30. Kuschelalarm

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Das Feuer flackerte in der Schale vor sich hin, während Graces klare Singstimme mit den rhythmischen Akkorden der Gitarre den späten Abend in Harmonie tauchte. Callum saß neben ihr und filmte sie mit seinem Smartphone, während er ab und zu ein begeistertes „Yeah!" dazwischenrief, was die Performance sogar abrundete. Es war ein besonderer Moment, den beiden dabei zuzuhören und zu schauen. Manche Songs waren auch uns bekannt, weshalb wir bei den Refrains einstiegen. Dabei waren wir nicht ansatzweise auf demselben Gesangslevel wie Grace, doch das kümmerte niemanden.

Als Grace die Gitarre beiseite legte, um eine Pause einzulegen, kuschelte sie sich bei ihrem Mann in die Arme und Henry verwickelte Ella in ein intensives Gespräch übers Surfen, bei dem Ella von ihren Erfahrungen in ihrer Jugend berichtete. Heute war ihr erstes Mal nach zwei Jahren Pause gewesen, weshalb ich sie umso weniger ernst nehmen konnte. Und dann hatte sie Henry noch nach einem Crash-Kurs gefragt, wo ihr das Surfen doch vor zwei Jahren angeblich im Blut gelegen hätte? Als wenn dieser Denkzwerg ihre wahre Absicht nicht durchschaut hatte! Wenn er darauf nicht bald reagierte, würde sie wahrscheinlich noch ein Fan-Schild basteln mit der Aufschrift HENRY ICH WILL EIN KIND VON DIR!.

Doch er schien sehr interessiert an ihren Erzählungen zu sein, besonders von den großen Wellen, die sie vor fünf Jahren in Hawaii geritten war. Dass ihn dieses verlegene, meiner Meinung nach viel zu affektierte Kichern nicht zu stören schien, ließ mich innerlich mit dem Kopf schütteln. Seine Nerven hätte ich gerne!

Da ich mich nicht wirklich in das Gespräch einbringen konnte – und der Wille dazu existierte im Übrigen auch nicht –, fragte ich Grace, ob ich ein wenig auf ihrer Gitarre spielen durfte.

„Spielst du auch Gitarre zu Hause?", fragte sie mit leuchtenden Augen, als sie mir das klassische Instrument aus hellem, laminierten Holz überreichte. Die Saiten waren aus Nylon, wie es bei Konzertgitarren üblich war. Die Gitarre war zwar nicht luxuriös, aber das Design war schlicht und strahlte demnach Eleganz aus. Ich war froh, dass Grace nicht zu den Leuten gehörte, die ihre Gitarre mit irgendwelchen Stickern zukleisterten wie eine Pinnwand.

„Ja, seit ungefähr zehn Jahren schon, aber ich spiele sowohl Akustik-, als auch E-Gitarre", erklärte ich und positionierte die Gitarre auf meinem rechten Oberschenkel. „Aber ich singe dazu nicht, da ich die instrumentalen Parts viel mehr fühle."

„Cool! Dann lass gerne etwas hören. Wenn du magst, kannst und auch gerne nur Akkorde spielen und ich singe, wenn du Lust dazu hast."

Ich lächelte und zuckte mit den Schultern. „Also von mir aus können wir das gleich gerne probieren."

Doch vorerst wollte ich erst einmal ein Gefühl für die fremde Gitarre bekommen. Wie sie sich anfühlte, wie sie sich am besten spielte, wie sie unter meinen Fingern klang. Daher zerlegte ich ein paar Akkordfolgen in E-Dur mit einfachem Fingerpicking im Viervierteltakt. Die Töne wirkten im Korpus klar, aber nicht hell, sie hatten etwas Voluminöses in sich. Ich spielte ein wenig mit der Lautstärke und dem Tempo, änderte ab und zu den Takt oder sprang zwischen den Tonarten hin und her, ehe ich mich letztendlich für G-Dur entschied und zwischendurch mit dem Handballen auf den Gitarrendeckel klopfte, um die Rhythmik lebendiger zu gestalten. Als ich dann meine musikalische Untermalung eines noch nicht entschiedenen Songs gefunden hatte, wollte ich Grace gerade fragen, auf welchen Song sie Lust hatte, da stieg sie einfach in mein Spiel ein. Den Song, den sie nun zu meinen Akkorden sang, kannte ich nicht, doch das störte mich nicht. Vielleicht improvisierte Grace auch und schrieb gerade einen komplett eigenen Song – dann wäre sie aber ein Naturtalent im Songwriting.

Die ersten Übergänge im Song von Strophe, Prechorus und Chorus liefen zwar nicht fließend, dafür wusste ich beim zweiten Mal Bescheid, sodass die Performance am Ende sogar richtig gut wurde. Es machte Spaß, Gitarre zu spielen, wenn jemand dazu sang. Den Song beendete Grace mit einem sanften Summen, ehe ich den letzten Akkord noch einmal in einzelne Noten zerlegte. Die anderen überhäuften uns mit Applaus und Ella jubelte, als hätte Shawn Mendes ein kleines Privatkonzert extra nur für sie gegeben.

Alle Wege führen nach RomWhere stories live. Discover now