10. Tutti Frutti

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Ojemine.

Die Straßen von Barri Gótic schwankten ein wenig.

Vielleicht waren es auch nur meine Gedanken, die in meinem Kopf Loopings flogen.

Zumindest wäre das schön, denn weder schwankten die Straßen noch flogen meine Gedanken Loopings, als ich hochkonzentriert einen Fuß vor den anderen setzte und mich selbst davon abhalten musste, nicht lauthals die schrägste Version von Cindy Laupers Girls just wanna have fun zum Besten zu geben.

Ich hatte definitiv zwei Cocktails zu viel getrunken.

Noch merkte Henry neben mir nichts von meinem angetrunkenen Zustand und ich betete, dass sich daran auch nichts änderte. Denn auf weitere dumme Sprüche über meine Peinlichkeiten konnte ich getrost verzichten. Vor allem weil ich vor Henry groß rumgeprotzt hatte, dass ich trotz seltenen Alkoholkonsums verdammt viel vertragen konnte – was gänzlich gelogen war. Und da ich nicht nur ihm etwas beweisen wollte, sondern auch mir, dass ich die Bessere in allem von uns beiden war, hatte ich nach dem ersten Mojito gleich noch drei weitere spanische Spezialitäten bestellt.

Was allerdings noch schlimmer war, als meine unüberlegte Entscheidung, war meine Redseligkeit, die im alkoholisierten Zustand gerne einmal Hallo sagte. Aus einem mir unerfindlichen Grund hatte ich ihm erzählt, welche Schokoladenmarke meine Liebste war – Milka – und warum ich die mit Oreos und Kuhflecken am liebsten mochte. Gleich darauf hatte ich von Oreos geschwärmt und dass es mir schleierhaft war, warum man sie in Milch tunken sollte – ich mochte keine reine Milch, was ich ihm ebenfalls mit großzügigen Ausschweifungen unter die Nase gerieben hatte. Anschließend hatten wir noch über jegliche Süßigkeiten diskutiert – naja, viel mehr ich, Henry hatte nur kurz meine Fragen beantwortet und mir sonst aufmerksam zugehört, wie ich ihm detailreich erklärte, warum ich während meiner Menstruation im Gegensatz zu vielen anderen Mädchen keine Schokolade essen konnte und stattdessen nach Salzstangen griff.

Im nüchternen Zustand würde ich behaupten, dass dieser Moment unter die Top Drei meiner bisherigen Tiefpunkte des Lebens fiel. Auch wenn Henry nicht besonders befremdet schien, war ich mir sicher, dass ihm seine beiden pubertierenden Schwestern als Informationsquelle über die Menses völlig ausreichten.

Aber mit Alkohol im Blut war ich der festen Überzeugung, dass ihm diese Information nicht schadete.

Irgendwann hatte Henry beschlossen, dass es wohl Zeit wäre zurück zum Hotel zu gehen und hatte die Kellnerin nach der Rechnung gefragt, ehe ich ihm hatte meine Philosophie über die Faszination der weiblichen Monatsblutung erläutern oder noch einen Cocktail bestellen können.

Während wir nun auf dem Rückweg waren, überlegte ich, ob Henry von mir genervt gewesen oder mich ganz unterhaltsam gefunden hatte. Es kam schließlich nie vor, dass ich ihm freiwillig so viel über mich erzählte, auch wenn es nur über belanglose Dinge wie Süßigkeiten oder die Periode war.

Er musste wohl auch denken, ich hätte eine multiple Persönlichkeitsstörung.

Doch mir war keine Belustigung seinerseits aufgefallen und ich hoffte inständig, dass es mir nicht wegen des Alkohols entgangen war. Wenigstens hatte ich bezahlen können, ohne umständlich das Bargeld aus dem Geldbeutel zu kramen oder zu viel Trinkgeld zu geben. Und ich lallte nicht.

„Möchtest du noch irgendwohin, bevor wir ins Hotel zurückkehren?", fragte Henry. Er hatte die Hände lässig in die Hosentaschen geschoben und schlenderte gemütlich neben mir her, während er seinen Blick gespannt durch unsere Umgebung schweifen ließ.

Ich nutzte diesen unbeaufsichtigten Moment, um ihn zu betrachten. Sein eher weiches Kinn ließ die sonst definierte Kieferpartie nicht so kantig wirken, wobei ich mir nicht sicher war, ob es nicht doch an dem feinen Bartschatten liegen konnte. Hatte er sich heute morgen etwa nicht rasiert? Kaum hatte ich mir die Frage gestellt, war es mir auch schon schnurzpiepegal. Wieso sollte er sich einen so netten Bartansatz rasieren? Es ließ ihn irgendwie erwachsen wirken und meiner Meinung nach stand ihm das auch unheimlich gut. Ob ihm auch ein Drei-Tage-Bart stehen würde? Oder ließ der seine gerade Nase noch scharfkantiger wirken, wo sie ohnehin schon aussah, als wäre sie mit einem Geodreieck gezeichnet worden. Wobei... War das etwa ein dezenter Knick am Nasenrücken?

Alle Wege führen nach RomWhere stories live. Discover now