36. Bella Italia!

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Drei Stunden hatten wir es uns auf dem Grünstreifen der D6007 gemütlich machen müssen und eigentlich hatte es sogar mehr Spaß gemacht als man zuerst glauben mochte. Die beiden Medizinstudenten hatten uns großzügig an ihrem Proviant teilhaben lassen und uns Cola, Sandwiches und die typisch französischen Karamellstangen spendiert, von denen Henry gefühlt die halbe Tüte geschlemmt hatte. Gut zu wissen, dass er Karamell mochte.

Es gab während dieser mehr oder weniger erzwungenen Fahrtpause eigentlich keine Minute, in der nicht jemand sprach. Maurice und Alain erzählten viel von ihrem Studentenleben, vor allem von Partys, besonders coolen und schrecklichen Professoren und dem bevorstehenden Sezierkurs im kommen Semester, auf den sie sich aufgrund des guten Rufes des Dozenten schon sehr freuten. Nach meinem Kommentar, dass wir im letzten Jahr in Biologie einen Fisch sezieren durften, bei dem ich fast die ganze Stunde tapfer ausgehalten hatte, ehe ich den Raum hatte verlassen müssen, fragte ich sie, welches Tier sie werden sezieren dürfen, woraufhin Maurice nur beide Augenbrauen gehoben und erklärt hatte, dass der Hauptgegenstand des Seminars nicht Tiere, sondern Menschen waren.

Damit wusste ich, was ich nach dem Abitur definitiv nicht studieren wollte. An Leichen herumwerkeln? Nein, danke – da konnte der Dozent der beste Comedian auf Erden sein, ich würde sicherlich nicht freiwillig an einem Toten rumschnippeln!

Ich hatte meinen Unmut über diese Tatsache nicht laut äußern müssen, mein Gesichtsausdruck hatte Bände gesprochen, weshalb Alain rasch das Thema gewechselt und uns nach unserer Charaktergestalt gefragt hatte. Währenddessen bewegte er das hölzerne Jo-Jo auf und ab – wahrscheinlich merkte er es nicht einmal. Daraus folgte ein intensives Gespräch über Formel-1 zwischen ihm und Henry, welches Maurice nutzte, um sich bei mir nach der Herkunft meiner Französischkenntnisse zu erkunden und wickelte mich damit in ein ausführliches Gespräch über den Vergleich zwischen französischer und deutscher Kultur sowie allgemein empfehlenswerten Urlaubsorten. Dabei erfuhr ich von ihm, dass er nach der Schule ein Jahr Work & Travel durch Neuseeland gemacht hatte.

Ein wenig neidisch war ich schon auf diese Erfahrung. Zum einen weil Neuseeland bestimmt wunderschön war und er dort ein ganzes Jahr leben und seine Kultur kennenlernen durfte, zum anderen weil ich sowas in der Richtung auch gerne nach dem Abi machen würde, aber mir eigentlich recht sicher war, dass genau das nicht meins war. Mehr als ein paar Wochen weit weg von meiner Familie und Lizzy? Allein schon der Gedanke verursachte mir Bauchschmerzen!

Irgendwann klinkten sich die beiden Formel-1-Fans wieder in unsere Unterhaltung ein und eine halbe Stunde später rollte der Fiat langsam weiter Richtung Italien. Bis auf eine relativ große Warteschlange an der italienischen Grenze verlief die restliche Fahrt ohne weitere Komplikationen. Das Einzige, was sie etwas hinauszögerte, waren die ganzen Zwischenstopps an der Küste, um ein paar schöne Urlaubsfotos oder gar Selfies und Porträts zu schießen. Auf Maurices Angebot hin, uns auf seinem Handy kurz bei unserem Instagram-Account anzumelden, sah ich auch meine Chance, Lizzy in einer knackig gehaltenen One-Minute-Sprachmemo ein Update zu erteilen. Natürlich konnte Henry dem Drang nicht widerstehen, seinen Senf zwischendurch dazuzugeben, wie zum Beispiel: „Dank Jackie Chan kann uns nichts passieren – mach dir also keine Sorgen um mich!" Oder auf in Bezug auf meinen bewusst provokanten Kommentar, dass Henry seinen Job als Nervensäge in eifrigen Überstunden ableistete: „Du bist nicht du, wenn du hungrig bist, Karate Kid. Hier, iss ne Salzstange." Er hatte ernsthaft für diesen Spruch die Salzstangen aus dem Rucksack gefischt.

Kaum hatte ich die Nachricht versendet, klingelte das Handy. Ohne zu zögern nahm ich den Videoanruf entgegen.

„Oh mein Gott, ein Lebenszeichen!", quietschte Lizzy zur Begrüßung und hüpfte in der Gegend rum. Offensichtlich war sie gerade nicht im Hotel, sondern lief mit weißer Cappy und Pilotensonnenbrille irgendwo in Rom rum. Augenblicklich tauchte Henrys Kopf neben meinem auf und er grinste fröhlich in die Kamera.

Alle Wege führen nach RomWhere stories live. Discover now