Der verschwundene Ire und Abschied von London

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Wir kamen beim Anwesen an, übergaben einem mürrischen Stallmeister unsere Reittiere und gingen hinauf.
Meine Frau ging aber nicht wie vermutet in unser Zimmer, sondern in das Studierzimmer, entzündete ein paar Kerzen und begann in einem alten Buch zu blättern. Vermutlich in der Hoffnung, etwas über die irische Geschichte oder ähnlichem zu finden.
Ich erklärte ihr, bevor sie sich zu sehr vertiefte, dass sie HIER nicht fündig werden würde. In Frankreich, im Chateau genauer gesagt, gab es eine ganze Reihe an solcher Lektüre, welche sich mit alten Herrschern und Legenden beschäftigte. Reginald war unermüdlich bei seiner Recherche für die Vorläufer und deren Artefakte!
Trotzdem ermahnte ich Alex jetzt, dass sie dringend noch Schlaf bräuchte, weil sie an unseren Sohn denken sollte. Resigniert löschte sie wieder die Kerzen und wir gingen hinüber in unser Zimmer.

Mittlerweile war es schon fast hell. Dennoch ließ ich Magda und Michael rufen, damit wir uns umziehen konnten.
Natürlich hörten wir auch schon unseren Sohn in seinem Bett, welcher sein Kindermädchen anstrahlte, als sie ihn mit sich nahm.
Endlich konnten Alex und ich noch ein wenig Schlaf finden, auch wenn ich es mir nicht nehmen ließ, sie noch einen Moment davon abzuhalten. Mit einem leisen gehauchten „Danke, mi amor" fielen ihr die Augen zu, genau wie mir auch.

Gegen Mittag wurde ich wieder wach und weckte auch meine Frau. Maulig drehte sie sich aus den Laken und ließ sich wieder einkleiden. Gesprächig war sie kurz nach dem Aufstehen eigentlich nie, aber heute war eindeutig dieser extreme Schlafmangel noch zusätzlich verantwortlich.
Auf der Terrasse wurden wir von einem böse dreinblickenden Edward erwartet. Schnell krabbelte er auf mich zu, zog sich hoch und sah mich mit großen Augen an.
Als ich ihn auf dem Arm hatte, hörte ich ein freudiges „Faver" von ihm, was mich schmunzeln ließ. Für eine perfekte Aussprache fehlten ihm ganz eindeutig noch die Zähne, weswegen ich ihn auch nicht korrigierte.

Heute überwachten wir die Verladung der Frachttruhen, der Reisetruhen und natürlich der Runentruhen. Die White Moon lag, als alles vertäut und gesichert war, recht tief im Wasser. So auch die Jackdaw, weil wir einige Waren auf beiden Schiffen mitnahmen.
„Master Kenway, wer ist mein Ansprechpartner in Frankreich im Hafen? Oder soll ich mich selber darum bemühen?" fragte Mr. Higgins mich.
„Das werden wir vor Ort klären, denke ich. Unsere Kontakte werden uns auf dem Weg nach Compiègne erst treffen." vermutlich müsse man sich einfach an den Hafenmeister in Calais direkt wenden. Der Rest würde sich dann schon ergeben!

Am darauffolgenden Tag verabschiedeten wir uns jetzt von Faith und Shay. Meiner Frau fiel dieser Moment wieder sehr schwer, weil es ein Abschied auf unbestimmte Zeit sein würde.
Wir alle hatten ab jetzt eigene Aufträge, bei denen niemand sagen konnte, wie lange man dafür bräuchte.
Ein kurzes Zwiegespräch mit Lucius rief mir wieder dieses „Schicksal" ins Gedächtnis. Er hatte in gewisser Weise seinen Frieden mit Alex geschlossen, umgekehrt war es nicht anders.
Dieser kurze Wortwechsel beruhigte mich auf eine seltsame Art und Weise.

Dann war es Zeit, Segel zu setzen.
Zum Abschied waren die Bradshaws ebenso erschienen wie meine Schwester. Sie wünschten uns alles gute und eine friedliche Überfahrt.
Sie alle freuten sich auf einen späteren Besuch in Virginia und versicherten uns noch einmal, dass wir umgekehrt auch hier immer willkommen seien.
Langsam wurden die Menschen am Kai immer kleiner, bis niemand mehr zu erkennen war.

Die Überfahrt war recht anstrengend, weil gerade am Anfang Edward seine Schwierigkeiten mit dem Gleichgewichtssinn hatte. Auch wenn es niedlich aussah, wenn er bei seinen Gehversuchen auf dem schwankenden Untergrund auf seinen Hintern fiel. Ihm gefiel das aber ganz und gar nicht! Meine Frau begann ihn an diese Situation zu gewöhnen in den nächsten Tagen, während ich mir meinen Kammerdiener vornahm.
Michael war auf mich zu gekommen, als wir gerade zwei Tage unterwegs waren.
„Sir, Magda... ihr geht es nicht gut. Ich glaube sie ist schwanger!" in seiner Stimme klang Angst mit, weil er damit nicht unbedingt gerechnet hatte. Sie hätte sich unwohl gefühlt und wäre des öfteren aufgestanden in der Nacht. Auch hätte sie fast gar nichts gegessen und sie sei so blass.
Seufzend setzte ich mich mit ihm etwas Abseits auf eine Seilwinde.
„Michael, hat sie dieses Unwohlsein schon des öfteren gehabt?" fragte ich jetzt nach, weil ich die Hoffnung hegte, es handelte sich einfach um die Blutungen, welche auch bei meiner Frau mitunter recht unangenehm waren.
„Ja, seit... also... seit wir auch nachts zusammen sind. Meist ist es nach ein paar Tagen wieder weg. Ich habe gehört, wie einer der Matrosen meinte, man müsse die Frauen nur küssen und schon wären sie schwanger!" in seinen Augen lag jetzt echte Panik.
Da konnte ich ihn beruhigen und begann ihn in gewisser Weise aufzuklären. Dieser junge Mann hatte noch keine wirklich nennenswerten Erfahrungen mit Frauen gemacht, wie es schien und war Ammenmärchen aufgesessen!
„Ihr meint, meine Verlobte ist gar nicht guter Hoffnung?" ich konnte ihn beruhigen, weil die beiden tatsächlich noch gar nicht richtig mit einander geschlafen hatten. Michael hatte mir mit hochrotem Kopf erklärt, WAS sie machten und ich kann sagen, dass man DAVON definitiv keine Schwangerschaft riskierte. Näher werde ich das jetzt aber nicht ausführen, vermutlich kann sich jeder Leser seinen Teil denken.

Nach und nach konnte ich meinen Kammerdiener beruhigen, auch was das Finanzielle anbelangte. Er machte sich sogar Sorgen, wie er eine Familie später einmal versorgen sollte, wenn doch nur noch er das Geld nach Hause brachte. Dafür würden wir schon eine Lösung finden, da die beiden in Virginia ja in unserem Haus vorerst ein Zimmer gemeinsam nach der Hochzeit beziehen würden. Somit gäbe es da keine weiteren Unkosten.
Wir hatten uns auch noch über einen Verlobungsring unterhalten, welchen ich gerne als Geschenk beisteuern würde. In Frankreich würden wir sicherlich fündig werden.
Irgendwann hakte aber Alex nach, was in Michael gefahren sei. Sie hätte einige Wortfetzen aufgeschnappt. Auch ihr erklärte ich die Situation und sah, dass sie sich in absehbarer Zeit mit ihrer Zofe zusammen setzen würde. Vermutlich ist auch diese junge Frau noch recht unaufgeklärt.
„Haytham, auch du könntest noch einiges lernen. Vielleicht habe ich irgendwann einmal die Möglichkeit dazu..." fragend sah ich sie bei diesen Worten an. „Es gibt viel mehr, was zu einer Schwangerschaft gehört, als du zu wissen glaubst, mi amor." hauchte sie jetzt leise an mein Ohr. Meine Neugierde war geweckt, aber leider wurde sie nicht gestillt. „Bei Gelegenheit, Haytham!" kam es mit Nachdruck von Alex.


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Das Tagebuch des Haytham E. Kenway - Die verlorenen Seiten Part 3Where stories live. Discover now