Kapitel 5 {Der Test}

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Das Zimmer, in welches ich gebracht wurde sah aus wie beim Arzt. Jedenfalls war es genauso sauber wie der Rest der Organisation.
Ein Stuhl stand in der Mitte, er sah etwas aus wie ein Zahnarztstuhl, den ich als Kind nie gemocht hatte.
Allerlei Utensilien lagen auf den geordneten Operationstischen auf grünen Decken, auch ein grünes Laken war sauber über den Sitz gespannt.
Einige elektrische Instrumente standen an einem anderen Ort, weiter hinter mir, wahrscheinlich wollte mir die oder der Arzt nicht noch mehr Angst machen.
Nicht geschafft.
Langsam drehte ich mich zu Alec um, sein Gesicht war ernst.
"Keine Sorge, der Test ist harmlos."
Sagte er, als ob er jetzt noch Schuldgefühle bekam mir das nicht früher gesagt zu haben.
Aber dieser 'harmlose' Test würde bestimmen ob ich lebte oder nicht. Und wenn ich diesen Raum so betrachtete, kam er mir eher wie eine Folterkammer vor.
Aber jetzt durfte ich nicht schlapp machen, ich musste mich darauf konzentrieren mich selbst zusammen zu raufen. Und diesen Test eben zu bestehen.
Alec blieb an der Türe stehen und nach einem Nicken des Doktors, der gerade hinein kam, verliess er das Zimmer und stellte sich wahrscheinlich wieder mit seinem Handy vor die Türe, die er leise hinter sich schloss.
Ich blieb stehen, meine Haut fühlte sich sauber an und dennoch verschwitzt. Kalter Schweiss. Wie damals.
Meine Augen wanderten über den Arzt. Dass er einen weissen Kittel trug machte es nicht gerade besser, viel eher verstärkte er das Schlagen meines unkoordinierten Herzens.
Ich atmete zitternd aus und spürte dabei wie mein Brustkorb in Stössen vibrierte.
Der Mann sah aber ganz freundlich aus, an den Schläfen färbte sich das hellbraune Haar grau und er trug eine Runde Brille, die seine Augen irgendwie grösser wirken liess.
Er trug einen Stift in der Tasche, genau wie eine Lampe.
Bewaffnet schien er nicht zu sein.
Also könnte ich ihn vielleicht niederschlagen.
Aber selbst wenn dann wäre ich schneller gefasst als ich ins untere Stockwerk kommen würde und zudem mit Sicherheit sofort tot.
Jetzt bestand wenigstens eine Chance.
Ich war eher ein Typ der Impulsiv handelte, doch jetzt musste selbst ich zugeben das mir mein Leben zu wichtig war, als unbedacht zu handeln.
"Setz dich."
Mir fiel auf dass die Ranghöheren die anderen immer duzten, während diese ihrem Gegenüber mehr Respekt entgegen bringen mussten.
Ich kam seiner Bitte nach, auch wenn mich der Weg zum Stuhl unendlich lange dünkte.
Die Plane unter mir schien aus Papier zu sein, denn als ich mich darauf setzte knisterte es ziemlich laut in dem stillen und leeren Saal.
Der Doktor rückte sich einen Stuhl heran und lächelte mit beruhigend zu, er musste wohl wissen wie man mit Menschen umhing, denn die Ruhe in seinen Augen holte auch mich ein klein wenig hinunter, beruhigte den Gedankenschwall.
"Also, zuerst möchte ich dir nur einige Fragen stellen, du hast Zeit sie zu beantworten, sie sollten eigentlich nich beunruhigend sein."
Er nickte mir zu und nahm ein Tablett hervor, rückte seine Brille mit dem Zeigefinger zurecht und ich lehnte mich zurück, die Hände um den Stuhl gepresst.
"Nehmen sie Drogen?"
Ich blinzelte, das war eindeutig nicht in meiner Erwartung gestanden.
"Nein."
Antwortete ich und der Bildschirm vor mir leuchtete plötzlich auf.
Ich zuckte zusammen als mich mein Auge in tausendfacher Vergrößerung anstarrte.
Rote Punkte liefen darüber und danach blinkte ein grünes Licht am Rand der Tafel.
Der Arzt nickte und tippte.
War das hier sowas wir ein Lügendetektor?
Ich starrte mein Auge an, das grau vermischte sich je weiter nach innen mit einem merkwürdigen Orange, die kleinen Pünktchen musste ich wohl von meinem Vater haben, meine Mutter hatte ganz graue Augen gehabt.
"Konsumieren sie sonstige Suchtmittel wie Schmerzmedikamente, Zigarretten?"
Ich schüttelte erneut den Kopf.
"Nein."
Wieder das grüne Lämpchen, an der Bewegung meiner Iris schien die Maschine tatsächlich zu erkennen ob ich die Wahrheit sagte. Faszinierend.
Ich hatte noch nie Drogen genommen, was wirklich verwunderlich war, wenn man an meine Umstände dachte.
Aber ich hatte es mir nie vermocht und zudem hatte ich in der Schule genug gelernt, dass ich wusste dass mir die Kontrolle über mich selbst entfallen würde:
Und dann war es noch gefährlicher, schutzlos auf der Strasse zu leben.
Ich hatte darüber nachgedacht, die Sorgen so einmal zu vergessen, aber was nützte es wenn sie danach wieder kamen, noch immer ungelöst. Ich behielt lieber die Kontrolle.
"Haben sie gerade irgendwelche Krankheiten? Dazu zählen auch Geschlechtskrankheiten und Erbkrankheiten."
Ich blinzelte erneut, mein Mund fühlte sich trocken an, das waren eher Fragen die man gestellt bekam bevor man Blut spendete oder eine Transplantation durchführte.
"Nein, nicht das ich wüsste."
Antwortete ich und ich war selten so froh gewesen ein grünes Licht zu sehen.
Je mehr grün desto besser, oder? Oder waren die Fragen gar nicht positiv?
Angst zog sich in meinem Bauch zusammen wie ein dunkler Ball aus negativer Energie.
Ich atmete zweimal leise aus, der Arzt wartete geduldig, er schien mir die Zeit wirklich lassen zu wollen, die ich brauchte.
Er war freundlich, legte nicht mal seine Hand auf meinen Arm da er zu spüren schien dass es so besser ging.
"Kann ich fortfahren?"
Fragte er dann sanft, das Tablet in den leicht faltigen Händen.
Ich nickte.
"Sind sie auf irgendetwas allergisch?"
Ich verzog das Gesicht.
Das wusste ich doch nicht, war ich ein verdammtes Gesundheitsmodell oder was?
Ich riss mich zusammen weil das rote Lämpchen leicht aufglühte.
"Ja, Auf Bienenstiche."
Sagte ich und meine Augen lagen gebannt auf der Lampe.
Das war die Wahrheit, als kleines Kind hatte ich wirklich nicht gut darauf reagiert, aber ich wusste doch mittlerweile nicht mehr was ich vertrug und was nicht.
Grün.
"Sind sie Jungfräulich?"
Ich verschluckte mich, krallte die Finger in das Polster und wandte den Blick vom Bildschirm.
"Das beantworte ich ihnen nicht."
Es war kein kindlicher Trotz, ich verstand nur nicht was mir das half, am Leben zu bleiben. Das ging niemanden ausser mich was an. Ich kannte diesen Mann nicht also wieso erzählte ich ihm überhaupt alles.
Um am Leben zu bleiben...erinnerte ich mich selbst.
"Das ist mein Job, ich möchte dir in keinster Weise zu nahe treten, aber wenn du dich weigerst muss ich es auf andere Weise heraus finden."
