38. Der dümmste Pakt

256 23 56
                                    

Besonders viel von Mailand besichtigten wir an dem Abend nicht, da es schon spät war und wir uns nicht überanstrengen wollten. Glücklicherweise lagen die besten Sehenswürdigkeiten direkt auf unserer Route, sodass wir uns die Santa Maria della Grazie am Anfang anschauten, dann über den Simplonpark an der Triennale di Milano und der mittelalterlichen Festung Castello Sforzesco vorbei- und dann Richtung Innenstadt liefen. Auf dem Weg sahen wir uns das Teatro alla Scala und ein paar weitere historische, wahrscheinlich im Barock entstandene Gebäude an, durchliefen die Viktor-Emanuel-Passage und aßen Pasta und Salat am Platz des Mailänder Dom zu Abend. Dabei tauschten wir unsere Gedanken zu der Stadt aus, bei der wir uns alle einig waren, dass wir im Prinzip viel mehr Zeit hier verbringen müssten, um uns alles in Ruhe anzuschauen – vor allem ich hätte gerne die Castello Sforzesco auch hinter den Mauern erkundet.

Henry und ich luden die beiden Studenten zum Dinner ein und Maurice schlug vor, noch nicht zurück ins Hostel zu gehen, sondern den Abend gemütlich in einer Bar ausklingen zu lassen. Auch wenn wir von dem langen Tag erschöpft waren, begrüßten wir die Idee mit freudiger Erwartung. Wir schlenderten ein wenig durch die Straßen und Gassen von Mailand und entschieden uns letztendlich für ein im ersten Moment recht unscheinbares Ensemble, auf das wir nur aufmerksam geworden waren, weil das Namensschild das einzige Leuchtmittel in der gesamten Gasse war. Und weil es sich laut Henry Zur Milchstraße nannte.

Beim Eintritt stellte sich schnell heraus, dass es sich bei dem Lokal nicht um eine Bar mit gemütlichen Sitznischen und stylischer Bar handelte, hinter der der Barkeeper zur leichten Unterhaltung Kunststücke mit dem Messbecher vollführte, sondern um einen Club. Der Raum war abgedunkelt und wurde nur durch die Lichtscheinwerfer an der Decke und Wand beleuchtet, deren grellbunte Lichter sich recht passend zum Rhythmus des übersteuerten Beats durch den Raum bewegten. Welche Lieder gerade abgespielt wurden, konnte ich beim besten Willen nicht sagen, aber meiner Erfahrung nach, die rein auf Lizzys Partylaune basierte, mit der sie mich am einen oder anderen Wochenende in irgendwelche gerade angesagten Clubs schleppte, war es noch ein wenig früh fürs richtige Feiern. Die vollblutigen Partylöwen und -mäuse würden garantiert erst in einer Stunde hier aufkreuzen. Frühe Vögel, zu denen wir heute auch gehörten, wärmten sich erstmal an der Theke auf, ehe sie sich ins Getümmel stürzten. Wobei ich heute wahrscheinlich an der Theke bleiben würde.

Wir bahnten uns einen Weg durch die frühen Vögel, die mehr waren als ich es kante um die Zeit, aber wenigstens mussten wir uns nicht zur Theke durchquetschen. Ich würde heute allerdings nur einen leichten Drink nehmen, da ich nicht all zu lange bleiben wollte und mein ganzes Geld nicht fürs Saufen ausgeben wollte. Wenn ich mit Lizzy feiern war, hatte ich immer das Glück, den ein oder anderen Drink ausgegeben zu bekommen – zugegeben lag das jedoch nicht an meinem exquisiten Charme, sondern an Lizzys Tanz- und Flirttalent, mit dem sie ihre Interessenten immer von einem weiteren Drink für ihre Freundin überzeugen konnte. Dass ich bei der anschließenden Konversation eher das fünfte Rad am Wagen spielte, störte mich allerdings nicht, immerhin konnte ich an einem Gratis-Drink nippen, ohne selbst dafür aktiv werden zu müssen.

Die Theke war im Gegensatz zur Tanzfläche gut besucht, weshalb Maurice anbot, sich allein durch die ganzen Kleingruppen zu quetschen, an dem wir nichts auszusetzen hatten. Mir wandte sich Maurice zuerst zu.

„Was möchtest du trinken, Ember?"

„Auf jeden Fall nichts Alkoholisches", antwortete Henry, bevor ich überhaupt den Mund öffnen konnte. Verständnislos glotzte ich ihn an. Konnte der Kerl mich nicht einmal selbst reden lassen? Wie er wohl reagieren würde, wenn ich das mal bei ihm machen würde!

Henry kannte mich mittlerweile zu gut, dass ich nicht davor zurückschreckte, ihm hier und jetzt eine Szene zu machen, weshalb er auf Deutsch hinzufügte: „Ich überstehe keinen weiteren Vortrag über die Einzelheiten deines Menstruationsprozesses."

Alle Wege führen nach RomWhere stories live. Discover now