wie versprochen. Jetzt geh und lass das Behandeln."
Er deutete auf meine Stirn und erst jetzt fühlte ich die nasse Wärme des Blutes, das an meiner Wange hinunter lief und den pochenden Schmerz der Wunde weiter oben.
Ich nickte, freute mich aber nicht. Obwohl ich meiner Freiheit noch nie so nahe gewesen war. Ich hatte aber niemals alles Menschliche in mir dafür aufgeben wollen. Das war es nicht wert. Gerne hätte ich Michael gefragt, wieso er die Pfeife vorhin benutzt hatte. Und gerne hätte ich ihm gleich gesagt, dass ich aufhören wollte. Doch das war jetzt vielleicht gar nicht mehr nötig. Wenn ich die Karte bekam, war ich nicht mehr abhängig von ihm. Dann konnte ich die Pillen wieder nehmen und vielleicht sogar eine andere Behandlung zulassen.
Ich wandte mich zum gehen.
"Ich war mir einst unsicher darüber wer du bist, Amara. Jetzt weiss ich es."
Ich hielt inne und sah zu ihm zurück.
In seinen Augen stand Genugtuung.
Kein Stolz, aber etwas was dem so ähnlich kam, dass es Michael schon fast unähnlich war.
"Und wer bin ich?"
Fragte ich. Ich wollte die Antwort eigentlich gar nicht wissen.
Er lächelte leicht, dabei schien das Gewitter in seinen Augen wilder zu toben als jemals zuvor.
"Eine Killerin."

So, ein Heavy Kapitel wie ich finde.
Wie habt ihr Michaels Aktion mit dem Pfeifen gefunden? Es war ja eigentlich gar nicht nötig, wieso also hat er es gemacht?
Ich hoffe euch gefällt die Story immer noch, auch wenn sie etwas eigen ist^^
Love you
Angora77

Poisoned Kiss *beendet* Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt