31. Ein sehr wertvolles Geschenk

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In der Nacht hatte ich zwar nicht gefroren und war daher kein einziges Mal zwischendurch wach geworden, dennoch hatte es eine Ewigkeit gedauert, bis mir endlich die Augen zugefallen waren. Mein Gehirn hatte einfach nicht die Klappe halten wollen und mir stattdessen eine beunruhigende Fantasie nach der anderen in den Kopf gepflanzt – einfach um mich zu ärgern. Und als wäre das Einschlafen nicht schon belastend genug gewesen, hatte ich auch noch von Henry geträumt, wie er auf seinem Surfbrett und in einem übergroßen Schlafsack gewickelt Poseidon zu einem Duell aufgefordert hatte, während ich schräge Schlagersongs am Strand gegrölt und mich selbst auf der Gitarre begleitet hatte. Dabei hatte ich nichts anderes getragen als meine neue Baskenmütze, Ellas Fransen-Bikini und lila Cowboystiefel.

Henry hatte das Duell übrigens gewonnen.

Und ich litt offenbar an einem Dachschaden.

Zum Glück schlief er noch, als ich gegen halb sieben erwachte. Unter normalen Umständen hätte ich mich tiefer in den Schlafsack gekuschelt und den frühen Morgen genossen, doch in Anbetracht der aktuellen Schlafsituation hegte ich das Bedürfnis, so viel Abstand zwischen uns zu bringen wie nur möglich, weshalb ich den Schlafsack und das Zelt rasch mit meinem Waschzeug verließ. Auf dem Rückweg kam Henry mir entgegen und er begrüßte mich mit einem fröhlichen „Guten Morgen, Zottelchen!", als hätte es diesen Moment gestern Abend im Zelt nicht gegeben.

Nach dem Frühstück brachen wir auf. Diesmal fuhren wir nur teilweise an der Küste entlang, da es sonst doppelt so lange gedauert hätte, als die eigentlichen zwei Stunden.

„Wir werden euch am Place Massena rauslassen", verkündete Grace, als wir in Nizza einfuhren. „Der liegt quasi direkt am Strand, wo sich neben den Einwohnern viele Touristen aus aller Welt tummeln. Wenn ihr Glück habt, findet ihr dort am ehesten jemanden, der nach Italien fährt. Zudem gelangt ihr von dort aus auch schnell und einfach zu ein paar Bistros und Drogeriemärkten, falls ihr noch ein paar Lebensmittel oder andere Notwendigkeiten besorgen möchtet."

„Das klingt super, vielen Dank!", bedankte Henry sich für uns.

„Ella, dich können wir ein paar Minuten später am Bahnhof absetzen, dann kannst du einen Teil der Strecke mit dem Zug fahren."

„Das ist wirklich sehr lieb von euch, aber ich denke, so eine Zugfahrt ist sehr teuer, weshalb ich es gerne auch weiter mit einer Mitfahrgelegenheit probieren möchte", lehnte Ella dieses durchaus kluge Angebot ab.

Zwanzig Minuten später parkte Callum den Camper am Wegesrand des riesigen Place Massena. Der zweiteilige Platz war ein riesiger Treffpunkt, an dem viele Geschäfte und Cafés lagen. Meiner Meinung nach hätten Hochbeete oder generell mehr Grün als die paar Bäumchen den im Schachmuster gepflasterten Ort keinen Abbruch getan, so wirkte er zwar sehr modern und bot einen weiten Ausblick, vor allem auf die neoklassizistischen Gebäude, aber er wirkte auch sehr hart. Im Sommer heizte der Platz bestimmt wegen mangelndem Grün sehr auf und spendete nicht viel Schatten.

Allerdings war hier richtig was los. Wenn wir hier niemanden antrafen, der nach Italien aufbrechen wollte, dann vielleicht noch am Strand, ansonsten bezweifelte ich, dass wir Nizza Richtung Italien verlassen würden. Der Zug wäre in dem Fall unsere einzige Alternative, aber zum einen war ich mir nicht sicher, ob das preislich für uns in Frage käme und zum anderen fand ich eine solche Fahrt nicht so spannend wie per Anhalter. Bisher hatten wir riesiges Glück gehabt mit unseren Anhaltern und auch wenn ich anfangs unsicher diesbezüglich gewesen war, so machte es mir mittlerweile Spaß, mit den verschiedensten Leuten in Kontakt zu treten. Ich hoffte inständig, dass wir auch weiterhin so nette Fahrer erwischten wie bisher.

Callum und Grace stiegen mit uns aus und nahmen uns nacheinander herzlich in den Arm. „Genießt die Reise und passt auf euch auf! Henry, du hast dir meine Handynummer notiert, richtig? Dann meldet euch, wenn ihr gut bei eurer Klasse angekommen seid. Und ich möchte euch nochmals herzlich einladen, wenn ihr mal nach England kommt. Wir würden uns riesig freuen, euch wiederzusehen!"

Alle Wege führen nach RomWhere stories live. Discover now