Ich starrte ihn an, als wäre ich hier in der Hölle gelandet. Das war doch ein Witz. Nein, er sah nicht aus als würde er spassen.
Das war noch schlimmer als Krankenhäuser, und alleine da hatte ich immer Angst vor den Spritzen bekommen, die sie meiner Mutter regelmässig gegeben hatten damit es ihr wieder besser ging und sich ihr Blick wieder klärte.
Ich mahlte mit dem Kiefer.
"Ja.."
Ja es war mir doch etwas unangenehm.
Aber ich hatte mit dreizehn Jahren mein Leben auf der Strasse begonnen, da war es nicht mein erster Gedanke gewesen einen Obdachlosen zum vögeln zu finden. Und ausserdem gab es so etwas wie Liebe nicht in den Gassen des Ghettos, wenn dann kaufte man sie sich. Und ich gehörte sicherlich nicht zu der Sorte.
Klar hatte ich mich ab und zu nach menschlicher Nähe und Zuneigung gesehnt. Nach jemandem, der mich einfach im Arm hielt. Aber irgendwann hatte ich akzeptiert, dass es nunmal nicht so war.
Das Lämpchen wurde grün, der Doktor notierte es ohne irgend einen verräterischen Gesichtsausdruck.
"Wie ist ihre psychische Verfassung?"
"Eh..gut."
Naja, ich hatte keine Depressionen aber wie gut konnte es mir schon gehen.
Das Lämpchen leuchtete rot auf.
Ich schluckte und er notierte. Wie konnte das Lämpchen rot leuchten? Das Gerät konnte doch nicht mehr wissen, als ich es tat, oder?
Völlig ruhig wandte sich der Arzt wieder an mich.
"Haben oder hatten sie jemals Selbstmordgedanken?"
Fragte er und das war wohl die Antwort die ich am leichtesten beantworten konnte.
"Nein."
Ich hatte meine Mutter so gesehen, sie hatte sich das Wertvollste genommen was nur sie wirklich besass.
Ich hatte nie vor gehabt mit ein Ende zu setzen, denn wenn ich für mich kämpfe gewann oder starb ich irgendwann. Dann war es sowieso gleichgültig wann. Ein jähes Ende nützte da absolut nichts, vor allem weil ich es wahrscheinlich nicht einmal schaffen würde, zu tun, was dafür nötig war.
Die Lampe leuchtete grün, beinahe etwas zufriedenes huschte über sein Gesicht.
Etwas Erleichterung machte sich in mir Breit. Das war mehr grün als rot. Sehr gut.
"Haben sie getötet?"
Fragte er.
Ich dachte nach, nein, ich hatte viele Tote gesehen, war dabei gewesen und hatte leere Augen gesehen deren Seele verschwunden war.
Aber noch nie war ich dafür verantwortlich gewesen, auch wenn ich schon Leute verletzt hatte. Immer aus Selbstverteidigung.
Aber gut genug für einen Todesstoss hatte ich nie gekämpft.
"Nein."
Und wieder Grün. Dieses Mal sah er nicht begeistert aus und mir wurde wieder flau im Bauch. Was genau wollten die eigentlich von mir?
Ich hatte keine Chance zu erraten was jetzt gut und was schlecht war.
"Haben Sie Leute oben die nach ihnen suchen werden?"
Ich zögerte, vielleicht würde der ein oder andere Dealer sich fragen wo ich abgeblieben war und die Polizei würde meine Spur völlig verlieren.
Aber ich war nur ein klein Gauner, also war ich nicht wirklich ein grosser Fisch für sie.
"Nein."
Die Lampe leuchtete grün, mittlerweile hatten sich die Gedanken in meinem Kopf erfolgreich auf diese beiden Lampen abgerichtet, sodass ich es schaffte an nichts anderes mehr denken zu müssen.
"Noch die Letzte Frage.
Wie ist ihre Familie gestorben?"
Ich erstarrte und sah ihn an. Gerade hatte ich mic gefasst und er riss mich wieder auf wie ein geschlachtetes Tier.
"Woher..."
Setzte ich an.
"Beantworte die Frage."
"Woher!"
Aufgebracht setzte ich mich auf, es war mein Wunder Punkt und wenn man den Traf machte ich zu, das war menschlich, das musste er doch sehen.
"Wir haben viele Menschen wie dich hier, du bist nicht die Einzige die den Verlust der Familie erlebt hat."
Ich war nichts spezielles, es war also normal Leute über den Tod ihrer Nächsten Auszufragen, sie zu zwingen längst Verdrängtes zurück in ihren Kopf zu lassen. Nein Danke, nicht mit mir!
Ich weigerte mich.
Es war dumm von mir und konnte mein Leben gefährden, aber ich schaffte es nicht darüber zu reden, es war nicht möglich, selbst wenn ich es gewollt hätte. Etwas blockierte mich.
Nach einer Weile meines Schweigende atmete er bedauernd aus und nickte.
Dann legte er das Tablet zur Seite und bedeutete mir aufzustehen.
"Ich werde dich jetzt auf körperliche Verletzungen untersuchen und mir deinen Körperbau ansehen.ä
Als er bemerkte, dass ich mich verkrampfte hob er beruhigend die Hände. „Du kannst alles anbehalten."
Langsam nickte ich, mit dieser Letzten Frage musste ich mir wohl selbst ein Ei gelegt haben.
Zögernd stand ich auf und liess mich von ihm Messen und abtasten.
Er liess einige Zonen bewusst aus, er musste wirklich ein guter Arzt sein, obwohl er hier lebte. Sonst würde er nicht so viel Respekt für mich aufbringen.
Murmelnd tippte er irgendwelche Masse in das Tablett und leuchtete mir in die Augen, den Mund und liess mich verschiedene Bewegungen ausführen.
Danach nickte er und legte das Tablet endgültig zur Seite.
"Du kannst gehen, ich habe die Ergebnisse und reiche sie sofort ein. Alec wartet draussen auf dich."
Ich schluckte, wie konnte er so ruhig bleiben obwohl er den Entscheid über mein Leben in der Hand hielt?
Doch in seinen Augen konnte ich nichts lesen, keinen Hinweis oder eine sonstige verräterische Bewegung.
Er musste kaltherzig sein, um sich so etwas zutrauen zu können.
Trotzdem verliess ich den Saal, meine Beine waren weich und ich hatte das Gefühl dass das schon fast an psychische Folter reichte, solche Fragen in dem Zustand der Todesangst zu beantworten.
Alec sah mich an, etwas ermutigendes und ruhiges Lag in seinem Blick.
Dieses Mal liess ich zu dass er die Hand leicht an meinen Rücken gelegt hatte, denn ohne den Sanften Druck den er ausübte wäre ich nicht weiter vorwärts gegangen.
Nur so brachte er mich dazu erneut auf das Büro zuzugehen, indem über mich entschieden wurde.
Innerhalb dieser wenigen Stunden hatte sich alles verändert.
So hatte ich es mir gewünscht gehabt.
Doch jetzt wusste ich nicht ob ich es nicht doch lieber Rückgängig gemacht hätte.
Dann öffnete die Wache die Tür.
Eine Tür zu einem
Zimmer, das ich entweder Lebend oder tot verlassen würde.

So meine Sternchen, die heutige Frage lautet; wie denkt ihr über diesen Doktor?^^ ich bin gespannt auch auf euer Feedback und wünsche euch Spass beim weiterlesen.
Ich versuche diese Geschichte wirklich zu einem Einzelstück heraus zu arbeiten, und deshalb ist die Idee auch so Komplett anders als alle anderen, ich hoffe natürlich dass das kein Grund ist aufzuhören.
Love
Angora77

Poisoned Kiss *beendet* Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt